Beschluss:
Die Sitzungsvorlage wird zur Kenntnis genommen.
I. Sachdarstellung
II. Entscheidungsalternativen
III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal,
IT, Klima)
IV. Zuständigkeit für die Entscheidung
Die Ticketpreise des WestfalenTarifes
werden in der Regel jährlich am 01. August angepasst. In der
Verbandsversammlung des ZVM kam der Wunsch auf, diese Maßnahmen so frühzeitig
in den politischen Gremien des ZVM und der Münsterlandkreise sowie der Stadt
Münster zu beraten, dass die kommunalen Vertreter in der Tarifgemeinschaft und
im WestfalenTarif-Ausschuss ein Meinungsbild mitnehmen können.
Änderungen im überregionalen
Tarifangebot des WestfalenTarifes werden durch den WestfalenTarif-Ausschuss
(WTA) beschlossen. Hier sind über 60 erlösverantwortliche Verkehrsunternehmen
(ÖPNV und SPNV) vertreten. Die Kreise Coesfeld, Warendorf und Borken haben
durch ihre Brutto-Verkehrslinien ebenfalls Sitze und Stimmen im WTA. Zusätzlich
werden sie, wie auch die Stadt Münster und der Kreis Steinfurt durch die RVM
bzw. die Stadtwerke Münster im WTA vertreten. Als Aufgabenträger für den SPNV
bzw. als Auftraggeber für SPNV-Bruttoleistungen ist auch der NWL im WTA
vertreten.
Das gleiche System gilt für die
Tarifgemeinschaft Münsterland – Ruhr-Lippe wo die wirtschaftlich bedeutsameren
Preise der unteren Preisstufen bis zur Preisstufe 5M entschieden werden. Die
o.g. Partner sind hier – allerdings beschränkt auf den Raum Münsterland –
gleichfalls Gesellschafter mit Sitz und Stimme.
Die hohe Anzahl der Mitwirkenden beim
Abstimmungsprozess innerhalb des WestfalenTarifes und die weitreichenden
wirtschaftlichen Folgen der Beschlüsse erfordert eine intensive Beratung und
einen relativ langen zeitlichen Vorlauf. Die Informationen über die mögliche
Ausrichtung der Tarifentwicklung und über den aktuellen Verhandlungsstand
erfolgen in der ZVM-Verbandsversammlung und in den Kreistagen oft sehr
kurzfristig. Eine Beratung in den Gremien und eine Einflussnahme seitens der
politischen Gremien war daher nur begrenzt möglich. Um diese
Gestaltungsmöglichkeiten zumindest im Vorfeld der Beratungen zu erweitern,
werden die möglichen Tarifmaßnahmen nun frühzeitiger aufgegriffen. So wurden
diese bereits im Juni 2021 in die Verbandsversammlung des ZVM eingebracht und
werden im September 2021 beraten. Ungefähr zeitlich parallel dazu werden die
Ausschüsse und gegebenenfalls die Kreistage sowie der Rat der Stadt Münster in
den Septembersitzungen dieses Thema beraten. Somit kann den Vertretern aus dem
Münsterland ein ZVM-weites Meinungsbild in die Verhandlungen zur Tarifmaßnahme
am 01.08.2022 mitgegeben werden. Diese Vorlage dient zur Unterstützung dieses
Diskussionsprozesses.
Diese Vorlage wird durch eine
Präsentation von Herr Matthias Hehl, Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft
Münsterland – Ruhr-Lippe GmbH (diese umfasst die Verkehrsgebiete des ZVM und
ZRL) sowie der WestfalenTarif GmbH, ergänzt (Anlage 1). Hierin wird ein
Überblick über den WestfalenTarif gegeben sowie die Ausgangslage für die
Tarifmaßnahme zum 01.08.2022 dargestellt.
Neben den als erforderlich angesehenen
Maßnahmen zur Kundengewinnung bzw. Kundenrückgewinnung (Folie 19) und den
mittel- und langfristigen Maßnahmen und Projekten (Folien 20 und 21) soll nach
derzeitigem Diskussionsstand in der Gesellschafterversammlung der Tarifgemeinschaft
Münsterland – Ruhr-Lippe mindestens die inflationsbedingte Kostensteigerung
turnusmäßig zum 01.08.2022 umgesetzt werden (Folien 20 und 22).
Zwischenzeitlich ist der Prognosewert von 1,56 % (Folie 16 und 17,
Berechnungsbasis April 2021) auf rd. 1,8 % (Berechnungsbasis Juli 2021)
gestiegen. Dies bedeutet, dass die
Preise für die Tickets ab dem 01.08.2022 im Ergebnis durchschnittlich zwischen
1,6 und 1,9 % analog zur Inflationsentwicklung steigen würden. Dieses
Modell der Preisanpassung ist vertraglich so festgelegt; eine Abweichung davon
nach unten würde einen Anspruch der zustimmenden Partner auf einen
entsprechenden Ausgleich bewirken.
