Der Kreistag
stimmt der sofortigen Aufstockung der Betreuungsstelle im Umfang von 0,615 VZÄ Sozialarbeit,
Entgeltgruppe S12, zu.
Begründung:
I. Problem
Im Mai 2021 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts veröffentlicht werden, in dem der Bundesgesetzgeber erklärt hat, die Wünsche der Betreuten vermehrt in den Fokus zu rücken, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu stärken und gleichzeitig eine Qualitätssteigerung im Betreuungsrecht zu erreichen. Dadurch wurde das Betreuungsrecht neu strukturiert und im neu geschaffenen Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) zusammengeführt und gesetzlich verankert. Das BtOG ist zum 01.01.2023 auf Landesebene umzusetzen, was wiederum eine Anpassung des bisherigen Landesbetreuungsgesetzes nach sich zieht. Diese Anpassung ist am 06.04.2022 im Landtag beschlossen worden.
Im Wesentlichen sind im Landesbetreuungsgesetz folgende Änderungen vorgenommen worden:
·
Verankerung des Instrumentes der erweiterten Unterstützung
Mit den §§ 8 und 11 des BtOG wurde
das Instrument der erweiterten Unterstützung neu geschaffen. Dabei handelt es
sich um ein im Vorfeld einer Betreuung einzusetzendes temporäres
Fall-Management, um die Einrichtung einer Betreuung möglichst zu vermeiden. Das
BtOG führt die erweiterte Unterstützung grundsätzlich in allen Verfahren zur
Betreuerbestellung ein, eröffnet den Ländern allerdings in § 11 Absatz 5 BtOG die
Möglichkeit, dieses Instrument modellhaft zu erproben. Von dieser Möglichkeit
wird in Nordrhein-Westfalen Gebrauch gemacht. Das Land NRW plant die Einführung
dieser erweiterten Unterstützung im Rahmen eines Modellvorhabens bei
voraussichtlich acht Betreuungsbehörden in Nordrhein-Westfalen.
·
Im BtOG wurde erstmals ein gesetzlicher Anspruch der anerkannten
Betreuungsvereine auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit
öffentlichen Mitteln zur Wahrnehmung der ihnen nach §15 Absatz 1 BtOG
obliegenden Aufgaben festgeschrieben. Diese Regelung zieht die Notwendigkeit
einer Anpassung der bisherigen gesetzlichen Norm im Landesbetreuungsgesetz nach
sich.
·
Schaffung einer Verordnungsermächtigung, um das neu geschaffene
Registrierungsverfahren für Berufsbetreuerinnen und -betreuer sowie einen
etwaigen finanziellen Ausgleich nachgelagert konkretisieren zu können.
Hintergrund ist eine noch ausstehende Verordnung des Bundes zur Ausgestaltung
des Registrierungsverfahrens. Das MAGS beteiligt sich an einer entsprechenden
Arbeitsgruppe des BMJV.
·
Festlegung des Landesamts für Finanzen Nordrhein-Westfalen (LaFin)
als überörtliche Betreuungsbehörde. Hintergrund ist ein in der Vergangenheit
durchgeführtes Modellvorhaben, in dem von Dienstunfähigkeit bedrohte Beamtinnen
und Beamte als Betreuerinnen und Betreuer eingesetzt wurden; dies hat sich
bewährt. Die Regelung folgt einer bereits existierenden Regelung in
Niedersachen.
·
Die Kommunen nehmen als Betreuungsbehörden
ihre Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr. Aufgrund des
Aufgabenzuwachses bei den Betreuungsbehörden und ihrer zentralen Rolle im
betreuungsrechtlichen Verfahren führt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales die Aufsicht in Form einer Sonder- bzw. Fachaufsicht.
Neben den zusätzlichen Beratungs- und Betreuungsaufgaben in der
Zusammenarbeit mit den Betreuungsgerichten und den Betreuungsvereinen sind die
Betreuungsstellen zukünftig auch für die Umsetzung und Durchführung des neu
geschaffenen Registrierungsverfahrens nach §§ 23, 24 BtOG verantwortlich. Der Aufgabenzuwachs ist mit dem bisherigen
Personal nicht zu schaffen, zumal bereits die derzeitigen Aufgaben mit dem
vorhandenen Personal (0,6 VZÄ Sozialarbeit sowie Mitarbeitende des sozialpsychiatrischen
Dienstes) kaum zu stemmen sind.
