Betreff
Umsetzung des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende:
Hier: Verteilung der Bundesmittel zur Eingliederung 2008
Vorlage
SV-7-0897
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Senioren stimmt dem geplanten weiteren Vorgehen der Verwaltung zu.

Begründung:

 

I.   Problem /  II.          Lösung

 

Die Finanzierung von Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung von SGB II - Leistungsberechtigten obliegt nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches - Zweites Buch (SGB II) ausschließlich dem Bund. Hierzu stellt der Bund den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende, so auch dem Kreis Coesfeld, jährlich ein an der Zahl der zu betreuenden erwerbsfähigen Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende orientiertes Eingliederungsbudget zur Verfügung.

 

Mit Erlass vom 18.12.2007 hat das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) dem Kreis Coesfeld ein Eingliederungsbudget in Höhe von 5.913.120,00 € für das Jahr 2008 zur Verfügung gestellt. Ergänzt wird dieses Eingliederungsbudget um einen Betrag in Höhe von 796.340,00 € zur Umsetzung des § 16a SGB II (JobPerspektive - Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonderen Vermittlungshemmnissen).

 

Eingliederungsbudget in den Jahren 2005 – 2008

2005

2006

2007

2008 *

6.320.686,00 €

6.899.642,00 €

5.594.490,00 €

5.913.120,00 €

* zuzüglich Sonderprogramm zur Umsetzung des § 16a SGB II: 796.340,00 €

 

Gegenüber dem Vorjahr stellt dieses – ohne Berücksichtigung des Sonderbudgets JobPerspektive – eine Steigerung um fast 6 % bzw. 320.000,00 € dar.

 

Der Kreistag hat in seiner Sitzung am 15.12.2004 (SV-7-0061) geregelt, dass die Aufteilung des Eingliederungsbudgets nach vorheriger Beratung in der Arbeitsmarktkonferenz und im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Senioren sowie im Kreisausschuss durch Beschluss des Kreistages erfolgt. Eine Anpassung der entsprechenden Teilbudgets durch die Verwaltung sei hierbei im Laufe des Jahres nach erfolgter Beratung in der Arbeitsmarktkonferenz möglich.

 

Die Aufteilung des Eingliederungsbudgets 2008 in die einzelnen Teilbereiche erfolgt im Rahmen der 11. Sitzung der Arbeitsmarktkonferenz am 29.04.2008. Im Anschluss hieran erfolgt die Beratung dieser Budgetaufteilung in der Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Senioren am 26.05.2008 sowie die anschließende Beschlussfassung durch den Kreistag.

 

Derzeit zeichnet sich ein Streit über den Einsatz der Eingliederungsmittel und insbesondere der arbeitsmarktintegrativen Maßnahmen und Förderinstrumente zwischen dem Bund als Geldgeber und den Ländern im Rahmen ihrer Fachaufsicht ab.

 

Hintergrund ist die Tatsache, dass die Arbeit der 69 Optionskommunen wesentlich von der im § 6a SGB II enthaltenen Experimentierklausel und der im § 16 Abs.2 Satz 1 SGB II enthaltenen Möglichkeit zur Durchführung von flexiblen und passgenauen Eingliederungsleistungen für die langzeitarbeitslosen Menschen geprägt ist.

 

Über diese Gestaltungsspielräume der „weiteren Leistungen“ nach § 16 Abs.2 Satz 1 SGB II bestehen nunmehr unterschiedliche Auffassungen zwischen dem Bund einerseits und den Ländern und Kommunen andererseits. Nachdem die Auffassung des Bundes bis November 2007 nie klar und verbindlich formuliert wurde, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erst mit Erlass vom 21.11.2007 (Anlage 1) seine Rechtsposition dargelegt. Es geht nun davon aus, dass diese Auffassung für die Zukunft berücksichtigt wird.

 

Dem gegenüber steht das „Positionspapier aller Bundesländer zur Anwendung des § 16 Abs. 2 SGB II“ (Anlage 2), das in Abstimmung aller 16 Bundesländer erarbeitet wurde. Die wesentlichen Punkte beider Rechtspositionen sowie die Auswirkungen auf die Optionskommunen insgesamt als auch insbesondere für den Kreis Coesfeld werden nachfolgend dargestellt.

