Nitrat im Kreis Coesfeld

 

Dez. Schütt berichtet:

„Trinkwasser ist in Deutschland das bestüberwachte Lebensmittel. Seine Qualität ist durchweg sehr gut bis gut. Das gilt auch für die praktisch flächendeckende Einhaltung des Grenzwertes für Nitrat bei zentralen Wasserversorgern.

 

Anders sieht es jedoch beim Grundwasser aus: In Deutschland weisen laut Umweltbundesamt ca. 17 Prozent der Messstellen des repräsentativen EUA-Grundwassermessnetzes (Messnetz für die Berichterstattung an die Europäische Umweltagentur) Nitratgehalte über dem Grenzwert der Trinkwasserverordnung von 50 mg/L auf. An Messstellen, in deren Einzugsgebiet viele landwirtschaftliche Nutzungen vorkommen, überschreiten laut Umweltbundesamt  ca. 27 Prozent der Messstellen den Grenzwert. Dies klingt zunächst besorgniserregend. Auch im Hinblick auf den landwirtschaftlich geprägten Kreis Coesfeld und die hohe Anzahl von Haushalten, welche über ca. 6.600 Hausbrunnen das Grundwasser teils ohne weitere Aufbereitung als Trinkwasser nutzen. Unter diesem Hintergrund erfolgte in den vergangenen Wochen eine Analyse der Situation im Kreis Coesfeld.

 

Zunächst fand bereits ein erstes Treffen der Abteilungen 53, 70 sowie 01 für einen initialen Austausch statt. Alle Beteiligten sahen die Notwendigkeit der Aufarbeitung der Situation im Kreisgebiet als gegeben. Festzuhalten ist, dass der Kreis eine gemeinsame Strategie und Haltung entwickeln möchte und eine aktive Kommunikation hinsichtlich der Thematik anstrebt.

 

In einem ersten Schritt zur Aufarbeitung erfolgte durch die Abteilung 53 eine statistische Auswertung der dem Gesundheitsamt vorliegenden Analyseergebnisse des Trinkwassers der Brunnenbetreiber. Diese Auswertung umfasste alle vorliegenden Analysewerte in Bezug auf Nitrat sowie Nitrit über die Jahre 2018 bis einschließlich 2022, jeweils aufgeschlüsselt für die einzelnen Kommunen und das gesamte Kreisgebiet. Hierbei zeigte sich für die vergangenen 5 Jahre, dass durchschnittlich 3,49 % der Nitratuntersuchungen und 0,73 % der Nitrituntersuchungen im gesamten Kreisgebiet Grenzwertüberschreitungen aufzeigen.

 

In einem zweiten Schritt werden aktuell im Kreisgebiet lokale Häufungen von Brunnenanlagen mit Grenzwertüberschreitungen identifiziert, um Handlungsmöglichkeiten in den Bereichen abwägen zu können und mögliche Maßnahmen festzulegen. Insgesamt zeigt sich, dass im südlichen sowie im östlichen Bereich des Kreisgebietes kaum erhöhte Werte für Nitrat und Nitrit festzustellen sind. Im nördlichen sowie westlichen Bereich des Kreisgebietes zeigen sich hingegen vermehrt Grenzwertüberschreitungen.

 

Weiterhin sollen lokale Häufungen von Grenzwertüberschreitungen im Rahmen der Neuaufstellung der Wasserversorgungskonzepte an die Kommunen kommuniziert werden, um diesen Hinweise für möglichen Handlungsbedarf im Hinblick auf eine Ausweitung des zentralen Wasserversorgungsnetzes zu liefern. Im weiteren Verlauf ist die Ausweitung der Analyse auf weitere gesundheitlich relevante Parameter in Hinblick auf die Trinkwasserqualität geplant. Hierbei handelt es sich z. B. um Fluorid oder Natrium.“

 

Dez. Schütt kündigt an, diesem Thema in einer der kommenden Sitzungen des AASSG einen Schwerpunkt zu geben.