Bisherige Aufgaben der Betreuungsstelle:
- Behördliche Aufgaben nach dem Betreuungsrecht
- Zusammenarbeit zwischen Betreuungsgerichten, Betreuungsvereinen und freiberuflichen Betreuerinnen und Betreuern
- Betroffene und andere interessierte Personen über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen informieren und allgemein gehaltene Hilfestellungen leisten (§ 4 Abs. 1 BtBG)
- Betroffene erhalten Beratungen (§ 4 Abs. 2 BtBG)
- Beratung und Unterstützung der Betreuerinnen und Betreuer (auch bei der Erstellung von Betreuungsplänen, Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung)
- Sicherstellung von ausreichend Berufsbetreuenden im Einsatzgebiet
- Abfassung von Schriftstücken, Ausfüllen von Anträgen
- Beglaubigungen von Unterschriften und Handzeichen, die unter Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen gesetzt wurden
- Unterstützung bei Vorführungen und Unterbringungen (§ 10 BtBG)
- Beratungen und Hilfestellungen zum Thema Vorsorgevollmacht (§ 5 BtBG) sowie Patientenverfügung
- zusätzliche Aufgaben nach Landesrecht (z.B. Organisationen von örtlichen Betreuungsarbeitsgemeinschaften)
- Vormundschaftsgerichtshilfe bzw. Betreuungsgerichtshilfe (Ermittlungen zum Sachverhalt, Benennung von Betreuenden und Verfahrenspflegerinnen und -pflegern etc.)
- Vernetzung: Kooperation mit dem Kreis Borken und der Stadt Bocholt (gesetzlich vorgeschriebene Fortbildungsangebote für Betreuende); Projektgruppe „Freiheitsentziehende Maßnahmen“; Austausch mit den Betreuungsstellen im Münsterland (ÜAG); Überörtliche Arbeitsgemeinschaft (AGöB); Organisation und Durchführung der Austauschtreffen nach §4 LBtG mit Amtsgerichten, Betreuungsvereinen, Berufsbetreuerinnen und -betreuern
Bereits in der Vergangenheit konnten Pflichtaufgaben nicht vollumfänglich erfüllt werden.
Durch die neue Gesetzgebung und damit einhergehender zusätzlicher Aufgaben wird die Betreuungsstelle auch in Zukunft die Pflichtaufgaben ohne Personalzuwachs nicht vollumfänglich erfüllen können.
Ab dem 01.01.2023 ergeben sich folgende zusätzliche Aufgaben:
-
Ausweitung
der Zuständigkeiten für Beglaubigungen
-
Ehegattenvertretung
(Vorsorgeberatung)
-
Unterstützung
ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer beim Abschluss einer Vereinbarung mit
Betreuungsvereinen
-
Förderungsaufgaben
(Erweiterung der Pflicht zur Förderung der Aufklärung auf Patientenverfügungen)
-
Hinweis
auf Registrierungsmöglichkeit im Zentralen Vorsorgeregister (i.V.m.
Beglaubigungen)
-
Beratung
und (erweiterte) Unterstützung außerhalb von Gerichtsverfahren, wenn der Kreis
Modellkommune würde
-
Mitteilungen
an Betreuungsvereine über die Bestallung ehrenamtlicher Betreuerinnen und
Betreuer
-
Prüfung
der Erforderlichkeit vor Verlängerung der Betreuung in geeigneten Fällen
-
Vorschlag
einer geeigneten Betreuungsperson (Begründung, Vorlage von Nachweisen von
ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern, Prüfung der Anbindung an einen
Verein)
-
Vermittlung
eines persönlichen Gesprächs zwischen vorgeschlagener Betreuungsperson und
Betroffenen
-
Informationsaustausch
mit der Stammbehörde, wenn vorgeschlagene Betreuungsperson aus einer anderen
Region stammt
-
Zulassungs-
und Registrierungsverfahren für Neufälle (Prüfung der persönlichen Eignung
[geordnete Vermögensverhältnisse, Vorlage Führungszeugnis, Auskunft aus dem
Schuldnerverzeichnis], ausreichende Sachkunde [Vorhandensein bestimmter
Fachkenntnisse], Vorlage einer Berufshaftpflicht)
-
Zulassungs-
und Registrierungsverfahren für Altfälle [Betreuungsperson ist länger als drei
