Betreff
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Informationen in leichter Sprache"
Vorlage
SV-10-0849
Aktenzeichen
01-13.24.16
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

 

Die Verwaltung wird beauftragt, künftig die Webseite des Kreises Coesfeld sowie Broschüren und sonstige Printprodukte barrierefrei und in leichter Sprache darzustellen.

 

 

 

Beschlussvorschlag der Verwaltung:

 

Der aktuelle Sachstand zur Barrierefreiheit und den Informationen in leichter Sprache wird zur Kenntnis genommen.

I. Sachdarstellung

 

Gesetzliche Grundlagen zur Barrierefreiheit von Internetseiten/Printmedien bei Behörden

 

Um Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen den Zugang zu Internetseiten, vor allem von öffentlichen Stellen des Staates, zu vereinfachen, gibt es verschiedene gesetzliche Ansätze.

Maßgebend ist vor allem die EU-Richtlinie 2016/2102 des Europäischen Parlamentes und des Rates. Diese Richtlinie soll dafür sorgen, dass Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen vor allem für Menschen mit Behinderungen besser zugänglich werden. Hierfür sollen Websites und mobile Anwendungen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden (Artikel 4).
Öffentliche Stellen müssen außerdem gem. Artikel 7 regelmäßig eine detaillierte Erklärung zur Barrierefreiheit abgeben, in denen unter anderem Folgendes dargestellt wird:

·         Erläuterung nicht barrierefrei zugänglicher Elemente sowie barrierefreie Alternativen

·         Beschreibung, wie Mängel der Barrierefreiheit gemeldet oder weiterreichende Informationen angefragt werden können

·         Verlinkung zu einem Beschwerdemechanismus

 

Die unterzeichnenden Mitgliedsstaaten müssen die Richtlinie gem. Art. 12 in nationales Recht umsetzen, können dabei aber auch Rechtsvorschriften erlassen, die über die Mindestvoraussetzungen der Richtlinie hinausgehen.

 

In Deutschland wurde die Richtlinie vor allem im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) auf Bundesebene und auch durch gleichlautende Gesetze auf Länderebene umgesetzt.

In § 10 bis § 10e BGG NRW wird die barrierefreie Informationstechnik für Internetseiten öffentlicher Stellen des Landes näher ausgeführt. So wird in § 10b BGG NRW der Inhalt der oben genannten Erklärung zur Barrierefreiheit geregelt. Außerdem wird die Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen durch eine eingerichtete Stelle gem. § 10c BGG NRW überwacht. Ergänzend können genauere Anforderungen auch gem. § 10e BGG durch Verordnungen gestellt werden.

 

Hier gibt es die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz 2.0“ (BITV) als Bundes- wie auch als Landesverordnung. Es wird unter anderem in § 4 BITV (Bund) und § 3 Abs. 2 BITV NRW vorgeschrieben, dass auf der Startseite einer Website Informationen zu den wesentlichen Inhalten, Hinweise auf weitere in diesem Auftritt vorhandene Informationen in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache (falls vorhanden) und Erläuterungen der Barrierefreiheit (nur BITV Bund) in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache bereit zu stellen sind.

 
Alle diese Richtlinien, Gesetze oder Verordnungen beziehen sich jedoch auf digitale Systeme. So werden z. B. in § 2 BITV Bund aufgelistet:

·         Websites

·         mobile Anwendungen

·         elektronisch unterstützte Verwaltungsabläufe, einschließlich der Verfahren zur elektronischen Vorgangsbearbeitung und elektronischen Aktenführung

·         grafische Programmoberflächen

 

Hiervon sind also allein digitale Medien umfasst, keine Printmedien wie Broschüren. Lediglich bei der Gestaltung von schriftlichen Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen, Vordrucken und amtlichen Informationen wird gem. § 9 BGG auf die Leichte Sprache auch bei nicht-digitalen Medien Bezug genommen.

 

Außerdem werden durch diese Gesetze oder Verordnungen grds. nur öffentliche Stellen zu barrierefreiem Zugang zu Internetseiten verpflichtet.

