Betreff
ÖPNV-Marktorganisation im Münsterland
hier: Vorstellung des Gutachtens zur Restrukturierung der RVM
Vorlage
SV-7-0179
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

1.  Der Kreisausschuss nimmt die gutachterlichen Ausführungen zur Fortentwicklung des ÖPNV in den Münsterlandkreisen (Anlage) zur Kenntnis.

 

2.  Zwecks Sicherstellung der Steuerungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des ÖPNV sowie seiner EU-konformen Ausgestaltung beauftragt der Kreisausschuss die Verwaltung nachstehende Maßnahmen vorzubereiten.

 

a)        Gründung einer gemeinsamen Regie- und Bestelleinheit der Münsterlandkreise unter Einbeziehung vorhandener Personale  bei den Kreisen sowie der WVG/RVM und damit Einführung des Besteller-/ Erstellerprinzips.

 

b)        Abschluss eines Verkehrsvertrages mit der RVM über die von ihr zu erbringenden ÖPNV-Leistungen.

 

3.  Der Kreis Coesfeld setzt sich für eine Entflechtung der WVG von der RVM ein. Er strebt gemeinsam mit den anderen Münsterlandkreisen an, die Gesellschaftsanteile der Kommunen und der WVG an der RVM im Einvernehmen mit den Beteiligten zu übernehmen.

 

4.  Die Verwaltung wird beauftragt, unter Einbeziehung von Geschäftsführung und Betriebsrat die Grundsatzfragen für eine Partnersuche für die RVM zu klären. Den regionalen privaten Verkehrsunternehmen soll durch die Ausgestaltung die Möglichkeit zur Beteiligung gegeben werden.

 



 
 

 

Begründung:

 

I. - V.

 

Die Kreise und kreisfreien Städte in NRW sind als Aufgabenträger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verantwortlich für die Sicherstellung einer ausreichenden Verkehrsbedienung im ÖPNV als freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge.

 

Zugleich übernehmen die Münsterlandkreise in ihrer Funktion als Gesellschafter des kommunalen Verkehrsunternehmens Regionalverkehr Münsterland (RVM) auch Aufgaben in der Verkehrsdurchführung. Die Münsterlandkreise befinden sich damit in einer Doppelrolle. Als Aufgabenträger sind sie Besteller von Verkehrsleistungen, als Gesellschafter der RVM sind sie Ersteller.

 

Der notwendigen Forderung nach Kostentransparenz und Wirtschaftlichkeit kann durch die Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips Rechnung getragen werden. Als Besteller sollte die kommunale Seite den ÖPNV über Verkehrsverträge mit den Unternehmen steuern.

 

Neben der grundsätzlichen Notwendigkeit, die Rollen des Bestellers von der des Erstellers zu trennen, gibt es weitere einschneidende Entwicklungen im Rechtsrahmen für den ÖPNV. Das lange erwartete Urteil des EuGH vom 24.07.2003 im sogenannten Fall „Altmark Trans“ hat keine endgültige Klärung gebracht. Der EuGH lässt in seinem Urteil offen, ob für eigenwirtschaftliche Verkehre eine Teilbereichsausnahme von der Europäischen Verordnung Nr. 1191/69 - die die Pflicht zur Ausschreibung von Verkehrsleistungen beinhaltet - gegeben ist.

 

Der EuGH hat aber vier Kriterien entwickelt, die – soweit von einer Ausschreibung abgesehen werden kann – in jedem Fall zu erfüllen sind, damit die öffentliche Finanzierung nicht gegen Beihilferecht verstößt

 

1.             Betrauung mit klar definierten, gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen

 

2.             Vorab-Festlegung objektiver und transparenter Ausgleichsparameter

 

3.             keine Überkompensation

 

4.             die Kosten der erbrachten Leistungen müssen im Niveau einem Vergleich mit einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen standhalten.

 

Inwieweit der deutsche Gesetzgeber eine Ausnahme von der Ausschreibungspflicht im PBefG festgeschrieben hat, ist nach wie vor strittig. Nationale Gerichte entscheiden im Einzelfall teilweise widersprüchlich. In der Tendenz sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene zeichnet sich jedoch deutlich ein Übergang zu wettbewerblichen Strukturen ab, die derzeit im Münsterland nicht gegeben sind.

