-Antrag der Kreistagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und der SPD-Kreistagsfraktion vom 14.05.2021
Beschlussvorschlag der Kreistagsfraktion Bündnis
90/Die Grünen und der SPD-Kreistagsfraktion:
1. Der Kreis Coesfeld erklärt sich zum „Sicheren Hafen“.
2. Der Kreis Coesfeld erklärt sich solidarisch mit den Forderungen der Initiative „Seebrücke – schafft
Sichere Häfen“ zur Rettung der aus Seenot geretteten Geflüchteten.
3. Der Kreis Coesfeld positioniert sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf
dem Mittelmeer.
Beschlussvorschlag der Verwaltung:
Die Verwaltung wird beauftragt zu prüfen,
ob der Kreis Coesfeld Mitglied der Initiative „SEEBRÜCKE“ und deren Projekt
„Sicherer Hafen“ werden sollte. Dazu werden die einzelnen Aspekte des
Forderungskatalogs der Initiative auf ihre rechtlichen Voraussetzungen und
mögliche Folgen für den Kreis Coesfeld geprüft und bewertet. Diese Prüfung
erfolgt in enger Abstimmung mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden,
insbesondere in den Angelegenheiten, die auch oder in ihre alleinige
Zuständigkeit fallen.
I.
Sachdarstellung und
Entscheidungsvorschlag
Mit Schreiben vom 14.05.2021 beantragten die Kreistagsfraktionen der SPD
und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN folgenden Beschlussvorschlag:
1. Der Kreis Coesfeld erklärt sich zum
„Sicheren Hafen“.
2. Der Kreis Coesfeld erklärt sich solidarisch
mit den Forderungen der Initiative „Seebrücke – schafft
Sichere Häfen“ zur Rettung der aus Seenot
geretteten Geflüchteten.
3. Der Kreis Coesfeld positioniert sich
öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf
dem Mittelmeer.
Zur Begründung des Beschlussvorschlags weisen
die Fraktionssprecherinnen und Fraktionssprecher u.a. auf die durch Kriege,
Gewalt und die Klimakrise erzwungene Flucht der Menschen über lebensgefährliche
Routen und fordern, dass der Kreis Coesfeld „Teil der Bewegung“ wird, um durch
die Unterstützung der Initiative „SEEBRÜCKE“ auf verschiedene Weise Einfluss
auf die Beendigung dieser katastrophalen Zustände nimmt. Zudem wird darauf
hingewiesen, dass bereits 247 Städte, Gemeinden und Landkreise sich zu sog.
„Sicheren Häfen“ erklärt hätten, darunter 67 Kommunen in NRW, u.a. auch die
Stadt Münster. Der Antrag ist der Anlage 1 dieser SV zu entnehmen.
Hintergrund der Initiative „SEEBRÜCKE. Schafft sichere Häfen“
Bei der Initiative „SEEBRÜCKE“ handelt es sich um eine
zivilgesellschaftliche, internationale Bewegung, die sich ab 2018 formierte und sich gegen die europäische Abschottungspolitik sowie
insbesondere gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung im Mittelmeer
richtet. Die Akteure solidarisieren sich mit allen Flüchtenden und fordern die
Politik auf, sichere Fluchtwege zu schaffen. Die Initiative setzt in der Aktion
„Sicherer Hafen“ besonders auf die Kommunalpolitik und versucht, Kommunen zur
Unterstützung zu gewinnen, in dem diese mit unterschiedlichen Verpflichtungs-graden
verbundene Erklärungen abgegeben.
Um die
Bandbreite der Forderungen der Seebrücke zu verdeutlichen und anschließend eine
(vorläufige) begründete Bewertung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISS 90/DIE GRÜNEN vornehmen zu können wird nachfolgend der entsprechende
Teil der Homepage der SEEBRÜCKE abgebildet (Stand 25.05.2021). Der Anlage 2 ist
der entsprechende Textbeitrag im Original zu entnehmen.
Sicheren
Häfen - Forderungen der SEEBRÜCKE
Die SEEBRÜCKE setzt sich dafür ein, dass Menschen auf der Flucht
einen Ort zum Ankommen finden - einen Sicheren Hafen. Dort, wo die
Bundespolitik ihrer Verantwortung nicht gerecht wird, muss die kommunale
Politik tätig werden. Kommunen können sich für ein sicheres Ankommen und neue
rechtliche Rahmen einsetzen. Der Sichere Hafen ist ein Prozess, den bereits
dutzende Städte, Landkreise und Gemeinden begonnen haben. Kommunen können in
dem Prozess über die Zeit immer mehr Aspekte eines Sicheren Hafens erfüllen.