 

 

Tag der Jobcenter am 12. Juni 2023

 

Dez. Schütt führt aus:

„82 Mitarbeitende der Städte und Gemeinden sowie des Kreises Coesfeld trafen sich am 12. Juni 2023 auf der Burg Vischering zum „Tag der Jobcenter“ um sich zu Neuerungen rund um das Bürgergeld auszutauschen. Das Zusammentreffen diente der Information, dem Austausch und Kennenlernen auch vieler neuer Mitarbeitender aus den Jobcenter im Kreis Coesfeld und dem Case-Management des Kommunalen Integrationszentrums. Sozialdezernent Schütt hob in seiner Begrüßung und Einführung die bestehende gute Beratungspraxis vor Ort und die Bedeutung von Kooperationen der unterschiedlichen Fachdienste hervor, was nunmehr im Bürgergeld postuliert ist.

 

Als Gastrednerin hat Frau Kristin Degener vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW in ihrem Impulsvortrag die Bedeutung der Jobcenter im sozialen Sicherungssystem hervorgehoben. Gesellschaftliche Veränderungen der vergangenen Jahre werden die Weiterentwicklung auch in der Zukunft notwendig machen und mit der Einführung des Bürgergeldes bestehe nunmehr eine gute Chance, auch vielen Menschen mit schwierigen Integrationsvoraussetzungen doch eine Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Frau Degener hob hervor, dass es doch insbesondere die Jobcenter gewesen seien, die durch ihre vielfältigen Leistungen den sozialen Frieden in den Krisenzeiten der vergangenen Jahre sichergestellt haben und wies auch auf die Sicht des Ministeriums hin, dass eine Beratung in Präsenz und auf Augenhöhe für SGB II-Leistungsbeziehende verdeckte Potenziale erkenne und neue Chancen auf Teilhabe ermöglichen würde. Das seien die Erfolgsfaktoren in der Vergangenheit aber auch zukünftig für die Arbeit vor Ort. Frau Degener dankte den Mitarbeitenden vor Ort für das Krisenmanagement in dieser Zeit, das als Antwort auf die Herausforderungen der vergangenen Jahre entstand.

 

Abteilungsleiter Stefan Schenk führte durch den Tag und das Programm. Er hob den Zweck hervor, dass Information, Austausch und das Kennenlernen der Mitarbeitenden untereinander im Mittelpunkt des Treffens stehe und lud ein, diesen für eine gute Vernetzung untereinander zu nutzen. Kontinuierliche Veränderungen wirken auf die Organisation ein, und auch der demographische Wandel habe viele neue Kolleginnen und Kollegen ins Jobcenter geführt. Im schönen Rahmen der Burg Vischering nutzten die Mitarbeitenden den Gallery Walk zu aktuellen Themen und Herausforderungen, um sich zu informieren, ins Gespräch zu kommen und viele wünschten sich eine Wiederholung, mehr Zustimmung geht nicht.

 

Die Information und der Austausch wurden von Pascal Hoffmann vom Team Gesundheit rund um das Thema Gesundheit und Prophylaxe komplettierte, bei dem sich alle auch spielerisch beteiligt haben.“

 

 

 

Finanzielle Ausstattung der Jobcenter; Auswirkungen der geplanten Änderungen im SGB II für Menschen unter 25 Jahren

 

Dez. Schütt trägt vor:

„Mit dem Kabinettsbeschluss vom 05.07.2023 hat der Bund das parlamentarische Verfahren zum Bundeshaushalt 2024 gestartet. Erwartungsgemäß ist der Bund nachvollziehbar gehalten, Einsparungen vorzunehmen. Am 16.08.2023 wurde dann vom Bundeskabinett der Kabinettsentwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes beschlossen, welches für die Jahre ab 2024 erhebliche Einsparungen im Bereich des Bürgergeldes (SGB II) vorsieht.

Bereits 2024 sollen die Haushaltsansätze der Titel für Eingliederung und Verwaltungskosten um 500 Mio. € sinken. Ab dem Jahr 2025 sollen dann mit einer Übertragung der Arbeitsförderung junger Menschen unter 25 Jahren in die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit und dem Wechsel zum SGB III weitere 900 Mio. € eingespart werden.