 

Rechtsauffassung des Bundes:

Der Bund vertritt eine restriktive Sichtweise. Nach Auffassung des BMAS handele es sich bei der Vorschrift der weiteren Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht um eine Experimentierklausel im Sinne einer freien Mittelverwendung. Aus dem Wortlaut, der Systematik und der Begründung des Gesetzes ergebe sich, dass nach dieser Rechtsgrundlage lediglich ergänzende Hilfen im Einzelfall erbracht werden können. Zur Eingliederung in Arbeit seien vorrangig und in der Hauptsache die benannten Leistungen des SGB III unter den dort normierten Voraussetzungen einzusetzen.

 

§ 16 Abs. 2 Satz1 SGB II solle keine Grundlage dafür bieten, gesetzgeberische Grundsatzentscheidungen zur Arbeitsmarktpolitik sowie das differenziert ausgestaltete Gefüge der arbeitsmarktpolitischen Leistungen mit seinen Standards zu Qualität, Transparenz, Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften und bestimmter Verfahren bei der Leistungserbringung praktisch ignorieren zu können. Nach Auffassung des BMAS sind insbesondere die folgenden Eingliederungsleistungen auf der Grundlage des § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht zulässig:

       Erbringung frei entwickelter Lohnkostenzuschüsse mit bis zu 100%iger Förderung und/oder ohne Nachbeschäftigungspflicht. Damit werde eine unzulässige Arbeitgebersubventionierung ohne Ausrichtung auf nachhaltige Eingliederung erbracht.

       Subventionierung betrieblicher Ausbildung durch frei entwickelte Ausbildungszuschüsse. Damit werde der Ausbildungsmarkt negativ beeinflusst und die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers ignoriert, dass für die berufliche Ausbildung die Unternehmen verantwortlich sind und nur für ausdrücklich bestimmte Personengruppen (behinderte und schwerbehinderte Menschen) Ausbildungszuschüsse gewährt werden dürfen.

       Förderung von Projekten zur Berufsvorbereitung Jugendlicher, einschl. des nachträglichen Erwerbs des Hauptschulabschlusses. Damit werde gegen die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers verstoßen, dass derartige Maßnahmen ausschließlich durch die Bundesagentur für Arbeit durchzuführen und aus Beitragsmitteln zu finanzieren sind.

       Förderung allgemeinsprachlicher Deutschkurse für MigrantInnen. Damit werde der Vorrang der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durchgeführten und zu finanzierenden Integrationskurse nicht beachtet und die gesetzgeberische  Entscheidung ignoriert, dass die Förderung allgemeinbildender Inhalte nicht Aufgabe der Arbeitsförderung ist.

       Die Förderung beruflicher Weiterbildung, insbesondere berufliche Anpassungsqualifizierungen bzw. Umschulungen. Damit werden die gesetzlich vorgeschriebenen Zulassungsvoraussetzungen und die Qualitätsstandards an Maßnahmen und Bildungsträger sowie das Bildungsgutscheinverfahren nach §§ 77 ff SGB III umgangen.

 

Gleichwohl hält es das BMAS für möglich, auf der Grundlage des § 16 Abs.2 Satz 1 SGB II innovative Eingliederungshilfen zu erbringen. Hierbei seien vorab grundsätzlich die Vorrangigkeiten etwaiger anderer Leistungssysteme oder bestehender Möglichkeiten nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. SGB III, nach § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB II (kommunale flankierende Leistungen) oder Abs. 3 (zusätzliche Arbeitsgelegenheiten) oder §16a SGB II (Beschäftigungsförderung) zu beachten. Nur dann, wenn diese vorrangigen Möglichkeiten nicht greifen, kämen aus Sicht des BMAS weitere Leistungen nach § 16 Abs. 2  Satz 1 SGB II in Betracht.

