Betreff
Ausweitung der Betreuungsstelle
Vorlage
SV-10-0559
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Der Kreistag stimmt der sofortigen Aufstockung der Betreuungsstelle im Umfang von 0,615 VZÄ Sozialarbeit, Entgeltgruppe S12, zu.

 

 

Begründung:

 

I. Problem

Im Mai 2021 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts veröffentlicht werden, in dem der Bundesgesetzgeber erklärt hat, die Wünsche der Betreuten vermehrt in den Fokus zu rücken, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu stärken und gleichzeitig eine Qualitätssteigerung im Betreuungsrecht zu erreichen. Dadurch wurde das Betreuungsrecht neu strukturiert und im neu geschaffenen Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) zusammengeführt und gesetzlich verankert. Das BtOG ist zum 01.01.2023 auf Landesebene umzusetzen, was wiederum eine Anpassung des bisherigen Landesbetreuungsgesetzes nach sich zieht. Diese Anpassung ist am 06.04.2022 im Landtag beschlossen worden.

 

Im Wesentlichen sind im Landesbetreuungsgesetz folgende Änderungen vorgenommen worden:

 

·         Verankerung des Instrumentes der erweiterten Unterstützung

Mit den §§ 8 und 11 des BtOG wurde das Instrument der erweiterten Unterstützung neu geschaffen. Dabei handelt es sich um ein im Vorfeld einer Betreuung einzusetzendes temporäres Fall-Management, um die Einrichtung einer Betreuung möglichst zu vermeiden. Das BtOG führt die erweiterte Unterstützung grundsätzlich in allen Verfahren zur Betreuerbestellung ein, eröffnet den Ländern allerdings in § 11 Absatz 5 BtOG die Möglichkeit, dieses Instrument modellhaft zu erproben. Von dieser Möglichkeit wird in Nordrhein-Westfalen Gebrauch gemacht. Das Land NRW plant die Einführung dieser erweiterten Unterstützung im Rahmen eines Modellvorhabens bei voraussichtlich acht Betreuungsbehörden in Nordrhein-Westfalen.

·         Im BtOG wurde erstmals ein gesetzlicher Anspruch der anerkannten Betreuungsvereine auf eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln zur Wahrnehmung der ihnen nach §15 Absatz 1 BtOG obliegenden Aufgaben festgeschrieben. Diese Regelung zieht die Notwendigkeit einer Anpassung der bisherigen gesetzlichen Norm im Landesbetreuungsgesetz nach sich.

·         Schaffung einer Verordnungsermächtigung, um das neu geschaffene Registrierungsverfahren für Berufsbetreuerinnen und -betreuer sowie einen etwaigen finanziellen Ausgleich nachgelagert konkretisieren zu können. Hintergrund ist eine noch ausstehende Verordnung des Bundes zur Ausgestaltung des Registrierungsverfahrens. Das MAGS beteiligt sich an einer entsprechenden Arbeitsgruppe des BMJV.

·         Festlegung des Landesamts für Finanzen Nordrhein-Westfalen (LaFin) als überörtliche Betreuungsbehörde. Hintergrund ist ein in der Vergangenheit durchgeführtes Modellvorhaben, in dem von Dienstunfähigkeit bedrohte Beamtinnen und Beamte als Betreuerinnen und Betreuer eingesetzt wurden; dies hat sich bewährt. Die Regelung folgt einer bereits existierenden Regelung in Niedersachen.

·         Die Kommunen nehmen als Betreuungsbehörden ihre Aufgaben als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr. Aufgrund des Aufgabenzuwachses bei den Betreuungsbehörden und ihrer zentralen Rolle im betreuungsrechtlichen Verfahren führt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales die Aufsicht in Form einer Sonder- bzw. Fachaufsicht.

 

Neben den zusätzlichen Beratungs- und Betreuungsaufgaben in der Zusammenarbeit mit den Betreuungsgerichten und den Betreuungsvereinen sind die Betreuungsstellen zukünftig auch für die Umsetzung und Durchführung des neu geschaffenen Registrierungsverfahrens nach §§ 23, 24 BtOG verantwortlich.  Der Aufgabenzuwachs ist mit dem bisherigen Personal nicht zu schaffen, zumal bereits die derzeitigen Aufgaben mit dem vorhandenen Personal (0,6 VZÄ Sozialarbeit sowie Mitarbeitende des sozialpsychiatrischen Dienstes) kaum zu stemmen sind.