Darüber hinaus gehende Tariferhöhungen
sind möglich und wurden in der Vergangenheit auch teilweise umgesetzt.
Tariferhöhungen, die über die inflationsbedingte Kostensteigerung hinausgehen,
können unter anderem begründet werden durch
·
geringere
Fahrgeldeinnahmen aufgrund der Corona-Pandemie (in Verbindung mit der noch
unklaren Situation bezüglich eines weiteren Rettungsschirmes),
·
höhere
Kosten im Verkehrssektor gegenüber dem Inflationsausgleich durch
überdurchschnittlich gestiegene Energie-, Personal- und Infrastrukturkosten,
·
strukturelle
Probleme bei der Finanzierung des SPNV (Themen: Insolvenzen der Verkehrsunternehmen,
erforderliche Vertragsanpassungen, etc.).
Laut einer Mitteilung des NWL könnte
sich über alle SPNV-Verkehrsverträge eine Kostensteigerung (ohne
Berücksichtigung von Einnahmen) von 2,5 bis 3,0 % ergeben. Gemeinsam mit dem zu
erwartenden geringeren Einnahmeniveau aus den Ticketverkäufen bestehen gute
Gründe, die Ticketpreise zum 01.08.2022 auch deutlich über den Betrag des
Inflationsausgleiches anzuheben. Es ist daher
davon auszugehen, dass einige Mitglieder des WTA sich für eine Steigerung
oberhalb der 2 % einsetzen werden.
Der Beschluss über die
Preisentwicklung muss nach den derzeitigen Regelungen einstimmig erfolgen. Es
ist nicht auszuschließen, dass sich der prognostizierte Inflationswert von 1,8
% (Stand Juli 2021) noch erhöhen wird und dass einige Verhandlungspartner eine
höhere Preissteigerung fordern werden. Auch der NWL als Aufgabenträger für den
SPNV und Besteller von Verkehrsleistungen ist von der Kostenentwicklung
deutlich betroffen.
Sollten ein oder mehrere
Verhandlungspartner innerhalb des WTA bzw. der Tarifgemeinschaft Münsterland –
Ruhr-Lippe einen Verzicht auf die Tarifmaßnahme in Höhe des
Inflationsausgleiches erreichen, so müssten die übrigen Partner eine
Ausgleichsfinanzierung sicherstellen. Sollte dieser Antrag von den kommunalen
Aufgabenträgern kommen, so müssten diese auch das Defizit ausgleichen. Außerdem
wäre in diesem Fall nicht sichergestellt, dass die strukturellen
Weiterentwicklungen des Tarifes, wie z. B. die Maßnahmen zur
Kundenrückgewinnung und die Angebote im X90 – Korridor zustande kommen.
Bei einer sogenannten 0-Runde, in der
keine Preiserhöhungen zum 01.08.2022 umgesetzt werden, würde den
Verkehrsunternehmen und den erlösverantwortlichen Aufgabenträgern allein im
Tarifteilraum Münsterland – Ruhr-Lippe ca. 3,4 Mio. Euro fehlen, die
entsprechend von der öffentlichen Hand ausgeglichen werden müssten (Folie 17). Sollten diese Fehlbeträge im folgenden Jahr nicht durch eine
überproportionale Steigerung ausgeglichen werden, so sind diese fehlenden
Beträge auch in den kommenden Jahren auszugleichen.
Ein Verzicht auf eine Anpassung der
Ticketpreise in Höhe des Inflationsausgleiches würde letztendlich die
Haushaltskassen der Kommunen belasten. Rechnerisch würden das genannte Defizit
von 3,4 €/Tarifjahr auf 10 Kreise und kreisfreien Städten im Raum
Münsterland/Ruhr-Lippe aufgeteilt werden. Der Bereich des Münsterlandes umfasst
rund die Hälfte der hier genannten Beträge.
Im Falle einer 0-Runde würden sich im
ZVM-Raum Fehlbeträge durch entgangene Einnahmen allein für das kommunale
Verkehrsunternehmen RVM in Höhe von 320.000 Euro pro Prozentpunkt ergeben.
Hinzu kommen die Beträge für die eigenwirtschaftlich verkehrenden
Linienbusunternehmen, die vom Kreis beauftragten Linien sowie die vom NWL
beauftragten Linien des SPNV (Schienenpersonennahverkehr).
