Betreff
Tarifmaßnahme des WestfalenTarifes zum 01.08.2022
Vorlage
SV-10-0349
Aktenzeichen
81
Art
Sitzungsvorlage

Beschluss:

 

Die Sitzungsvorlage wird zur Kenntnis genommen.

I. Sachdarstellung

 

II. Entscheidungsalternativen

 

III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, Klima)

 

IV. Zuständigkeit für die Entscheidung

 

Die Ticketpreise des WestfalenTarifes werden in der Regel jährlich am 01. August angepasst. In der Verbandsversammlung des ZVM kam der Wunsch auf, diese Maßnahmen so frühzeitig in den politischen Gremien des ZVM und der Münsterlandkreise sowie der Stadt Münster zu beraten, dass die kommunalen Vertreter in der Tarifgemeinschaft und im WestfalenTarif-Ausschuss ein Meinungsbild mitnehmen können.

 

Änderungen im überregionalen Tarifangebot des WestfalenTarifes werden durch den WestfalenTarif-Ausschuss (WTA) beschlossen. Hier sind über 60 erlösverantwortliche Verkehrsunternehmen (ÖPNV und SPNV) vertreten. Die Kreise Coesfeld, Warendorf und Borken haben durch ihre Brutto-Verkehrslinien ebenfalls Sitze und Stimmen im WTA. Zusätzlich werden sie, wie auch die Stadt Münster und der Kreis Steinfurt durch die RVM bzw. die Stadtwerke Münster im WTA vertreten. Als Aufgabenträger für den SPNV bzw. als Auftraggeber für SPNV-Bruttoleistungen ist auch der NWL im WTA vertreten.

 

Das gleiche System gilt für die Tarifgemeinschaft Münsterland – Ruhr-Lippe wo die wirtschaftlich bedeutsameren Preise der unteren Preisstufen bis zur Preisstufe 5M entschieden werden. Die o.g. Partner sind hier – allerdings beschränkt auf den Raum Münsterland – gleichfalls Gesellschafter mit Sitz und Stimme.

 

Die hohe Anzahl der Mitwirkenden beim Abstimmungsprozess innerhalb des WestfalenTarifes und die weitreichenden wirtschaftlichen Folgen der Beschlüsse erfordert eine intensive Beratung und einen relativ langen zeitlichen Vorlauf. Die Informationen über die mögliche Ausrichtung der Tarifentwicklung und über den aktuellen Verhandlungsstand erfolgen in der ZVM-Verbandsversammlung und in den Kreistagen oft sehr kurzfristig. Eine Beratung in den Gremien und eine Einflussnahme seitens der politischen Gremien war daher nur begrenzt möglich. Um diese Gestaltungsmöglichkeiten zumindest im Vorfeld der Beratungen zu erweitern, werden die möglichen Tarifmaßnahmen nun frühzeitiger aufgegriffen. So wurden diese bereits im Juni 2021 in die Verbandsversammlung des ZVM eingebracht und werden im September 2021 beraten. Ungefähr zeitlich parallel dazu werden die Ausschüsse und gegebenenfalls die Kreistage sowie der Rat der Stadt Münster in den Septembersitzungen dieses Thema beraten. Somit kann den Vertretern aus dem Münsterland ein ZVM-weites Meinungsbild in die Verhandlungen zur Tarifmaßnahme am 01.08.2022 mitgegeben werden. Diese Vorlage dient zur Unterstützung dieses Diskussionsprozesses.

 

Diese Vorlage wird durch eine Präsentation von Herr Matthias Hehl, Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft Münsterland – Ruhr-Lippe GmbH (diese umfasst die Verkehrsgebiete des ZVM und ZRL) sowie der WestfalenTarif GmbH, ergänzt (Anlage 1). Hierin wird ein Überblick über den WestfalenTarif gegeben sowie die Ausgangslage für die Tarifmaßnahme zum 01.08.2022 dargestellt.

 

Neben den als erforderlich angesehenen Maßnahmen zur Kundengewinnung bzw. Kundenrückgewinnung (Folie 19) und den mittel- und langfristigen Maßnahmen und Projekten (Folien 20 und 21) soll nach derzeitigem Diskussionsstand in der Gesellschafterversammlung der Tarifgemeinschaft Münsterland – Ruhr-Lippe mindestens die inflationsbedingte Kostensteigerung turnusmäßig zum 01.08.2022 umgesetzt werden (Folien 20 und 22). Zwischenzeitlich ist der Prognosewert von 1,56 % (Folie 16 und 17, Berechnungsbasis April 2021) auf rd. 1,8 % (Berechnungsbasis Juli 2021) gestiegen. Dies bedeutet, dass die Preise für die Tickets ab dem 01.08.2022 im Ergebnis durchschnittlich zwischen 1,6 und 1,9 % analog zur Inflationsentwicklung steigen würden. Dieses Modell der Preisanpassung ist vertraglich so festgelegt; eine Abweichung davon nach unten würde einen Anspruch der zustimmenden Partner auf einen entsprechenden Ausgleich bewirken.