 


 

Bisherige Aufgaben der Betreuungsstelle:

 

-          Behördliche Aufgaben nach dem Betreuungsrecht

-          Zusammenarbeit zwischen Betreuungsgerichten, Betreuungsvereinen und freiberuflichen Betreuerinnen und Betreuern

-          Betroffene und andere interessierte Personen über allgemeine betreuungsrechtliche Fragen informieren und allgemein gehaltene Hilfestellungen leisten (§ 4 Abs. 1 BtBG)

-          Betroffene erhalten Beratungen (§ 4 Abs. 2 BtBG)

-          Beratung und Unterstützung der Betreuerinnen und Betreuer (auch bei der Erstellung von Betreuungsplänen, Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung)

-          Sicherstellung von ausreichend Berufsbetreuenden im Einsatzgebiet

-          Abfassung von Schriftstücken, Ausfüllen von Anträgen

-          Beglaubigungen von Unterschriften und Handzeichen, die unter Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen gesetzt wurden

-          Unterstützung bei Vorführungen und Unterbringungen (§ 10 BtBG)

-          Beratungen und Hilfestellungen zum Thema Vorsorgevollmacht (§ 5 BtBG) sowie Patientenverfügung

-          zusätzliche Aufgaben nach Landesrecht (z.B. Organisationen von örtlichen Betreuungsarbeitsgemeinschaften)

-          Vormundschaftsgerichtshilfe bzw. Betreuungsgerichtshilfe (Ermittlungen zum Sachverhalt, Benennung von Betreuenden und Verfahrenspflegerinnen und -pflegern etc.)

-          Vernetzung: Kooperation mit dem Kreis Borken und der Stadt Bocholt (gesetzlich vorgeschriebene Fortbildungsangebote für Betreuende); Projektgruppe „Freiheitsentziehende Maßnahmen“; Austausch mit den Betreuungsstellen im Münsterland (ÜAG); Überörtliche Arbeitsgemeinschaft (AGöB); Organisation und Durchführung der Austauschtreffen nach §4 LBtG mit Amtsgerichten, Betreuungsvereinen, Berufsbetreuerinnen und -betreuern

 

Bereits in der Vergangenheit konnten Pflichtaufgaben nicht vollumfänglich erfüllt werden.

 

Durch die neue Gesetzgebung und damit einhergehender zusätzlicher Aufgaben wird die Betreuungsstelle auch in Zukunft die Pflichtaufgaben ohne Personalzuwachs nicht vollumfänglich erfüllen können.

 

Ab dem 01.01.2023 ergeben sich folgende zusätzliche Aufgaben:

 

-          Ausweitung der Zuständigkeiten für Beglaubigungen

-          Ehegattenvertretung (Vorsorgeberatung)

-          Unterstützung ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer beim Abschluss einer Vereinbarung mit Betreuungsvereinen

-          Förderungsaufgaben (Erweiterung der Pflicht zur Förderung der Aufklärung auf Patientenverfügungen)

-          Hinweis auf Registrierungsmöglichkeit im Zentralen Vorsorgeregister (i.V.m. Beglaubigungen)

-          Beratung und (erweiterte) Unterstützung außerhalb von Gerichtsverfahren, wenn der Kreis Modellkommune würde

-          Mitteilungen an Betreuungsvereine über die Bestallung ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer

-          Prüfung der Erforderlichkeit vor Verlängerung der Betreuung in geeigneten Fällen

-          Vorschlag einer geeigneten Betreuungsperson (Begründung, Vorlage von Nachweisen von ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuern, Prüfung der Anbindung an einen Verein)

-          Vermittlung eines persönlichen Gesprächs zwischen vorgeschlagener Betreuungsperson und Betroffenen

-          Informationsaustausch mit der Stammbehörde, wenn vorgeschlagene Betreuungsperson aus einer anderen Region stammt

-          Zulassungs- und Registrierungsverfahren für Neufälle (Prüfung der persönlichen Eignung [geordnete Vermögensverhältnisse, Vorlage Führungszeugnis, Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis], ausreichende Sachkunde [Vorhandensein bestimmter Fachkenntnisse], Vorlage einer Berufshaftpflicht)

-          Zulassungs- und Registrierungsverfahren für Altfälle [Betreuungsperson ist länger als drei Jahre als Berufsbetreuung tätig]