 

 

 

 

 

Nicht auf das EuGH-Urteil und den zu erwartenden Wettbewerbsdruck z.B. durch Konkurrentenklagen zu reagieren, ist gefährlich. Sowohl für den Fall, dass die augenblickliche Finanzierung der RVM durch Gesetz oder durch richterliche Entscheidung beanstandet wird als auch für den Fall, dass die RVM im Rahmen eines Genehmigungs- oder Ausschreibungswettbewerbs Leistungen verliert, ist die Existenz des Unternehmens bedroht. Laut Gemeindeordnung ist eine Unternehmensaktivität außerhalb des eigenen Raumes unzulässig. Für verlorene Leistungen bestehen also keine Kompensationsmöglichkeiten. Im Fall eines Leistungsverlustes kommen unüberschaubare Remanenzkosten auf die Eigentümer zu.

 

Unabhängig von den offenen Rechtsfragen sind die Kreise gehalten, die gewünschten Verkehrsleistungen zu den allgemein günstigsten Kosten zu erhalten. Wie die Entwicklung im SPNV zeigt, lässt die Ausschreibung von Verkehrsleistungen Kosteneinsparungen ohne Qualitätsverlust erwarten.

 

Für die RVM ist deshalb eine Perspektive zu entwickeln, die angesichts der rechtlichen Vorgaben und des zu erwartenden Wettbewerbs die Existenz des Unternehmens sichert. Mindestens muss dafür gesorgt werden, dass die Unternehmenswerte und die Arbeitsplätze in der Region gesichert werden.

 

Um einen rechtlich und betriebswirtschaftlich sowie für die Mitarbeiter des Unternehmens vertretbaren Weg für die RVM zu erarbeiten, wurde von den vier Münsterlandkreisen eine umfassende Beratung eingekauft. Nach Ausschreibung wurde der Auftrag an ein Gutachterkonsortium, die Ernst & Young Corporate Finance Beratung GmbH mit dem Subauftragnehmer Kompetenz Center Wettbewerb GmbH (KCW) und für den rechtlichen Part die Anwaltskanzlei Barth, Baumeister, Griem vergeben.

 

 

Ziele des Gutachtens:

 

·                Sicherstellung der Steuerbarkeit des ÖPNV durch die Aufgabenträger (mehr Transparenz)

·                Herstellung einer wirtschaftlich und rechtlich dauerhaft tragfähigen Struktur für den ÖPNV (ordnungspolitisch saubere Lösung)

·                Minimierung des spezifischen Finanzierungsbedarfs (Einkauf zu Marktpreisen)

·                Sicherung der Unternehmensentwicklung und der Arbeitsplätze in der RVM

·                Sicherung der Position der Subunternehmer (Beachtung der Belange des Mittelstandes)

 

In einem ersten Schritt haben die Gutachter die Unternehmensstrukturen, die Kosten- und Leistungsdaten sowie die bestehenden Verträge der RVM geprüft.

 


Status Quo

 

Unternehmensstruktur

Die Gesellschafterstruktur der RVM ist sehr komplex. Anteilseigentümer sind die vier Kreise im Münsterland, die Stadt Münster und 46 weitere Gebietskörperschaften. Außerdem ist die Westfälische Verkehrsgesellschaft mbH (WVG) mit 29,17 % an der RVM beteiligt. An der WVG sind die Münsterlandkreise ebenfalls mit je 7 % beteiligt. Die übrigen Anteile werden über die Westfälisch-Lippische-Vermögensverwaltung durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe gehalten.

 

Die WVG übernimmt übergeordnete Geschäftsführungsaufgaben für die RVM, aber auch für die Regionalverkehr Ruhr-Lippe GmbH, die Verkehrsgesellschaft Kreis Unna GmbH sowie die Geschäftsführung für den Bahn- und Speditionsbereich. Die Arbeitsteilung zwischen der WVG und der RVM ist durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag geregelt. Neben der betrieblichen Verwaltungsleistung für die RVM nehmen sowohl die WVG als auch die RVM traditionell Aufgaben wahr, die die Aufgabenträger zu leisten haben.