 

Rechtsposition der Länder:

Die Länder gehen dagegen bei den Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II von gegenüber dem SGB III gleichwertigen Leistungen aus.  Mit der Einführung des SGB II habe der Gesetzgeber eine neue Form zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit geschaffen, deren zentrale Zielsetzung darin bestehe, die Eingliederungschancen der Leistungsempfänger in Beschäftigung zu verbessern, insbesondere durch intensive Beratung, Betreuung und die Einbeziehung in die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das Spektrum der nach dem SGB II vorgesehenen Eingliederungshilfe reichte von den klassischen Förderleistungen des SGB III bis zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten nach dem Sozialhilferecht. Eine mögliche Rangfolge beziehe sich demnach lediglich auf die Abfolge der Erforderlichkeitsprüfung im Einzelfall. Die Maßnahmeauswahl sei im Einzelfall dem SGB II - Träger in der jeweiligen Erforderlichkeitsprüfung überantwortet. In diesem Zusammenhang sollten Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II nicht als vorrangig verstanden werden.

 

Akzeptabel sei lediglich die Anforderung, zuerst zu prüfen, ob die Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 SGB II geeignet seien, die angestrebten Integrationen zu bewirken. Erst wenn dies verneint werde, seien die weiteren Leistungen zu nutzen. Das Aufstockungsverbot verbiete ausdrücklich ergänzende Leistungen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II. Dieses dürfe nicht umgangen werden, indem eine im Übrigen gleiche Maßnahme nach § 16 Abs. 1 SGB II erbracht werde, die sich lediglich in der Förderhöhe von einer SGB III-Maßnahme unterscheide und über diese hinausgehe.

 

Soweit jedoch andere, den Leistungen des SGB III nur in Teilen ähnliche Maßnahmen auf der Grundlage §16 Abs.2 S.1 SGB II für eine nachhaltige berufliche Eingliederung notwendig werden, liege nach Auffassung der Länder kein Verstoß gegen das gesetzlich normierte Aufstockungsverbot vor. Zulässig bleiben auch weitere Leistungen, bei denen die Leistung in Bezug auf ein Element der Maßnahme zwar erweitert, in Bezug auf ein anderes Element jedoch

beschränkt werde oder eine längere Dauer der Maßnahme oder umgekehrt.

 

Vor diesem Hintergrund seien insbesondere folgende Maßnahmen auf der Grundlage der weiteren Leistungen zulässig:

    Um die Nachteile von schwervermittelbaren Personengruppen auszugleichen, haben viele SGB II-Träger eigene maßgeschneiderte Förderleistungen für Arbeitgeber entwickelt. Insbesondere die Nachbeschäftigungspflicht erschwere den Einsatz von Lohnkostenzuschüssen bei Personen mit besonderen Hemmnissen. Soweit die im SGB III vorgegebenen Förderhöhen nicht unbegründet überschritten werden, seien diese rechtskonform und durch die weiteren Leistungen gedeckt. Dies gelte auch für einen Verzicht auf die Nachbeschäftigungspflicht.

    Ausbildungszuschüsse, die auch leistungsschwachen jungen Menschen den Eintritt in eine betriebliche Ausbildung ermöglichen, seien bei Vorliegen besonderer Vermittlungshemmnisse als weitere Leistung zulässig. Dies gelte umso mehr, wenn auf diesem Weg zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden.

    Im Bereich der Berufsvorbereitung entwickeln SGB II-Träger Maßnahmen für Jugendliche, die oft – anders als die ausbildungsreifen Jugendlichen im SGB III – nicht unmittelbar in der Lage seien, eine Berufsausbildung aufzunehmen oder an einer berufsvorbereitenden Maßnahme teilzunehmen. Für SGB II-Jugendliche seien häufig individuelle und zeitlich flexible vorbereitende Maßnahmen erforderlich. Die klassischen Angebote werden dem nicht immer gerecht bzw. sind zu starr und unflexibel.

    Das Fehlen des Schulabschlusses sei ein gravierendes Vermittlungshemmnis, das durch anders gelagerte Maßnahmen nicht ausgeglichen werden könne. Der Schulabschluss sei eine zwingende Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz und damit von hoher Bedeutung für die späteren beruflichen Perspektiven und den Vermittlungsauftrag. Aus fachlicher Sicht komme der Erlangung des Hauptschulabschlusses für die Integration in den Arbeitsmarkt einer zentralen Bedeutung für diesen Personenkreis zu.

    Ein wichtiger Baustein seien Sprachschulungen, die an bestehende Fördermöglichkeiten anknüpfen bzw. sie ergänzen. Die bestehenden Integrationskurse reichen z.T. nicht aus bzw. seien nicht zielgerichtet genug, um erforderliche berufsrelevante Sprachkenntnisse in ausreichendem Maße zu vermitteln.