Als SEEBRÜCKE begleiten wir den Prozess und dokumentieren, welche Schritte
Kommunen aus unserer Sicht bereits gegangen sind.
Zu einem Sicheren Hafen gehört für die SEEBRÜCKE, dass die
Kommune:
Öffentliche
Solidaritätserklärung
1. sich mit Menschen auf der Flucht, der Seenotrettung und den Zielen der
SEEBRÜCKE solidarisch erklärt.
Einsatz für
sichere Fluchtwege und Unterstützung der Seenotrettung
2.
sich für sichere Fluchtwege und das Ende der EU-Abschottungspolitik einsetzt,
damit Menschen nicht mehr auf lebensgefährlichen Routen fliehen müssen.
3. sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung auf dem
Mittelmeer positioniert und diese aktiv unterstützt, beispielsweise mit
Öffentlichkeitsarbeit, Patenschaften, finanzieller Unterstützung oder der
Beteiligung an einer Rettungsmission.
4. sich darüber hinaus aktiv für staatliche Seenotrettungsmissionen einsetzt.
Aufnahme von Menschen auf der Flucht
5. sich gegenüber dem Bundesland und der Bundesregierung für die Einrichtung
neuer bzw. für die deutliche Ausweitung bestehender Programme zur legalen
Aufnahme von Menschen auf der Flucht einsetzt und dazu selbst Aufnahmeplätze
zusätzlich zur Verteilungsquote (Königsteiner Schlüssel) anbietet (Humanitäre
Aufnahmeverfahren des Bundes, insbes. Resettlement-Programm, und Programme der
Bundesländer nach §23 AufenthG).
6. Plätze für die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unterbringung von
aus Seenot geretteten Menschen zusätzlich zur Verteilungsquote von
Schutzsuchenden bereitstellt (z.B. im Rahmen eines Dublin- oder
Relocation-Verfahrens).
7. sich gegenüber dem Bundesland und der Bundesregierung für die Schaffung
rechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen einsetzt, mit denen die Kommunen
die Aufnahme von Menschen auf der Flucht über die Verteilungsquote hinaus
tatsächlich selbstbestimmt realisieren können.
Kommunales Ankommen und Bleiben
gewährleisten
8. für alle geflüchteten Menschen - unabhängig vom Fluchtweg - für ein
langfristiges Ankommen sorgt. Um ein gutes und sicheres Leben in der Kommune zu
gewährleisten, müssen alle notwendigen Ressourcen für eine menschenwürdige
Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und
Bildung, und für die gesellschaftliche Teilhabe der Aufgenommenen zur Verfügung
gestellt werden.
9. für Bleibeperspektiven eintritt und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen
Abschiebungen einsetzt. Sie ist nicht nur Sicherer Hafen, sondern zugleich
Solidarische Stadt für alle Menschen.
Vernetzung
10. sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv für die
Umsetzung der oben genannten Punkte einsetzt. Dafür vernetzt sie sich mit
anderen Städten und tritt dem kommunalen Bündnis “Städte Sicherer Häfen” bei.
Sichere Häfen setzen sich in ganz Europa für eine menschenrechtskonforme
europäische Migrationspolitik und ein Ende der Abschottungspolitik ein.
Transparenz
11. alle unternommenen Handlungen veröffentlicht.
Es wird deutlich, dass die Forderungen der SEEBRÜCKE von
Solidaritätsbekundungen über die Unterstützung politischer Absichtserklärungen
bis hin zur Selbstverpflichtung, über die Verteilungsquote hinaus, geflüchtete
Menschen aufzunehmen, reichen. Daraus ergeben sich inhaltliche und auch
Zuständigkeitsfragen, die es ohne weitere Klärungen nicht erlauben, der Initiative
zum jetzigen Zeitpunkt vorbehaltslos und uneingeschränkt beizutreten.
Die
Forderungen 1. – 4. (s.o.) könnten durch den Kreis Coesfeld mitgetragen werden.