Da diese Entwicklungen hier mit großer Sorge betrachtet werden, hat der Landrat bereits mit einem Schreiben an die Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus dem Kreis Coesfeld, an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und Träger von Bildungsmaßnahmen sowie auch an die Fraktionen des Kreistages auf die zu erwartenden Auswirkungen dieser Überlegungen insgesamt, aber auch mit dem speziellen Blick auf den Kreis Coesfeld, aufmerksam gemacht. Im Rahmen dieser Mitteilungsvorlage soll nochmals auf die Punkte hingewiesen werden:

 

1.)    Einsparungen in 2024; Auswirkungen auf das Bürgergeld

 

Das Bürgergeld ist in diesem Jahr mit großen Erwartungen gerade auch in Bezug auf die Arbeitsmarktintegration arbeitsloser Menschen gestartet. Beispielsweise darf ich hier auf den Wegfall des Vermittlungsvorrangs hinweisen, wodurch ein stärkerer Fokus auf Qualifizierung und Weiterbildung gesetzt wird und eine größere Nachhaltigkeit der beruflichen Integration erreicht werden kann. Diese Weiterentwicklung des SGB II wird hier gerade auch mit Blick auf den fortschreitenden Mangel an Fachkräften sehr begrüßt.

 

Maßnahmen zur Qualifizierung, wie z.B. die Förderung der beruflichen Weiterbildung, sind jedoch aufwändig und entsprechend teuer. Hinzu kommt, dass aufgrund von Tarifsteigerungen sowie der allgemeinen Inflation die Kosten für Maßnahmen oder andere Angebote von Trägern der beruflichen Integration insgesamt deutlich gestiegen sind.

 

Die Tarifsteigerungen führen darüber hinaus auch im Jobcenter zu erheblich höheren Aufwendungen, wobei gleichzeitig auch mehr Personal für den deutlichen Zuwachs an Leistungsbeziehenden benötigt wird. Allein seit dem 01.06.2022 ist mit dem Rechtskreiswechsel ukrainischer Flüchtlinge die Zahl der Bedarfsgemeinschaften im SGB II im Kreis Coesfeld um rd. 30 % gestiegen. Eine bedarfsgerechte Betreuung der Menschen kann in den Jobcentern nur noch durch entsprechende Umschichtungen aus dem Eingliederungstitel in den Verwaltungskostentitel sichergestellt werden. Wichtige Maßnahmen des Bürgergeldes, wie z.B. die Entfristung des § 16 i SGB II (Gewährung von Lohnkostenzuschüssen an Arbeitgeber bis zu 100 % in den ersten 2 Beschäftigungsjahren unter bestimmten Voraussetzungen, danach abfallende Zuschüsse), lassen sich kaum umsetzen, da diese sehr kostenintensiv sind und die Eingliederungsmittel über Jahre hinweg binden.

 

Das Ziel, Steuermittel sachgerecht und sparsam einzusetzen, wird grundsätzlich geteilt. Neben kurzfristigen Sparerfolgen sollte aber auch die Nachhaltigkeit der Einsparungen in den Blick genommen werden.

 

Das Bürgergeld fordert die Jobcenter und auch die Leistungsbeziehenden zu einem Umdenken auf. Eine Beratung auf Augenhöhe, die auch ein Vertrauensverhältnis schafft, soll die Basis dafür sein, gemeinsam den individuellen Weg hin zu einer nachhaltigen Integration und Teilhabe zu schaffen. Die notwendigen Schritte werden in einem rechtsunverbindlichen Kooperationsplan gemeinsam festgelegt, wobei soweit möglich nicht die schnelle Integration im Vordergrund steht, sondern eine Nachhaltigkeit durch Weiterbildung und Qualifizierung erreicht werden soll. Die Umsetzung dieser guten Ziele erfordert jedoch personelle und finanzielle Ressourcen, die den Jobcentern im Eingliederungstitel sowie für die Verwaltungskosten zur Verfügung stehen müssen.

 

Mit der geplanten Kürzung der Mittel lassen sich die Ziele des Bürgergeldes für einen Großteil der Leistungsbeziehenden nicht erreichen. Vielmehr ist zu erwarten, dass mit fehlender Finanzausstattung der Jobcenter durch notwendige Personaleinsparungen und Reduzierung von Möglichkeiten bei den Instrumenten der beruflichen Eingliederung auch schon erreichte Kontakte abbrechen und Menschen auf dem Weg verloren gehen. Viele mögliche Integrationen in den Arbeitsmarkt werden dadurch verhindert; stattdessen erfolgen weiterhin langfristige Sozialleistungsbezüge, die den Staat dauerhaft viel Geld kosten werden.