 

Darüber hinaus gehende Tariferhöhungen sind möglich und wurden in der Vergangenheit auch teilweise umgesetzt. Tariferhöhungen, die über die inflationsbedingte Kostensteigerung hinausgehen, können unter anderem begründet werden durch

 

·         geringere Fahrgeldeinnahmen aufgrund der Corona-Pandemie (in Verbindung mit der noch unklaren Situation bezüglich eines weiteren Rettungsschirmes),

·         höhere Kosten im Verkehrssektor gegenüber dem Inflationsausgleich durch überdurchschnittlich gestiegene Energie-, Personal- und Infrastrukturkosten,

·         strukturelle Probleme bei der Finanzierung des SPNV (Themen: Insolvenzen der Verkehrsunternehmen, erforderliche Vertragsanpassungen, etc.).

 

Laut einer Mitteilung des NWL könnte sich über alle SPNV-Verkehrsverträge eine Kostensteigerung (ohne Berücksichtigung von Einnahmen) von 2,5 bis 3,0 % ergeben. Gemeinsam mit dem zu erwartenden geringeren Einnahmeniveau aus den Ticketverkäufen bestehen gute Gründe, die Ticketpreise zum 01.08.2022 auch deutlich über den Betrag des Inflationsausgleiches anzuheben. Es ist daher davon auszugehen, dass einige Mitglieder des WTA sich für eine Steigerung oberhalb der 2 % einsetzen werden.

 

Der Beschluss über die Preisentwicklung muss nach den derzeitigen Regelungen einstimmig erfolgen. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der prognostizierte Inflationswert von 1,8 % (Stand Juli 2021) noch erhöhen wird und dass einige Verhandlungspartner eine höhere Preissteigerung fordern werden. Auch der NWL als Aufgabenträger für den SPNV und Besteller von Verkehrsleistungen ist von der Kostenentwicklung deutlich betroffen.

 

Sollten ein oder mehrere Verhandlungspartner innerhalb des WTA bzw. der Tarifgemeinschaft Münsterland – Ruhr-Lippe einen Verzicht auf die Tarifmaßnahme in Höhe des Inflationsausgleiches erreichen, so müssten die übrigen Partner eine Ausgleichsfinanzierung sicherstellen. Sollte dieser Antrag von den kommunalen Aufgabenträgern kommen, so müssten diese auch das Defizit ausgleichen. Außerdem wäre in diesem Fall nicht sichergestellt, dass die strukturellen Weiterentwicklungen des Tarifes, wie z. B. die Maßnahmen zur Kundenrückgewinnung und die Angebote im X90 – Korridor zustande kommen.

 

Bei einer sogenannten 0-Runde, in der keine Preiserhöhungen zum 01.08.2022 umgesetzt werden, würde den Verkehrsunternehmen und den erlösverantwortlichen Aufgabenträgern allein im Tarifteilraum Münsterland – Ruhr-Lippe ca. 3,4 Mio. Euro fehlen, die entsprechend von der öffentlichen Hand ausgeglichen werden müssten (Folie 17). Sollten diese Fehlbeträge im folgenden Jahr nicht durch eine überproportionale Steigerung ausgeglichen werden, so sind diese fehlenden Beträge auch in den kommenden Jahren auszugleichen.

 

Ein Verzicht auf eine Anpassung der Ticketpreise in Höhe des Inflationsausgleiches würde letztendlich die Haushaltskassen der Kommunen belasten. Rechnerisch würden das genannte Defizit von 3,4 €/Tarifjahr auf 10 Kreise und kreisfreien Städten im Raum Münsterland/Ruhr-Lippe aufgeteilt werden. Der Bereich des Münsterlandes umfasst rund die Hälfte der hier genannten Beträge.

 

Im Falle einer 0-Runde würden sich im ZVM-Raum Fehlbeträge durch entgangene Einnahmen allein für das kommunale Verkehrsunternehmen RVM in Höhe von 320.000 Euro pro Prozentpunkt ergeben. Hinzu kommen die Beträge für die eigenwirtschaftlich verkehrenden Linienbusunternehmen, die vom Kreis beauftragten Linien sowie die vom NWL beauftragten Linien des SPNV (Schienenpersonennahverkehr).

