Betreff
Antrag der FDP zum Bericht der Verwaltung zu den Schuleingangsuntersuchungen
Vorlage
SV-10-0640
Art
Sitzungsvorlage

Beschluss:

ohne

 

Der Bericht wird zur Kenntnis genommen.

 

Begründung:

 

Mit Schreiben vom 05.07.2022 bittet die FDP-Kreistagsfraktion um einen aktuellen Bericht zu den Schuleingangsuntersuchungen, vgl. Anlage 1.

 

Auf die gestellten Fragen wird nachfolgend direkt geantwortet. Die Leiterin des Gesundheitsamtes, Frau Winkler, wird im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Senioren und Gesundheit auch persönlich für die Diskussion zur Verfügung stehen.

 

Auf welcher gesetzlichen Grundlage werden Schuleingangsuntersuchungen durchgeführt?

 

§ 54 Abs. 2 Nr. 1 SchulG NRW i. V. m. § 12 Abs. 2 Satz 3 ÖGDG NRW

 

§ 54 Schulgesundheit

 (2) Für jede Schule bestellt die untere Gesundheitsbehörde im Benehmen mit dem Schulträger eine Schulärztin oder einen Schularzt. Der schulärztliche Dienst umfasst insbesondere:

1. schulärztliche Untersuchungen, insbesondere Reihenuntersuchungen zur Einschulung, und zahnärztliche Untersuchungen

 

§ 12 ÖGDG NRW – Kinder- und Jugendgesundheit

(2) Die untere Gesundheitsbehörde nimmt für Gemeinschaftseinrichtungen, insbesondere in Tageseinrichtungen für Kinder und Schulen, betriebsmedizinische Aufgaben wahr. Sie berät die Träger der Gemeinschaftseinrichtung, die Sorgeberechtigten, Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer in Fragen der Gesundheitsförderung und des Gesundheitsschutzes. Sie führt die schulischen Eingangsuntersuchungen und, soweit erforderlich, weitere Regeluntersuchungen durch und kann Gesundheitsförderungsprogramme anbieten.

 

Zu welchem Zeitpunkt und auf welcher rechtlichen Grundlage wurden die Schuleingangsuntersuchungen eingestellt?

 

Die Schuleingangsuntersuchungen wurden zum 31.07.2022 eingestellt. Das LZG hat die Möglichkeit einer Priorisierung eröffnet. Diese Möglichkeit hat das Gesundheitsamt des Kreises Coesfeld genutzt.

 

Wer traf die Entscheidung zur Einstellung der Untersuchungen?

 

Der Landrat auf Empfehlung der Abteilungsleiterin des Gesundheitsamtes

 

Inwiefern sind bei den Untersuchungen zur Entlastung des Gesundheitsamtes Kooperationen mit Kinderärzten möglich?

 

Der Auftrag der Kinderärztin oder des Kinderarztes unterscheidet sich grundsätzlich von dem hoheitlichen Untersuchungsauftrag für die Schuleingangsuntersuchung. Die Amtsärztin oder der Amtsarzt ist zu Neutralität und Objektivität verpflichtet, während die Kinderärztin oder der Kinderarzt schon alleine über das Vertragsverhältnis eine andere Beziehung zu Eltern und Kindern hat und ggf. deren Interessen z. B. „ich möchte meinem Kind noch ein Jahr Kindergarten gönnen“ abwägt, oder sogar vertritt. Eine ausschließlich neutrale und objektive Grundhaltung der niedergelassenen Kinderärztin oder des Kinderarztes würde das Arzt/Patient-Verhältnis beeinträchtigen. Dennoch haben beide Untersuchungssettings ihre Berechtigung und ergänzen sich im Idealfall. Im Zeitfenster der Schuleingangsuntersuchung findet auch die Früherkennungsuntersuchung U9 in der kinderärztlichen Praxis statt. Die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen wird in NRW von der Zentralen Stelle des LZG begleitet.

In NRW meldet die für die Hauptwohnung zuständigen Meldebehörde die Geburt jedes Kindes an die Zentrale Stelle des LZG. Für jedes Kind, das an einer Früherkennungsuntersuchung U5 - U9 teilgenommen hat, schickt die Ärztin oder der Arzt eine Untersuchungsbestätigung an die Zentrale Stelle. Dazu sind die Ärztinnen und Ärzte nach dem Heilberufsgesetz verpflichtet. Es wird kein Untersuchungsergebnis mitgeteilt, sondern nur Name, Geburtsdatum und -ort, Geschlecht und Anschrift des Kindes sowie Datum und Bezeichnung der Untersuchung. Die Zentrale Stelle vergleicht die Daten des Einwohnermeldeamtes mit den Meldungen der Ärztinnen oder Ärzte. So werden die Kinder ermittelt, für die noch keine Teilnahmebestätigungen vorliegen. Sofern keine Mitteilung über die Teilnahme vorliegt, schreibt die Zentrale Stelle die Eltern/Sorgeberechtigten des Kindes spätestens zehn Tage nach Ende - bei der U 5 zwei Wochen vor Ende - des Toleranzzeitraums einladend an.