Etwas Anderes ergibt sich aus dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, welches für verschiedene Produkte und Dienstleistungen barrierefreie Maßnahmen vorschreibt. Doch auch hier sind gem. § 1 Abs. 2 lediglich digitale Systeme umfasst.

 

Allein in der UN-Behindertenrechtskonvention werden auch andere Arten der Kommunikation oder Informationsbeschaffung mit einbezogen. So heißt es in Art. 21, dass Menschen mit Behinderungen Informationen rechtzeitig und ohne zusätzliche Kosten in zugänglichen Formaten und Technologien zur Verfügung haben müssen. Hier wird nicht konkret nur auf digitale Informationssysteme Bezug genommen. Ob hieraus ein Anspruch auch auf barrierefreie Printmedien besteht ist fraglich, vor allem da im nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention auch keine genaueren Ausführungen dazu vorhanden sind.

 

Im digitalen Bereich (Websites, Apps etc.) gibt es zahlreiche Anforderungen hinsichtlich der Bereitstellung von barrierefreien Angeboten. Die insgesamt 98 Anforderungen ergeben sich aus den internationalen Richtlinien der WCAG 2.1 (Web Content Accesssibility Guidelines) des W3C (Word Wide Web Consortium) und der darauf basierenden EN 301 549 zur EU-Richtlinie 2016/2102 (siehe z. B. BIK BITV-Test | Verzeichnis der Prüfschritte (bitvtest.de) oder Prüfschritte BITV-Test / EN 301 549 (Web) | BIK BITV-Test Ergebnisse und Methodik | BIK BITV-Test (bitvtest.de)).

 

Im Printbereich können Flyer, Broschüren etc. zusätzlich in der einfachen oder leichten Sprache umgesetzt werden – auch Angebote in Fremdsprachen können Barrieren abbauen.

 

Website (Abt. 11):

Die auf dem Content-Management-System (CMS) TYPO3 basierenden Internetangebote des Kreises Coesfeld wurden bereits in der Vergangenheit mit Blick auf Barrierefreiheit nach der BITV konzipiert, so dass man aktuell von “Barrierearmut“ sprechen kann.

 

Diese Internetpräsenz(en) sollen im aktuellen Jahr nun einen umfassenden technischen und grafischen Relaunch erfahren. Dabei ist die Barrierefreiheit nach BITV ein wichtiger Faktor und steht deshalb auf der Liste der Auswahlkriterien für eine Agentur an erster Stelle. Dabei stehen auch Leichte Sprache und Gebärdensprache-Videos im Fokus. Das entsprechende Verfahren zur Vergabe wurde in Gang gesetzt.

 

Aktuell werden erste Vorgespräche mit ausgewählten Agenturen geführt, die allesamt in der Liste empfehlenswerter Agenturen des BIK BITV-Test stehen (BIK BITV-Test | Empfehlenswerte Agenturen (bitvtest.de)).

 

Der Relaunch soll einmalig den technischen Rahmen für weitestgehend barrierefreie Websites schaffen. Darüber hinaus müssen die Regelungen der Barrierefreiheit nach BITV aber auch laufend bei der Pflege von Inhalten berücksichtigt werden (inhaltliche Redaktion von Seiten/News aber auch Dokumente zum Download, z. B. PDF-Dateien). Das wiederum erfordert mindestens eine Sensibilisierung und Schulung der die Inhalte pflegenden Mitarbeitenden.

 

Insbesondere die zum Download angebotenen Dokumente werden i. d. R. aus der „normalen“ Sachbearbeitung zur Verfügung gestellt, so dass im Hinblick auf die Erstellung barrierefreier Dokumente schon hier anzusetzen wäre. Im Prinzip müssten alle Mitarbeitenden der Kreisverwaltung diesbezüglich sensibilisiert und geschult werden. Das könnte schließlich sogar den Effekt haben, dass auch Dokumente, die nicht per Website zum Download angeboten, sondern z. B. per E-Mail elektronisch versendet werden, barrierefrei(er) werden.