Jahre als Berufsbetreuung tätig]
-
Mitteilungs-
und Nachweispflichten der Berufsbetreuenden alle vier Monate
-
laufende
Vorlagen der Berufsbetreuenden alle drei Jahre (Führungszeugnis, Auskunft aus
dem Schuldnerverzeichnis, Erklärung über die mögliche Einleitung eines
Insolvenzverfahrens bzw. die Anhängigkeit eines Ermittlung- oder
Strafverfahrens gegen die Betreuerin oder den Betreuer)
-
Pflicht
zum Widerruf der Registrierung, wenn begründete Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, dass die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit nicht mehr
vorliegt
-
Rücknahme
von Registrierungen
-
Löschung
von Registrierungen
-
Beratung
von Geheimnisträgerinnen und -trägern: Ärztinnen und Ärzten, Sozialarbeitenden,
Altenpflegepersonen (pp.) zur Einschätzung einer Gefährdung der zu betreuenden
Personen
Alleine für die zusätzlichen Aufgaben ergibt sich ein Mehraufwand von jährlich ca. 1.143
Stunden, woraus sich ein zusätzlicher Personalbedarf von 0,72 VZÄ ergibt. Die
Berechnungsgrundlage ist als Anlage beigefügt. Die Berechnungsgrundlage beruht
auf Schätzwerten, da bei einer Vielzahl der neuen Aufgaben der tatsächliche
Mehraufwand erst mit der tatsächlichen Übernahme der Aufgaben abgesehen werden
kann.
Im Rahmen der im Jahr 2016 vom
Institut IN/S/O durchgeführten Organisationsuntersuchung wurde der personelle
Mehrbedarf der Betreuungsstelle, bereits zu diesem Zeitpunkt, auf 0,38 VZÄ
errechnet. Die über die Jahre stetig steigenden Betreuungszahlen im Kreis
Coesfeld (Abb. 1) zeigen an, dass dieser Bedarf weiterhin besteht und
perspektivisch weiter steigen wird: Der demographische Wandel wird einen
Rückgang der familiären Pflege- und Betreuungsübernahmen zur Folge haben, welche
dann in rechtlichen Betreuungsverhältnissen aufgefangen werden müssen.
Abb. 1: Entwicklung der Betreuungszahlen im
Kreis Coesfeld (*2016 und 2020 gerundete Werte) [eigene Darstellung]
Im Jahr 2021 lag die Zahl der
beruflich Betreuenden im Kreis Coesfeld bei 69. Diese waren für ca. 6.630 zu betreuende
Personen zuständig. Die aus den o.g. Gründen steigenden Betreuungszahlen werden
einen höheren Bedarf an Betreuern und Betreuerinnen nach sich ziehen, was
zusätzlich, auch aufgrund des zukünftig sehr umfangreichen Zulassungs- und
Registrierungsverfahrens, zu einer steigenden Arbeitsbelastung in der
Betreuungsstelle führt. Auch müssen weitere interessierte Betreuerinnen und
Betreuer geworben werden. Schon jetzt sind die Kapazitäten bei vielen
Betreuenden ausgeschöpft. Hinzukommt, dass Betreuer und Betreuerinnen in den
Ruhestand gehen werden ohne dass eine Nachfolge bisher geregelt wäre. Die
Vorbereitung, Planung und Umsetzung von Informationsveranstaltungen zum Zwecke
der Werbung neuer geeigneter Betreuungspersonen sowie deren - gesetzlich
vorgeschriebener - Fort- und Weiterbildung sowie Beratung durch die
Betreuungsstelle, wird sowohl Aufgaben für die Sozialarbeitenden als auch die
Verwaltung nach sich ziehen: Inhaltliche Planungen und Durchführung der
Veranstaltungen sowie das Veranstaltungsmanagement werden zeitliche Ressourcen
bündeln [Abb. 2].
Abb.
2: Zeitlicher Mehraufwand für Werbung neuer Betreuender in h/Quartal;
Schätzwert [eigene Darstellung]
Auch die nach § 4 Landesbetreuungsgesetz verpflichtende
Durchführung von Austauschtreffen aller an gesetzlichen und ehrenamtlichen
Betreuungen beteiligter Stellen und Personen (Betreuungsgerichte und -vereine,
beruflich Betreuende etc.) muss von der Betreuungsstelle wieder aufgenommen
werden. Seit 2016 konnten diese aus zeitlichen Gründen nicht mehr stattfinden.
