Sitzung: 12.09.2013 Jugendhilfeausschuss
Das Martinistift
Nottuln engagiert sich für junge Menschen in Not und wird seit 6 Jahren in der
Rechtsform einer gGmbH geführt. Seit 2010 wird das Martinistift durch die
beiden Geschäftsführer Bolle und Schmitz geleitet, die den Ausschussmitgliedern
in der Sitzung einen Einblick in die pädagogische Arbeit vermitteln (Anlage 1).
Als Träger von
überregionaler Bedeutung verfügt das Martinistift über stationäre und
teilstationäre Jugendhilfeangebote sowie ambulante Dienste. Insgesamt werden
rund 175 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in unterschiedlichen Settings
betreut. Die Belegung erfolgt überwiegend durch das Münsterland und das
Ruhrgebiet, aber auch bundesweit.
Derzeit befinden sich
zehn Jugendliche in verschiedenen individualpädagogischen Projekten in Spanien
(Teneriffa und Andalusien), Frankreich und den Niederlanden. Darüber hinaus
erfolgt die Begleitung von ca. 45 bis 50 Kindern in Westfälischen
Pflegefamilien. Das Martinistift verfügt weiterhin über Außenwohngruppen in
Coesfeld, Münster-Roxel, Haltern (Mädchen), Münster-Hiltrup (Mädchen und
Jungen).
In der
Stammeinrichtung in Nottuln-Appelhülsen befinden sich elf Wohngruppen mit
jeweils sechs bis neun Plätzen für männliche Kinder und Jugendliche.
Daneben gibt es derzeit fünf offene Intensivgruppen mit sieben Plätzen. Je nach
Betreuungsintensität sind fünf bis zehn pädagogische
Mitarbeiter/innen rund um die Uhr in den individuell ausgerichteten
Gruppen tätig.
Junge Menschen im
Alter zwischen zwölf und 16 Jahren, die sich nachhaltig jedem erzieherischen
Einfluss entziehen, werden zeitlich befristet in vier geschlossenen
Intensivgruppen in unterschiedlicher Gruppenstärke von fünf bis neun Kindern
und Jugendlichen betreut. In diesen sogenannten FM-Gruppen
(freiheitsentziehende Maßnahme) wird den Problemen der Jugendlichen durch fest
vorgegebene Strukturen und einem breit gefächerten therapeutischen Angebot
begegnet. NRW-weit gibt es ca. 400 Plätze mit freiheitsentziehenden Maßnahmen
von denen allein 35 im Martinistift vorgehalten werden.
Nach einem Vorbesuch
in dieser Gruppe erfahren die Kinder und Jugendlichen in der Anfangsphase einen
relativ engen bzw. geschlossenen Rahmen, der sich im Erziehungsverlauf immer
weiter öffnet. Der sog. Stufenplan hat das Ziel, gemeinsam mit den Jugendlichen
die für sie adäquate Betreuungsform zu finden. Die Kinder und Jugendlichen
erhalten besondere Hilfen bei der Aufarbeitung von Persönlichkeitsstörungen und
der Bewältigung schulischer Defizite. Ktabg. Pieper betont, dass dieser
geschlossene Bereich für die jungen Menschen vor allem „Schutz“ vor den Eltern
bzw. dem zuvor prekärem Umfeld bedeute.
Die psychologische
Beratung/Psychotherapie und Diagnostik ist ein Schwerpunkt der Martinistift
gGmbH. Die psychiatrische Behandlungsquote beträgt im Martinistift ca. 80%. Die
jugendpsychiatrische Betreuung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem
Westfälischen Institut für Heilpädagogik und Jugendpsychiatrie und in
Kooperation mit dem Westfälischen Landeskrankenhaus in Marl-Sinsen und der
Vestischen Kinderklinik in Datteln. Zudem besteht ein enger Kontakt zur
Kinderschutzambulanz Münster.
Speziell für sexuell übergriffige Jungen gibt es im Martinistift seit 2006 die
sog. „Gruppe 14“ mit derzeit 9 Plätzen. Nach der Betreuung in dieser Gruppe sei
keiner der jungen Menschen bisher wieder einschlägig aufgefallen erläutert
Bolle.