 

Sonderprojekt Kreistags-Informations-System im Internet (KIS Gremieninfo)

Im Zuge der Konstituierung des Teilhabebeirates wurde bereits festgestellt, dass derzeit die über die beim Kreis Coesfeld eingesetzte Sitzungsdienst-Software Session generierten und über die Webanwendung KIS Gremieninfo zur Verfügung gestellte Dokumente den Anforderungen der Barrierefreiheit nicht entsprechen. Hier wurde die Hersteller-Firma Somacos kontaktiert und um Unterstützung bei der Optimierung der Dokumenterstellung gebeten.

Außerdem wurde ein interkommunaler Erfahrungsaustausch mit den Nachbarkreisen sowie im KGSt-Vergleichsring hinsichtlich des Umgangs mit digitaler Barrierefreiheit (allgemein und Sitzungsdienst speziell) gestartet. Das Ergebnis dieser Umfrage steht noch aus.

 

Printprodukte (Abt. 01):

 

Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (FD 01.3) ist zuständig für die Information der Bürgerinnen und Bürger in vielen verschiedenen Aufgabenbereichen.

Zu einem dieser Aufgabenbereiche gehört die Herausgabe von Printmedien für die Abteilungen der ganzen Kreisverwaltung nach einem vorgegebenen CorporateDesign, für den Inhalt ist die jeweilige Fachabteilung verantwortlich.

So wurden im Jahre 2019 (vor der Corona-Pandemie) insgesamt 165 Druckprodukte (Broschüren, Flyer, Plakate, etc.) erstellt und herausgegeben. In den letzten Jahren waren es durchschnittlich 120 Printmedien mit einer Auflagenhöhe von insgesamt ca. 150.000 Exemplaren.

In der Vergangenheit wurden Printprodukte bei Bedarf und auf Wunsch der Abteilungen in mehreren Sprachen und auch in „vereinfachter“ Sprache herausgegeben. Betroffen waren hier meist Veröffentlichungen des Jugendamtes, des Kommunalen Integrationszentrums und der Abteilung Schule, Bildung und Kultur. Eine mit dem Siegel „Leichte Sprache“ lizenzierte Veröffentlichung hat es bisher nicht gegeben.

 

Im Kulturbereich wurden folgende sprachliche Maßnahmen im Hinblick auf eine barrierefreie Nutzung der Burg Vischering bereits umgesetzt:

·         Flyer zur Burg Vischering in „Leichte Sprache“

·         Führungen in “Leichte Sprache“

·         Führung für Blinde und sehbehinderte Menschen (Start 2023)

·         5 Hörverstärker für Menschen mit Hörbehinderung (Führung mit Gebärdensprachdolmetscher wurde angeboten, es gab dafür jedoch keinen Bedarf)

·         Individuelle Freizeitangebote für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen

·         Internetseite Burg Vischering: genaue Wegebeschreibung mit Fotos und Lageplan für Menschen mit Behinderung.

 

Im Bereich der einfachen / vereinfachten Sprache gibt es kein vorgeschriebenes Regelwerk, sondern es versteht sich als Umsetzung nach gewissen Richtlinien.

 

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW hat im Jahr 2019 auf die Agentur Barrierefreiheit NRW verwiesen. Dort wird die Umsetzung unter Verwendung eines Logos oder Qualitätssiegels nach den Regeln der „Leichten Sprache“ empfohlen. Beispielhaft sind hier das Europäische Logo von Inclusion Europe (https://www.inclusion-europe.eu/easy-to-read/) oder das Logo des Netzwerks Leichte Sprache (https://www.leichte-sprache.org/) genannt, die bestimmten Qualitätsregeln unterliegen. Der Text wird dazu u.a. von mehreren Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft. Bei der Leichten Sprache wird zusätzlich mit selbsterklärenden Bildern oder Piktogrammen gearbeitet.

 

Aktuell wird seit 2020 auch die DIN SPEC 33429 „Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“ von einem durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördertes Projekt erarbeitet. Darin sollen sowohl sprachliche Empfehlungen für Texte in Leichter Sprache als auch eine Beschreibung des Prozesses zum Erstellen von Texten sowie Qualifikationen der Prozessbeteiligten enthalten sein. Die DIN SPEC soll voraussichtlich im Herbst 2023 veröffentlicht werden.