Liegt auch sechs Wochen nach Erinnerung für die jeweilige Früherkennungsuntersuchung keine Mitteilung über die Teilnahme vor, informiert die Zentrale Stelle die Kommune darüber, für welche Kinder keine Teilnahmebescheinigung vorliegt. Die Kommune wird dann in eigener Zuständigkeit prüfen und entscheiden, ob sie mit den Eltern/Sorgeberechtigten Kontakt aufnimmt. In diesen Fällen kann es sein, dass weitere Hilfen für die Familien nötig sind, die zum Beispiel vom Jugendamt geleistet werden können.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind über mehrere Früherkennungsuntersuchungen hinweg nicht von einer Kinderärztin oder einem Kinderarzt gesehen wird, ist deshalb gering.

 

Zeitfenster für die Früherkennungsuntersuchungen der U5 – U9

Untersuchung

Untersuchungsstufe

Toleranzgrenze

U5

6.-7. Lebensmonat

5.-8. Lebensmonat

U6

10.-12. Lebensmonat

9.-14. Lebensmonat

U7 2 Jahre

21.-24. Lebensmonat

20.-27. Lebensmonat

U7a 3 Jahre

34.-36. Lebensmonat

33.-38. Lebensmonat

U8 4 Jahre

46.-48. Lebensmonat

43.-50. Lebensmonat

U9 5 – 5,4 Jahre

60.-64. Lebensmonat

58.-66. Lebensmonat

 

Sind aus den Kreisen Borken, Steinfurt und Warendorf bzw. aus der Stadt Münster ähnliche Entscheidungen bekannt?

 

Konkret muss dies von den Kreisen und kreisfreien Städten selbst beantwortet werden. Es gab aber in den meisten Kreisen und kreisfreien Städten des Regierungsbezirks Münster Abwandlungen zum ursprünglichen Verfahren.

 

Wie viele Schuleingangsuntersuchungen wurden in den vergangenen fünf Jahren (2018 bis einschließlich 2022) jeweils durchgeführt?

 

Schuljahr 2018/19

1.984

Schuljahr 2019/20

2.003

Schuljahr 2020/21

2.208

Schuljahr 2021/22

2.174

Schuljahr 2022/23

1.219

 

 

 

Wie viele Kinder wurden ohne Eingangsuntersuchung eingeschult?

 

Schuljahr 2018/19

0

Schuljahr 2019/20

0

Schuljahr 2020/21

0

Schuljahr 2021/22

0

Schuljahr 2022/23

1.132

 

In wie vielen Fällen wurden in Folge der Eingangsuntersuchungen (2018 bis 2022) Kinder nicht bzw. nur eingeschränkt schulfähig eingestuft?

 

 

Erhöhter

Förder-

bedarf

Rückstellung

Sonder-

pädagogischer

Förderbedarf

Verbleib

im KiGa

Insgesamt

Schuljahr 2018/19

135

35

103

3

278

Schuljahr 2019/20

153

30

100

0

283

Schuljahr 2020/21

188

48

94

0

330

Schuljahr 2021/22

186

46

82

2

316

Schuljahr 2022/23

140

59

89

1

289

 

Wie verteilten sich diese Diagnosen auf die Elemente der Untersuchung (z.B. Sehfähigkeit, Hörfähigkeit, Bewegungsentwicklung, usw.)?

 

Erhöhter oder sonderpädagogischer Förderbedarf, sowie Rückstellungen sind selten mit einer einzigen Diagnose begründbar, deshalb ist eine Auflistung, auch wegen der Mehrfachnennung wenig aussagekräftig. Es spielen viele Faktoren in die Entscheidung.

Rückstellungen dürfen nur aus erheblichen gesundheitlichen Gründen erfolgen, wobei Gesundheit nicht die bloße Abwesenheit von Krankheit ist, sondern nach Definition der WHO ganzheitlich als ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens zu sehen ist und nicht nur durch das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen definiert wird.

Die Schuleingangsuntersuchung wird in NRW standardisiert nach festen Definitionen (Bielefelder Modell) durchgeführt. Es kommt das Sozialpädiatrischen Entwicklungsscreening für Schuleingangsuntersuchungen (SOPESS) zur Anwendung.