Das Martinistift verfügt über eine Reihe eigener Therapeuten und in jeder
Gruppe gibt es zumindest einen Betreuer mit einer trauma-pädagogischen
Ausbildung, die regelmäßig aufgefrischt wird. Deeskalationstrainings und
Supervisionssitzungen sowie die Möglichkeit der Beratung durch die
Kinderschutzambulanz Münster stehen allen Mitarbeitenden regelmäßig zur
Verfügung.
Das Martinistift
fühlt sich der schulischen und beruflichen Förderung der Jugendlichen besonders
verpflichtet. Das vorrangige Ziel ist es, Jugendliche zu motivieren Freude an
den eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, sich selbst zu fordern und auch fordern
zu lassen.
In Kleinstgruppen unterrichten u.a. Lehrer der Astrid-Lindgren-Schule (Schule für Erziehungshilfe) aus Lüdinghausen innerhalb ihrer Dependance im Martinistift. Auf Nachfrage von Ktabg. Schäpers, wie sie sich Schule im Martinistift konkret vorstellen könne, erläutert Frau Siehoff als Konrektorin der Astrid-Lindgren-Schule und Leiterin der Nebenstelle im Martinistift, dass es sich im Martinistift um sehr kleine Schulgruppen handele mit einem Personalschlüssel von einem Lehrer für vier Schüler. Oberstes Ziel sei, dass die Jugendlichen wieder Spaß an Schule erhielten. Dabei würde mit Förderplänen gearbeitet, die bei den Stärken der Schüler ansetzen und eine sehr kleinschrittige Vorgehensweise vorsehen. Zudem gäbe es eine sehr enge Absprache zwischen Schule, Einrichtung und Schüler. Neue Schüler würden maximal 2 Stunden am Tag unterrichtet.
Nach einer gezielten
Förderung besuchen die Kinder und Jugendlichen eine örtliche allgemeinbildende
Schule und/oder werden in heimischen Betrieben ausgebildet bzw. durch einen
Berufsvorbereitungslehrgang auf das Berufsleben vorbereitet. Dafür werden die
unterschiedlichen Angebote der Berufsförderung und -orientierung in Anspruch
genommen.
Historisch gewachsen
ist der Umstand, dass das Martinistift überwiegend auf die Betreuung und
Erziehung von männlichen Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist. Aufgrund
der langjährigen Erfahrung wurde der Bedarf an intensiver Betreuung auch für
weibliche Kinder und Jugendliche an das Martinistift herangetragen. In Zukunft
sei laut Herrn Bolle die Einrichtung einer zweiten intensiv-pädagogischen
offenen Mädchengruppen im nördlichen Ruhrgebiet geplant.
Auf entsprechende
Nachfrage von Mitglied Brandenburger, Mitglied Pieper, Mitglied Kuhlmann und
Ktabg. Haselkamp teilt Herr Bolle mit, dass der Jugendhilfeausschuss des Landes
NRW keine weiteren Plätze mit freiheitsentziehenden Maßnahmen im Bereich des
LWL mehr fördern wolle. Intensiv-pädagogische geschlossene Gruppen könnten aus
diesem Grund für Mädchen nicht eingerichtet werden, da dies zulasten der
bestehenden Plätze für Jungen ginge, die hierfür abgebaut werden müssten.
Ktabg. Pieper
erkundigt sich nach den Kosten für die jeweiligen Unterbringungsformen die vom
Jugendhilfeträger aufgebracht werden müssen. Mitglied Schmitz führt aus, dass
durch den intensiven pädagogischen Betreuungsbedarf in den geschlossenen
FM-Gruppen der Personalschlüssel im Jahr 2010 von 1:1 auf 1:0,71 erhöht werden
musste, wodurch sich u.a. folgende Tagessätze ergeben:
341,- € geschlossene Intensiv / FM – Gruppe
202,- € offene Intensiv-Gruppe
145,- € / 150,- € Regelgruppe
Da keine weiteren Wortmeldungen folgen, bedankt sich Vorsitzender Wobbe ganz herzlich bei Mitglied Schmitz und Herrn Bolle und äußert Überraschung über die Vielfalt des Angebotes.