 

Wirtschaftliche Situation der RVM

Die RVM fährt von den etwa 25 Mio. km Fahrleistungen pro Jahr nur einen Anteil von 30 % in Eigenregie bzw. mit der RVM Verkehrsdienst GmbH. Die übrigen Fahrbetriebsleistungen werden von privaten Verkehrsunternehmen aus der Region zugekauft.

 

Besondere vertragliche Beziehungen bestehen zu den sogenannten Kooperationspartner. Bei ihrer Gründung in den 70er Jahren ist die RVM als Betriebsführer in die Konzessionen privater Verkehrsunternehmen eingetreten. Dies war seinerzeit die einzige Möglichkeit, eine Integration der Verkehrsbedienung zu erreichen. Als Gegenleistung für die Abtretung von Konzessionsrechten an die RVM wurden mit den Kooperationspartnern besondere Vergütungssätze und garantierte Fahrleistungen vereinbart.

 

Die Finanzierung der RVM erfolgt im Rahmen einer Defizitabdeckung durch die Kreise jeweils nach Abschluss des Wirtschaftsjahres. Der Aufwandsdeckungsfehlbetrag für das Jahr 2003 betrug münsterlandweit rund 6,6 Mio. €.

 

Im einzelnen wurden durch den Gutachter folgende Feststellungen getroffen:

 

·                Kosten im Bereich des eigenen und eingekauften Fahrbetriebs ebenso wie bei den aufgabenträgernahen Dienstleistungen liegen über Marktpreisniveau

·                Bei den selbsterstellten Verkehrsleistungen besteht Restrukturierungspotential, um Anschluss an das Marktniveau zu erreichen

·                Aufwendungen bei Leistungen der Kooperationspartner und der Subunternehmer liegen über Marktpreisniveau

·                Große Betriebsführerebene

·                Strukturelle Wettbewerbsnachteile durch kommunales Personaltarifniveau

·                Weitere Einsparpotentiale sind gegeben

 

 

 

 

 

 

Vor diesem Hintergrund hat auch das Unternehmen eine Reihe von innerbetrieblichen Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet. Ziel des Unternehmens ist es, weitere Kostensenkungspotentiale auszuschöpfen. Mit der Geschäftsführung und der Mitarbeitervertretung wurde 2004 eine Unternehmensvereinbarung abgeschlossen, mit der – insbesondere durch die Anwendung niedrigerer Entlohnungstarife – Kosten eingespart werden. Dem stehen u.a. die Zusagen gegenüber, dass bis zum 31.12.2009 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind und Linien aus dem Konzessionsbestand der RVM nicht vor Dezember 2007 ausgeschrieben werden.

 

Aktuelle rechtliche Situation der RVM

Nach Aussage des Gutachterkonsortiums stellt sich die rechtliche Situation der RVM wie folgt dar:

 

·                Die Verlustabdeckungsverträge sind an Anforderungen der EU-Verordnung 1191/69,  und der vier EuGH-Kriterien anzupassen.

·                Es bestehen Risiken für die weitere Finanzierung.

·                Risiko des Auftragsverlustes durch Genehmigungswettbewerb

·                Aus kommunalverfassungsrechtlichen Gründen keine Kompensationsmöglichkeit durch exterritoriale Wettbewerbsteilnahme.

·                Überprüfungsnotwendigkeit der Kooperationsverträge der RVM

Empfehlungen des Gutachterkonsortiums

 

Vor diesem Hintergrund wurden durch das Gutachterkonsortium verschiedene Empfehlungen ausgesprochen:

 

Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips

Die Aufgaben des Aufgabenträgers (Besteller) müssen konsequent von denen der Verkehrsunternehmen (Ersteller) getrennt werden. Diese Trennung ist vergaberechtlich nötig, aber auch insgesamt für die bessere Steuerbarkeit des ÖPNV und Kostentransparenz wichtig.