-          Mitteilungs- und Nachweispflichten der Berufsbetreuenden alle vier Monate

-          laufende Vorlagen der Berufsbetreuenden alle drei Jahre (Führungszeugnis, Auskunft aus dem Schuldnerverzeichnis, Erklärung über die mögliche Einleitung eines Insolvenzverfahrens bzw. die Anhängigkeit eines Ermittlung- oder Strafverfahrens gegen die Betreuerin oder den Betreuer)

-          Pflicht zum Widerruf der Registrierung, wenn begründete Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit nicht mehr vorliegt

-          Rücknahme von Registrierungen

-          Löschung von Registrierungen

-          Beratung von Geheimnisträgerinnen und -trägern: Ärztinnen und Ärzten, Sozialarbeitenden, Altenpflegepersonen (pp.) zur Einschätzung einer Gefährdung der zu betreuenden Personen

 

Alleine für die zusätzlichen Aufgaben ergibt sich ein Mehraufwand von jährlich ca. 1.143 Stunden, woraus sich ein zusätzlicher Personalbedarf von 0,72 VZÄ ergibt. Die Berechnungsgrundlage ist als Anlage beigefügt. Die Berechnungsgrundlage beruht auf Schätzwerten, da bei einer Vielzahl der neuen Aufgaben der tatsächliche Mehraufwand erst mit der tatsächlichen Übernahme der Aufgaben abgesehen werden kann.

 

Im Rahmen der im Jahr 2016 vom Institut IN/S/O durchgeführten Organisationsuntersuchung wurde der personelle Mehrbedarf der Betreuungsstelle, bereits zu diesem Zeitpunkt, auf 0,38 VZÄ errechnet. Die über die Jahre stetig steigenden Betreuungszahlen im Kreis Coesfeld (Abb. 1) zeigen an, dass dieser Bedarf weiterhin besteht und perspektivisch weiter steigen wird: Der demographische Wandel wird einen Rückgang der familiären Pflege- und Betreuungsübernahmen zur Folge haben, welche dann in rechtlichen Betreuungsverhältnissen aufgefangen werden müssen.

Abb. 1: Entwicklung der Betreuungszahlen im Kreis Coesfeld (*2016 und 2020 gerundete Werte) [eigene Darstellung]

 

Im Jahr 2021 lag die Zahl der beruflich Betreuenden im Kreis Coesfeld bei 69. Diese waren für ca. 6.630 zu betreuende Personen zuständig. Die aus den o.g. Gründen steigenden Betreuungszahlen werden einen höheren Bedarf an Betreuern und Betreuerinnen nach sich ziehen, was zusätzlich, auch aufgrund des zukünftig sehr umfangreichen Zulassungs- und Registrierungsverfahrens, zu einer steigenden Arbeitsbelastung in der Betreuungsstelle führt. Auch müssen weitere interessierte Betreuerinnen und Betreuer geworben werden. Schon jetzt sind die Kapazitäten bei vielen Betreuenden ausgeschöpft. Hinzukommt, dass Betreuer und Betreuerinnen in den Ruhestand gehen werden ohne dass eine Nachfolge bisher geregelt wäre. Die Vorbereitung, Planung und Umsetzung von Informationsveranstaltungen zum Zwecke der Werbung neuer geeigneter Betreuungspersonen sowie deren - gesetzlich vorgeschriebener - Fort- und Weiterbildung sowie Beratung durch die Betreuungsstelle, wird sowohl Aufgaben für die Sozialarbeitenden als auch die Verwaltung nach sich ziehen: Inhaltliche Planungen und Durchführung der Veranstaltungen sowie das Veranstaltungsmanagement werden zeitliche Ressourcen bündeln [Abb. 2].

 

Abb. 2: Zeitlicher Mehraufwand für Werbung neuer Betreuender in h/Quartal; Schätzwert [eigene Darstellung]

 

 

Auch die nach § 4 Landesbetreuungsgesetz verpflichtende Durchführung von Austauschtreffen aller an gesetzlichen und ehrenamtlichen Betreuungen beteiligter Stellen und Personen (Betreuungsgerichte und -vereine, beruflich Betreuende etc.) muss von der Betreuungsstelle wieder aufgenommen werden. Seit 2016 konnten diese aus zeitlichen Gründen nicht mehr stattfinden. Hier konnten gesetzliche Vorgaben nicht erfüllt werden. Die negativen Rückmeldungen seitens der betreffenden Personenkreise häufen sich bei der Betreuungsstelle. Um die hiervon ausgehende negative Außendarstellung abzuwenden, werden weitere zeitliche Ressourcen benötigt. Hochgerechnet werden hier weitere 20 Stunden pro Halbjahr (10 h Verwaltung für Veranstaltungsplanung wie Raumbuchung, Nutzungsverträge, Abrechnung sowie 10 h Sozialarbeitende für Programmplanung, -begleitung und inhaltliche Durchführung) gebunden werden.