Hier konnten gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt werden. Die negativen
Rückmeldungen seitens der betreffenden Personenkreise häufen sich bei der Betreuungsstelle.
Um die hiervon ausgehende negative Außendarstellung abzuwenden, werden weitere
zeitliche Ressourcen benötigt. Hochgerechnet werden hier weitere 20 Stunden pro
Halbjahr (10 h Verwaltung für Veranstaltungsplanung wie Raumbuchung,
Nutzungsverträge, Abrechnung sowie 10 h Sozialarbeitende für Programmplanung,
-begleitung und inhaltliche Durchführung) gebunden werden.
Die Betreuungsstelle hat die Aufgabe, Bürger und Bürgerinnen über
Vorsorgeinstrumente zu informieren, die eine Vermeidung einer gesetzlichen
Betreuung ermöglichen könnten:
Diese vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte ausführliche
Aufklärung über private Vorsorgeinstrumente (Vorsorgevollmacht,
Patientenverfügung, Betreuungsverfügung) ist im Kreis Coesfeld bisher nur in
geringem Umfang möglich. Eigene Informationsveranstaltungen der Behörde haben
in den letzten Jahren gar nicht stattgefunden. Anfragen zu Vorträgen zum
Betreuungsrecht von Veranstaltern aus dem Kreisgebiet mussten regelmäßig
abgesagt werden. Auch sind die Zahlen der Beglaubigungen dieser
Vorsorgeinstrumente, nach einem kurzen Anstieg in 2020, wieder auf ein sehr
geringes Maß zurückgegangen [Abb. 3]. Um tatsächlich rechtliche Betreuungsfälle
vermeiden zu können, müssen hier die Bemühungen zur Aufklärung und Information
deutlich angehoben werden.
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Abb.
3: Anzahl der Beglaubigungen von Vorsorgeinstrumenten im Kreis Coesfeld [eigene
Darstellung]
Zusammenfassend wird deutlich, dass mit dem bisherigen
Stellenumfang bereits zahlreiche Pflichtaufgaben der Betreuungsstelle nicht
erfüllt werden konnten. Hinzu kommen weitere Bedarfe durch die erweiterten
Aufgaben durch die Gesetzesreform.
Bei den durch die Gesetzesreform erneuerten Registrierungs- und
Beendigungsregularien für Berufsbetreuende (bspw. Entzug oder Rücknahme der
(vorläufigen) Registrierung, werden Verwaltungsverfahren notwendig sein, die
von der Wertigkeit der Laufbahngruppe 2,1 Einstiegsamt (ehemals gehobener
nichttechnischer Dienst) zuzuordnen wären.
Neben dem zusätzlichen Personalbedarf für die neuen, zusätzlichen
Aufgaben sollte bei der Personalbemessung auch die bisherige Auslastung der
Betreuungsstelle sowie die demografische Entwicklung berücksichtigt werden.
II. Lösung
Zur vollumfänglichen Erfüllung aller bisherigen Pflichtaufgaben und zur Vorbereitung der anstehenden Veränderungsprozesse sowie der zukünftigen Aufgaben, sollte die Betreuungsstelle langfristig um 1,6 VZÄ (1,1 VZÄ Sozialarbeit, Entgeltgruppe S12 und 0,5 VZÄ Verwaltung, Entgeltgruppe E 9 c) erhöht werden.
Da sich der tatsächliche personelle Mehrbedarf erst mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung wird absehen lassen, werden zum heutigen Tage 0,615 VZÄ Sozialarbeit, Entgeltgruppe S 12, beantragt.
III. Alternativen
Es verbleibt beim bisherigen Stellenanteil. Etwaige Pflichtaufgaben können dann nicht vollumfänglich erledigt werden. Zudem ist mit Verzögerungen im Rahmen des Zulassungs- und Registrierungsverfahrens zu rechnen. Gesetzliche Vorgaben werden somit nicht erfüllt.
IV. Auswirkungen/Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, sonstige
Ressourcen)
Es fallen zusätzliche Personalkosten für 0,615 VZÄ Entgeltgruppe S 12 an.
Die Mittel sind im Haushalt veranschlagt.
Inwieweit ein finanzieller Ausgleich des Landes erfolgt, ist derzeit unklar.
V. Zuständigkeit für die Entscheidung
Gemäß § 26 Abs. 1 KrO ist der Kreistag für die Entscheidung zuständig.
Anlage: Berechnung des Mehraufwands durch die BtOG