    SGB II-Träger entwickeln Maßnahmen, die ihren Schwerpunkt in der Bildung von Persönlichkeitsstrukturen haben. Sie dienen dazu, Personen mit Vermittlungshemmnissen, die im persönlichen Bereich liegen, wieder an eine Arbeit bzw. Qualifizierung heranzuführen. Oft handele es sich dabei um Beschäftigungsprojekte, die auf die Vermittlung einer Tagesstruktur und einen langsamen Eingewöhnungsprozess in die Arbeitswelt zielen. Derartige Maßnahmen finden keine entsprechende Rechtsgrundlage im SGB III und seien daher zwingend über die weiteren Leistungen umzusetzen.

 

 

Auswirkungen auf den SGB II-Träger, insbesondere auf die Optionskommunen:

Die SGB II-Träger werden in der aktuellen Situation mit zwei konkurrierenden Rechtsauffassungen von Bund und Ländern konfrontiert. Das Bundesministerium beruft sich auf die mit den Optionskommunen abgeschlossene Verwaltungsvereinbarung, wonach der Bund Prüfrechte im Hinblick auf die Abrechnung der SGB II - Aufwendungen hat. Die Länder nehmen die Rechtsaufsicht für die Optionskommunen wahr.

 

Die NRW-Optionskommunen stehen derzeit in engem Kontakt mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW. Das MAGS NRW, wie auch die übrigen Länder, stehen geschlossen auf Seiten der Optionskommunen und sind weiterhin bestrebt, die Problematik einvernehmlich mit dem BMAS zu regeln und insbesondere Rechtssicherheit zu schaffen.

 

Bekräftigt wird die Rechtsauffassung der 16 Bundesländer und 69 Optionskommunen u.a. durch ein aktuelles Rechtsgutachten des Landes Niedersachsen zu etwaigen Erstattungsansprüchen des Bundes gegenüber den Optionskommunen. In diesem Gutachten kommt das Land Niedersachsen zu dem Ergebnis, dass die Rechtsauffassung der gesetzlichen Aufsichtsbehörden (Länder) für den zugelassenen kommunalen Träger verbindlich ist. Handelt der zugelassene Träger danach, ist ein entgegenstehender Wille / eine entgegenstehende Rechtsauffassung des BMAS unbeachtlich. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Rechtsauffassung der Aufsicht objektiv falsch war (z.B. die Aufsicht ändert wegen einer obergerichtlichen Rechtsprechung zu streitigen Eingliederungsleistungen ihre Auffassung), so ist der zugelassene kommunale Träger für die Vergangenheit entschuldigt.

 

 

Situation im Kreis Coesfeld:

Der Kreis Coesfeld hat wie auch seine beiden Nachbarkreise Borken und Steinfurt in den Jahren 2005 – 2007 intensiv und offensiv von den Möglichkeiten der weiteren Leistungen Gebrauch gemacht. So konnten erfolgreich Maßnahmen und Projekte durchgeführt werden, die sich an den tatsächlichen differenzierten Problemlagen des SGB II-Personenkreises im Kreis Coesfeld orientiert haben.

 

Aufgrund der oben beschriebenen Situation scheint es unumgänglich, bis auf weiteres im engen Schulterschluss mit dem MAGS NRW die Maßnahmen- und Fördermittelplanung für 2008 abzustimmen. Hierzu steht der Kreis Coesfeld in engem Austausch sowohl mit dem MAGS NRW, als auch dem LKT sowie den weiteren Optionskommunen in NRW.

 

Wir bemühen uns in streitbefangenen Themen um eine Abstimmung mit dem MAGS.

 

III. Alternativen

 

Keine

IV. Kosten-Folgekosten-Finanzierung

 

Die Ausführung der o. a. Maßnahmen erfolgt ausschließlich aus hierfür zur Verfügung gestellten Mitteln des Bundes.

 

V.  Zuständigkeit für die Entscheidung

Nach dem Beschluss des Kreistages vom 20.10.1999 (Regelungen und Befugnisse der Ausschüsse) ist hier die Zuständigkeit des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Senioren gegeben.