 

Am Beispiel der RVM würde die Mehrkosten für das Tarifjahr 2022/2023 rd. 500.000 € betragen, die durch die Kreise als Gesellschafter nach dem Schlüssel für die Erlöse wie folgt aufgeteilt werden würden:

 

Kreis                                                                      Anteil Erlöse                       vsl. Mehrkosten 2022/23 alleine RVM

Kreis Borken                                       24 %                                                      120.000

Kreis Coesfeld                                   19 %                                                        95.000

Kreis Steinfurt                                   33 %                                                      165.000

Kreis Warendorf                               24 %                                                      120.000

 

Hinzu kämen wie beschrieben die Erstattung der entgangenen Einnahmen für die übrigen Verkehrsunternehmen in noch unbekannter Größenordnung.

 

Die Kostenangaben berücksichtigen nicht die Mindererlöse, die durch die Corona-Pandemie sowie durch deren Folgen verursacht wurden und in Zukunft werden.

 

Dieser betriebswirtschaftlichen Betrachtung steht der Wunsch von Teilen der Bevölkerung entgegen, die Preise der Tickets für Bus und Bahn nicht zu erhöhen oder gar zu senken. Auch die öffentlichen Akteure sind bestrebt, die Attraktivität des ÖPNV durch nutzerfreundliche Tarife zu steigern. Die Kreise erwarten insofern von den Verkehrsunternehmen eine zurückhaltende, bedarfs- und vor allem fahrgastorientierte Tarifgestaltung (vgl. bspw. NVP Kreis Warendorf, Kap. 6.3.16).

 

Das Thema Fahrpreis ist für die Mehrheit der Fahrgäste jedoch nicht der entscheidende Grund für oder gegen die Nutzung des ÖPNV. Bei der Mobilitätswahl wahlfreier Bürgerinnen und Bürger steht der ÖPNV in ständiger Konkurrenz zu den anderen Mobilitätsmöglichkeiten. In der Regel wird bei Strecken über 5-10 km das Auto als Vergleich herangezogen. Die Kriterien für die Wahl des Verkehrsmittels sind Erreichbarkeit der Ziele, Fahrdauer/Reisezeit, Kosten, Pünktlichkeit sowie weiche Kriterien wie Bequemlichkeit, Sicherheit, Umweltfreundlichkeit. Das Kriterium Kosten rangiert je nach Aufbau der Umfrage in der Regel auf Platz 3 bis 4 der für die Mobilitätswahl entscheidenden Faktoren, (vgl. Probst & Consorten, Präsentation ZVM-Verbandsversammlung am 24.08.2020). Die Fahrgäste sind in der Regel bereit, einen „fairen“ Preis für den ÖPNV zu zahlen, dessen Bewertung sich immer auch nach der gebotenen Leistung von Bus und Bahn sowie nach der Qualität der Alternativangebote richtet.

 

Zusammengefasst ergeben sich mehrere Handlungsoptionen für die Anpassung der Ticketpreise zum 01.08.2022:

 

1.       Bei einer 0-Runde wird auf eine Preiserhöhung verzichtet; die Ticketpreise bleiben exakt auf dem bisherigen Niveau. Dies führt zu einer Unterfinanzierung der ÖPNV- und SPNV-Verkehre, da sich die Kosten erhöht haben. Aufgrund der bestehenden Regelungen haben die erlösverantwortlichen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger einen Anspruch auf den Ausgleich des Inflationswertes. Dieser beträgt für den Raum Münsterland – Ruhr-Lippe rund 3,4 € für ein Tarifjahr. Hierdurch entstehen den Münsterlandkreisen jeweils eine Mehrbelastung im sechsstelligen Bereich. Dieser Fehlbetrag muss auch in den Folgejahren ausgeglichen werden. Weitere Maßnahmen wie die Aktionen zur Verbesserung der Verkehre im Bereich des X90 – Korridors im Kreis Coesfeld sowie Maßnahmen zur Kundenrückgewinnung können nicht in Kraft treten.

2.       Bei einer Tarifanpassung in der Größenordnung der Inflationsentwicklung (nach derzeitige Kalkulation beträgt diese rund 1,8 %) steigen die Ticketpreise durchschnittlich um den entsprechenden Wert.

3.       Eine Tarifanpassung um einen prozentualen Wert, der den Inflationsausgleich übersteigt, hilft, die Mindereinnahmen und branchenbezogenen Mehrausgaben auszugleichen. Sie erhöht darüber hinaus die wirtschaftlichen Handlungsspielräume für die Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger.

 

Weitere Maßnahmen – wie die Einführung neuer oder Änderung bestehender Ticketangebote – können außerhalb der hier diskutierten Tarifmaßnahme erfolgen.