 

Die Betreuungsstelle hat die Aufgabe, Bürger und Bürgerinnen über Vorsorgeinstrumente zu informieren, die eine Vermeidung einer gesetzlichen Betreuung ermöglichen könnten:

 

Diese vom Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte ausführliche Aufklärung über private Vorsorgeinstrumente (Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Betreuungsverfügung) ist im Kreis Coesfeld bisher nur in geringem Umfang möglich. Eigene Informationsveranstaltungen der Behörde haben in den letzten Jahren gar nicht stattgefunden. Anfragen zu Vorträgen zum Betreuungsrecht von Veranstaltern aus dem Kreisgebiet mussten regelmäßig abgesagt werden. Auch sind die Zahlen der Beglaubigungen dieser Vorsorgeinstrumente, nach einem kurzen Anstieg in 2020, wieder auf ein sehr geringes Maß zurückgegangen [Abb. 3]. Um tatsächlich rechtliche Betreuungsfälle vermeiden zu können, müssen hier die Bemühungen zur Aufklärung und Information deutlich angehoben werden.

 

Abb. 3: Anzahl der Beglaubigungen von Vorsorgeinstrumenten im Kreis Coesfeld [eigene Darstellung]

 

Zusammenfassend wird deutlich, dass mit dem bisherigen Stellenumfang bereits zahlreiche Pflichtaufgaben der Betreuungsstelle nicht erfüllt werden konnten. Hinzu kommen weitere Bedarfe durch die erweiterten Aufgaben durch die Gesetzesreform.

 

Bei den durch die Gesetzesreform erneuerten Registrierungs- und Beendigungsregularien für Berufsbetreuende (bspw. Entzug oder Rücknahme der (vorläufigen) Registrierung, werden Verwaltungsverfahren notwendig sein, die von der Wertigkeit der Laufbahngruppe 2,1 Einstiegsamt (ehemals gehobener nichttechnischer Dienst) zuzuordnen wären.

 

Neben dem zusätzlichen Personalbedarf für die neuen, zusätzlichen Aufgaben sollte bei der Personalbemessung auch die bisherige Auslastung der Betreuungsstelle sowie die demografische Entwicklung berücksichtigt werden.

 

II. Lösung

Zur vollumfänglichen Erfüllung aller bisherigen Pflichtaufgaben und zur Vorbereitung der anstehenden Veränderungsprozesse sowie der zukünftigen Aufgaben, sollte die Betreuungsstelle langfristig um 1,6 VZÄ (1,1 VZÄ Sozialarbeit, Entgeltgruppe S12 und 0,5 VZÄ Verwaltung, Entgeltgruppe E 9 c) erhöht werden.

 

Da sich der tatsächliche personelle Mehrbedarf erst mit Inkrafttreten der Gesetzesänderung wird absehen lassen, werden zum heutigen Tage 0,615 VZÄ Sozialarbeit, Entgeltgruppe S 12, beantragt.

 

III. Alternativen

Es verbleibt beim bisherigen Stellenanteil. Etwaige Pflichtaufgaben können dann nicht vollumfänglich erledigt werden. Zudem ist mit Verzögerungen im Rahmen des Zulassungs- und Registrierungsverfahrens zu rechnen. Gesetzliche Vorgaben werden somit nicht erfüllt.

 

IV. Auswirkungen/Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, sonstige Ressourcen)

Es fallen zusätzliche Personalkosten für 0,615 VZÄ Entgeltgruppe S 12 an.

Die Mittel sind im Haushalt veranschlagt.

 

Inwieweit ein finanzieller Ausgleich des Landes erfolgt, ist derzeit unklar.

 

V. Zuständigkeit für die Entscheidung

Gemäß § 26 Abs. 1 KrO ist der Kreistag für die Entscheidung zuständig.

 

 

Anlage: Berechnung des Mehraufwands durch die BtOG