 

Inwieweit digitale Tools eine zeitnahe Umsetzung fördern können, bedarf noch einer ergänzenden Prüfung. Diese gilt auch hinsichtlich möglicher Kosten für Softwarelösungen.

 

Ferner ist die weitere Umsetzung der leichten bzw. einfachen Sprache bei den Printmedien voranzubringen. Der Bestand an Print-Produkten zu Standardinformationen, die dauerhaft vorgehalten werden und selten eine grundsätzliche Änderung erfahren, werden hinsichtlich einer Dringlichkeit zur Umsetzung in leichte Sprache priorisiert und ggf. unter Hinzuziehung Dritter umgestaltet.

 

Die Agentur für Barrierefreiheit schreibt in ihren Empfehlungen zur Einführung der leichten Sprache für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit folgendes:

Richten sich Informationen explizit an eine Fachöffentlichkeit (z. B. Fachleute, Presse, Teilnehmende einer Fachveranstaltung), die eine Fachsprache beherrscht und diese zum Diskurs benötigt, brauchen in der Regel keine zusätzlichen Textangebote in Leichter Sprache strukturell vorgehalten werden.

Öffentliche Informationen, die sich speziell und ausschließlich an Menschen aus dem primären Adressatenkreis Leichter Sprache richten, sollten dagegen stets mittels Leichter

Sprache strukturell zugänglich gemacht werden (z. B. Werbeflyer für eine Museumsführung in Leichter Sprache).

 

Weiter ist dort zum Umfang des Angebotes folgendes erklärt:

Im Einklang mit dem BGG NRW ist daher zu empfehlen, dass Träger öffentlicher Belange zu allen für den Adressatenkreis wichtigen Dokumenten nach und nach ergänzende Informationen in Leichter Sprache entwickeln. Bei der Entscheidung, mit welchen Dokumenten begonnen wird, könnten z. B. die folgenden Fragen als Anhaltspunkte dienen:

·         Welche Leistungen sind für den primären Adressatenkreis von besonderer Relevanz?

·         Wo gibt es besonders hohe Zugriffzahlen auf bestehende (standardsprachliche) Informationsangebote?

·         Wo gibt es eine hohe Zahl von Nachfragen, falsch ausgefüllten Anträgen, ausbleibenden Antworten auf Briefe oder Beschwerden zu einem Thema?

Ebenso sollten Selbstvertretungsverbände und die Zielgruppe selbst befragt werden, welche Informationen sie am dringendsten wünschen. Im Sinne einer angemessenen Vorkehrung sollten auf allen Dokumenten, insbesondere dort, wo noch keine ergänzenden Informationen in Leichter Sprache vorliegen, möglichst transparent Kontaktmöglichkeiten für Rückfragen angeboten werden.

 

Wie bereits auch im Vorstehenden angeführt, ist eine Sensibilisierung der Mitarbeitenden ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur barrierearmen Kommunikation, da so eine umfassende Wirkung erzielt wird. Die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für das Handlungsfeld der Barrierefreiheit und Leichten Sprache soll in den nächsten Wochen und Monaten, ggfls. mit externer Unterstützung, erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Führungskräfte, aber auch die Beschäftigten, die Aufgaben rund um den Sitzungsdienst erledigen (Erstellen von Vorlagen, Schriftführung etc.)

 

II. Entscheidungsalternativen

keine

 

III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, Klima)

Der mit Fortbildungsveranstaltungen unter Mithilfe von Dritten entstehende Aufwand ist hierfür vorzusehen, der auf ca. 30.000 € geschätzt wird.

Im Falle einer Beauftragung Dritter für die „Übersetzung“ von Kommunikation entsteht Aufwand, der entweder in den jeweils betroffenen Abteilungen oder zentral bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu veranschlagen und zu tragen ist.

 

IV. Zuständigkeit für die Entscheidung

Der Landrat ist für die Geschäfte der laufenden Verwaltung zuständig.