Am Beispiel der RVM würde die
Mehrkosten für das Tarifjahr 2022/2023 rd. 500.000 € betragen, die durch die
Kreise als Gesellschafter nach dem Schlüssel für die Erlöse wie folgt
aufgeteilt werden würden:
Kreis Anteil
Erlöse vsl.
Mehrkosten 2022/23 alleine RVM
Kreis Borken 24 % 120.000
Kreis Coesfeld 19 % 95.000
Kreis Steinfurt 33 % 165.000
Kreis Warendorf 24 % 120.000
Hinzu kämen wie beschrieben die
Erstattung der entgangenen Einnahmen für die übrigen Verkehrsunternehmen in
noch unbekannter Größenordnung.
Die Kostenangaben berücksichtigen
nicht die Mindererlöse, die durch die Corona-Pandemie sowie durch deren Folgen
verursacht wurden und in Zukunft werden.
Dieser betriebswirtschaftlichen Betrachtung
steht der Wunsch von Teilen der Bevölkerung entgegen, die Preise der Tickets
für Bus und Bahn nicht zu erhöhen oder gar zu senken. Auch die öffentlichen
Akteure sind bestrebt, die Attraktivität des ÖPNV durch nutzerfreundliche
Tarife zu steigern. Die Kreise erwarten insofern von den Verkehrsunternehmen
eine zurückhaltende, bedarfs- und vor allem fahrgastorientierte Tarifgestaltung
(vgl. bspw. NVP Kreis Warendorf, Kap. 6.3.16).
Das Thema Fahrpreis ist für die Mehrheit der Fahrgäste jedoch
nicht der entscheidende Grund für oder gegen die Nutzung des ÖPNV. Bei der
Mobilitätswahl wahlfreier Bürgerinnen und Bürger steht der ÖPNV in ständiger
Konkurrenz zu den anderen Mobilitätsmöglichkeiten. In der Regel wird bei
Strecken über 5-10 km das Auto als Vergleich herangezogen. Die Kriterien für
die Wahl des Verkehrsmittels sind Erreichbarkeit der Ziele,
Fahrdauer/Reisezeit, Kosten, Pünktlichkeit sowie weiche Kriterien wie
Bequemlichkeit, Sicherheit, Umweltfreundlichkeit. Das Kriterium Kosten rangiert
je nach Aufbau der Umfrage in der Regel auf Platz 3 bis 4 der für die
Mobilitätswahl entscheidenden Faktoren, (vgl. Probst & Consorten,
Präsentation ZVM-Verbandsversammlung am 24.08.2020). Die Fahrgäste sind in der
Regel bereit, einen „fairen“ Preis für den ÖPNV zu zahlen, dessen Bewertung
sich immer auch nach der gebotenen Leistung von Bus und Bahn sowie nach der
Qualität der Alternativangebote richtet.
Zusammengefasst ergeben sich mehrere
Handlungsoptionen für die Anpassung der Ticketpreise zum 01.08.2022:
1. Bei einer 0-Runde wird auf eine
Preiserhöhung verzichtet; die Ticketpreise bleiben exakt auf dem bisherigen
Niveau. Dies führt zu einer Unterfinanzierung der ÖPNV- und SPNV-Verkehre, da
sich die Kosten erhöht haben. Aufgrund der bestehenden Regelungen haben die
erlösverantwortlichen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger einen Anspruch auf
den Ausgleich des Inflationswertes. Dieser beträgt für den Raum Münsterland –
Ruhr-Lippe rund 3,4 € für ein Tarifjahr. Hierdurch entstehen den
Münsterlandkreisen jeweils eine Mehrbelastung im sechsstelligen Bereich. Dieser
Fehlbetrag muss auch in den Folgejahren ausgeglichen werden. Weitere Maßnahmen
wie die Aktionen zur Verbesserung der Verkehre im Bereich des X90 – Korridors
im Kreis Coesfeld sowie Maßnahmen zur Kundenrückgewinnung können nicht in Kraft
treten.
2. Bei einer Tarifanpassung in der
Größenordnung der Inflationsentwicklung (nach derzeitige Kalkulation beträgt
diese rund 1,8 %) steigen die Ticketpreise durchschnittlich um den
entsprechenden Wert.
3. Eine Tarifanpassung um einen
prozentualen Wert, der den Inflationsausgleich übersteigt, hilft, die
Mindereinnahmen und branchenbezogenen Mehrausgaben auszugleichen. Sie erhöht
darüber hinaus die wirtschaftlichen Handlungsspielräume für die
Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger.
Weitere Maßnahmen – wie die Einführung
neuer oder Änderung bestehender Ticketangebote – können außerhalb der hier
diskutierten Tarifmaßnahme erfolgen.