Sie sind zwar z.T. nicht ohne „politische Brisanz“ (z.B. „Ende der
EU-Abschottungspolitik und somit Verhinderung der lebensgefährlichen
Fluchtrouten“), dem Grunde genommen aber aus moralisch-ethischen Gründen zum
größten Teil selbstverständlich. Die Entkriminalisierung der zivilen
Seenotrettung und der Einsatz von staatlichen Seenotrettungsmissionen gehören
dazu.
Die
Forderungen 5. – 7 (s.o.) fallen in die Zuständigkeit der Städte und Gemeinden.
Diese sind zur Aufnahme der zugewiesenen (geflüchteten) Menschen verpflichtet.
Eine Erklärung zur Bereitschaft, über die Pflichtquote hinaus Menschen
aufzunehmen, müssten die kreisangehörigen Städte und Gemeinden selbst abgeben.
Ohne Klärung dieser Frage, sollte der Kreis hier (noch) keinen umfassenden Beschluss
fassen.
Die Forderung
8. (s.o.) wiederum lässt der Kreis Coesfeld seit Jahren gegen sich gelten.
Neben dem Aufbau des Kommunalen Integrationszentrums und seiner Vielzahl von
Maßnahmen unterstützen weitere Abteilungen des Kreises, Bildungsträger,
Wohlfahrtsverbände und Ehrenamtliche die Integration von geflüchteten Menschen.
Aber auch diese Forderung sollte von den Städten und Gemeinden darüber hinaus in
ihrer eigenen Zuständigkeit geprüft werden (z.B. im Bereich „Wohnen“).
Die
Verpflichtung, „sich im Rahmen der Möglichkeiten gegen Abschiebungen
einzusetzen“ - Forderung 9. (s.o.) –
bedarf einer genaueren inhaltlichen Prüfung. Sollte die SEEBRÜCKE damit meinen,
mögliches Ermessen der kommunalen Ausländerbehörde in Einzelfällen gegen eine
Abschiebung auszulegen, entspräche das dem bisherigen Vorgehen der Verwaltung.
Sollte die Forderung aber bedeuten, überhaupt keine Abschiebungen mehr
durchzuführen, würde sie die Arbeit der kommunalen und auch der zentralen
Ausländerbehörde konterkarieren bzw. beenden.
Die
Forderungen 10. und 11. wiederum könnten voraussichtlich vom Grundsatz
unterstützt werden, wenn die o.g. noch abzustimmenden Sachverhalte geklärt
sind.
Die
Verwaltung schlägt aus den genannten Gründen folgenden Beschluss vor:
Die
Verwaltung wird beauftragt, zu prüfen, ob der Kreis Coesfeld Mitglied der
Initiative „SEEBRÜCKE“ und deren Projekt „Sicherer Hafen“ werden sollte. Dazu
werden die einzelnen Aspekte des Forderungskatalogs der Initiative auf ihre
rechtlichen Voraussetzungen und mögliche Folgen für den Kreis Coesfeld geprüft
und bewertet. Diese Prüfung erfolgt in enger Abstimmung mit den kreisangehörigen
Städten und Gemeinden, insbesondere in den Angelegenheiten, die auch oder in ihre
alleinige Zuständigkeit fallen.
II.
Entscheidungsalternativen
Alternativ könnten einzelne Punkte des Forderungskatalogs der SEEBRÜCKE
herausgenommen und bereits zur Umsetzung beschlossen werden. Dazu könnte
insbesondere der Punkt 3. „Der Kreis Coesfeld positioniert sich öffentlich
gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf dem Mittelmeer“ aus dem Antrag
der Kreistagsfraktionen der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zählen.
III.
Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen,
Personal, IT, Klima)
Die politischen
und fiskalischen Auswirkungen für den Kreis Coesfeld hängen vom weiteren
Vorgehen ab, umfangreiche oder kostenintensive Auswirkungen sind aktuell aber
nicht zu erwarten.
Die mögliche
Selbstverpflichtung der Städte und Gemeinden hat aufgrund der fehlenden
rechtlichen Voraussetzungen, sich über die von Bund und Land festgesetzten
Aufnahmequoten hinwegzusetzen, aktuell keine fiskalischen Auswirkungen. Eine
mögliche Gesetzesänderung oder eine entsprechende Rechtsprechung würde sich
hier aber auswirken.
IV.
Zuständigkeit für die Entscheidung
Der Kreistag ist
gemäß § 26 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe g KrO NRW für die Entscheidung zuständig.