Es werden

·         Größe, Gewicht,

·         Kindergartenbesuchsdauer,

·         Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen,

·         Impfstatus,

·         Abweichungen von der normalen Form des Rückens (z. B. Skoliose),

·         sonstige Erkrankungen,

·         Sehstörungen (Herabsetzen Sehschärfe, Schielen, Störung des binokularen Sehens, Farbsinnstörung)

·         Hörfähigkeit

·         Visuomotorik (graphomotorische Leistungen, Auge-Hand-Koordination, feinmotorische Bewegungskoordination, Kraftdosierung, visuelle Perzeptionsfähigkeit, visuelles Absuchen, Arbeitsgeschwindigkeit),

·         selektive Aufmerksamkeit (kurzfristige Aufmerksamkeitsfokussierung, Konzentrationsfähigkeit, Impulshemmung, visuelles Abscannen),

·         Zahlen- und Mengenvorwissen

·         Simultanerfassung von Mengen (spezifische Prädiktoren für den Rechenerwerb),

·         Feinmotorik (Händigkeit, Stifthaltung und Stiftführung),

·         Visuelle Wahrnehmung und Schlussfolgerung (Erkennen von Zusammenhängen und Regeln, Analyse feinstruktureller visueller Reize, Form und Größenerfassung, Problemlösestrategien, Bildung von Kategorien und Analogien, sprachunabhängiges, induktives Denken),

·         Artikulation (Dyslalien),

·         Sprache (Präpositionen, Pluralbildung, Sprachverständnis, grammatikalische Strukturen, phonologisches Arbeitsgedächtnis, Artikulation /Mundmotorik),

·         auditive Wahrnehmung (Pseudowörter),

·         Körperkoordination (bipedales Seitwärtshüpfen, Liniengang und Einbeinstand: Körperkoordination, Gleichgewichtsleistungen, Ausdauer, Ermüdbarkeit, Kraftdosierung, assoziierte Mitbewegungen, Bewegungsplanung und ­ -geschwindigkeit)

·         sozio-emotionale Reife (altersentsprechendes Verhalten, Aufmerksamkeit, Kooperation, Konzentration, Ablenkbarkeit, Arbeitstempo, Frustrationstoleranz, Schwingungsfähigkeit, Interaktion mit unbekannten Personen)

überprüft. Vor SOPESS wurde in NRW S-ENS angewendet. Da das Einschulungsalter vorverlegt wurde, war S-ENS im testtheoretischen Sinn für jüngere Kinder zu schwierig. Außerdem wurden die Inhalte z. T. in den KiTas geübt. In SOPESS wurden neue Module wie Zahlenvorwissen und selektive Aufmerksamkeit neu aufgenommen, so dass man sich noch stärker an den schulrelevanten Vorläuferfähigkeiten orientiert.

SOPESS hat eine hohe Reliabilität und Validität und identifiziert Risikokinder sicher.

 

Mussten in den vergangenen fünf Jahren Schuleingangsuntersuchungen für Schülerinnen und Schüler, die während des Schuljahres neu in die Schulen kommen (z.B. Flüchtlinge), abgesagt werden?

 

Nein.

 

Wie will der Kreis dafür Sorge tragen, dass die Eingangsuntersuchungen im kommenden Jahr vollständig und rechtzeitig durchgeführt werden?

 

In den vergangenen beiden Jahren wurden die nicht fristgerecht abgeschlossenen Schuleingangsuntersuchungen bis in den Spätherbst nachgeholt. Dies hat dazu geführt, dass deutlich später als üblich mit den neuen Schuleingangsuntersuchungen begonnen werden konnte. Außerdem mussten Kinder, die bereits eine Schule besuchten, für die Schuleingangsuntersuchung dem Unterricht fernbleiben und Eltern sich für diese Untersuchung ggf. Urlaub nehmen. Insgesamt ist die Untersuchung bei den Eltern auf wenig Verständnis gestoßen. Bei der Schuleingangsuntersuchung handelt es sich um ein für eine bestimmte Altersgruppe normiertes Verfahren, so dass die Aussagekraft mit zunehmenden Alter des Kindes sowieso nachlässt. Durch den Abbruch der Schuleingangsuntersuchungen für das Schuljahr 2022/23 zum 31.07.2022 können die Schuleingangsuntersuchungen für das Schuljahr 2023/2024 wieder pünktlich begonnen werden. 

Wegen der Pandemie wurde die Anzahl der täglichen Untersuchungen in der Vergangenheit reduziert. Dies sollte die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung im Wartebereich verhindern. Wir werden die Taktung für den kommenden Untersuchungsturnus wieder erhöhen und hoffen, dass es nicht erneut Corona-bedingte Einschränkungen geben wird.

Der Kreis Coesfeld konnte trotz des Fachkräftemangels einen Arzt für den KJGD gewinnen, der seine Tätigkeit am 01.10.2022 aufnehmen wird. Es sind weiterhin nicht alle ärztlichen Planstellen im Gesundheitsamt besetzt. Nach den Herbstferien werden wir an zwei Tagen in der Woche nachmittags Untersuchungstermine anbieten.