 

Die Aufgabenträger sollen dazu eine Regie- und Bestellereinheit (RBE) bilden. Die abschließende Rechtsform ist zu prüfen. Die personelle Stärke dieser Organisationseinheit ist abhängig vom Aufgabenumfang, der durch diese Einheit übernommen werden soll. Außerdem bestimmt sich durch den Aufgabenumfang die Schnittstelle zu den Kompetenzen der Verkehrsunternehmen wie etwa die Zuständigkeit für Einnahmeverantwortung oder die Ausgestaltung des Angebotes. Zunächst ist eine schmale personelle Ausstattung vorgesehen. Es sollen Mitarbeiter der RVM und der Kreise in die Regieebene integriert werden.

 

Aktuelle Aufgaben:

 

·                Schrittweise Einrichtung einer Regie- und Bestelleinheit (RBE) zur Vorbereitung und Einführung einer vertraglichen Steuerung des Nahverkehrs,

·                Ausarbeitung und Abschluss eines rechtskonformen Verkehrsvertrages, der die Erbringung und Finanzierung der Verkehrsleistung der RVM umfasst,

 

Weitere Aufgaben, wie Nahverkehrsplanung, Fahrzeugförderung, Vertrags-controlling und insbesondere wettbewerbliche Leistungsbestellung etc., kommen sukzessive dazu.

 

 

Zur Gründung ist ein abschließender Beschluss der Kreistage erforderlich.

 


Strategische Partnerschaft für die RVM

 

Für die Zukunft der RVM  haben die Gutachter alternative Handlungsoptionen mit folgenden Ergebnissen untersucht:

 

„Stand alone-Lösung“: Diese Lösung ist wirtschaftlich wenig Erfolg versprechend, da eine erfolgreiche Restrukturierung im Alleingang fraglich aber zumindest nur langristig möglich ist. Bei plötzlicher Marktöffnung wird die RVM wahrscheinlich scheitern. Als Eigentümer tragen die Kreise hohes finanzielles Risiko.

 

„Kooperation mit lokalen ÖPNV-Unternehmen bei Erhalt der Eigenständigkeit“: Der Unterschied gegenüber der Stand alone-Lösung liegt allein in einem ggf. größeren Potential zur Reduzierung des Zuschussbedarfs.

 

„Gesellschafter suchen strategischen Partner für Minderheitsanteil an der RVM“: Auch bei diesem Modell verbleiben die Risiken der RVM überwiegend bei den Gesellschaftern;

 

„Gesellschafter suchen strategischen Partner für Mehrheitsanteil bzw. alle Anteile an der RVM“: Nach Auffassung des Gutachterkonsortiums ist dies der zielführende Ansatz für die RVM. Der strategische Partner übernimmt die finanziellen Risiken und sichert die Existenz sowie die Weiterentwicklung der RVM ab; Befreiung von beihilferechtlichen Risiken und kommunalrechtlichen Schranken ist möglich.

 

Im Einzelnen begründen die Gutachter die Abtretung von Gesellschaftsanteilen zur Einbindung eines strategischen Partners wie folgt:

 

·                Restrukturierung und Restrukturierungsverantwortung durch Erwerber

·                Mittelfristig wettbewerbsfähige Kosten der Leistungserstellung erreichbar

·                Übernahme marktüblicher Risiken durch Erwerber

·                Existenzabsicherung durch Weiterentwicklung der RVM

·                Sicherung der Arbeitsplätze in der RVM auf Basis des laufenden Unternehmensvertrages bzw. abzuschließenden Verkehrsvertrages

·                Durch Verkauf wird personelle Unabhängigkeit zwischen der Besteller- und der Erstellerebene erreicht, dadurch Wegfall potenzieller Interessenkonflikte

·                Möglichkeit zur Lösung der bestehenden beihilferechtlichen Risiken und kommunalrechtlichen Schranken

 

Die sich aus den Empfehlungen des Gutachters ergebenden Handlungsschritte sind im Beschlussvorschlag zusammengefasst.

 

 

Anlagen:

 

1. Folienvortrag zur Fortentwicklung des ÖPNV in den Münsterlandkreisen