Es kann zurzeit nicht abgeschätzt werden, wie sich die geplanten Einsparungen im Jahr 2024 konkret auf die Zuweisung von Bundesmitteln im Eingliederungs- und Verwaltungskostentitel auf den Kreis Coesfeld auswirken werden.

 

2.)    Einsparungen ab 2025; Verlagerung der Betreuung im U-25-Bereich

 

Sorge bereitet insbesondere auch die im Kabinettsbeschluss zum Haushaltsfinanzierungsgesetz bereits festgelegte Planung, weitere Einsparungen ab 2025 dadurch zu erreichen, dass junge Menschen unter 25 Jahren zukünftig bei der aktiven Arbeitsmarktförderung einheitlich durch die Bundesagentur für Arbeit betreut werden sollen. Aus Sicht des Jobcenters sind damit auch gesellschaftspolitische Folgen und negative Auswirkungen für den Arbeitsmarkt verbunden, die möglicherweise in der Folge auch die zu realisierenden Einsparungen deutlich überwiegen könnten.

 

a)      Verlust etablierter Betreuungsstrukturen insbesondere für junge Menschen mit komplexen Problemlagen

 

Seit 2005 sind die Verantwortlichkeiten für den Personenkreis der unter 25-jährigen zwischen den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit klar geregelt. Während die Bundesagentur für Arbeit ihren Fokus klar auf Berufsberatung und die Vermittlung junger, arbeitsmarktnaher Menschen (ohne SGB II-Bezug) legt, sind die Jobcenter vorrangig zuständig für junge Menschen, deren Weg in Arbeit (möglichst mit entsprechender Qualifizierung) länger dauert. Herausfordernde Multiproblemlagen sind bei einem Großteil der im Bürgergeld befindlichen jungen Menschen vorzufinden, seien es Sucht- oder Schuldenproblematiken oder auch (drohende) Wohnungslosigkeit. Oft sind auch psychosoziale Probleme vorhanden. Am Beginn einer Begleitung sind viele junge Menschen, die in den Jobcentern betreut werden, von einer Ausbildungsreife weit entfernt. Es darf in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass gerade im Jobcenter eine Vielzahl der zu betreuenden Menschen eine Flucht-, bzw. Einwanderungsgeschichte haben. Im SGB II stehen hierfür dann besonders zugeschnittene Instrumente zur Verfügung, wie die Förderung schwer zu erreichender junger Menschen nach § 16 h SGB II oder auch die gerade erst im § 16 k Abs. 2 SGB II neu ins Gesetz aufgenommene ganzheitliche Betreuung für junge Menschen zur Heranführung an eine oder zur Begleitung während einer Ausbildung.

 

Im Kreis Coesfeld wird vom Jobcenter über § 16 h SGB II seit Jahren mit einem Träger das Projekt „Return“ (Nachfolger von „Respekt“) erfolgreich umgesetzt. Hierüber wird eine Vielzahl junger Menschen sehr niedrigschwellig erreicht.

 

Durch die langjährige Erfahrung der Jobcenter in der Arbeit mit jungen Menschen, die häufig multiproblembehaftet sind, haben sich hierfür spezielle Betreuungs-, Beratungs- und Förderstrukturen etabliert. Das Personal in den Jobcentern ist besonders geschult und hat Erfahrung im Umgang mit der Zielgruppe. Es ist zu erwarten, dass für viele Jugendliche und junge Erwachsene durch den Aufbau komplett neuer Strukturen die Vertrauensbasis einer oft langen Zusammenarbeit verloren geht. In vielen Fällen ist es auch von besonderer Bedeutung, in einer ganzheitlichen Beratung die Situation einer gesamten Bedarfsgemeinschaft zu kennen und im Eingliederungsprozess zu berücksichtigen. Ein Systemwechsel kann daher auch zu neuen Spannungsfeldern führen, deren gesamtgesellschaftspolitischen Auswirkungen gravierend sind. Soziale Brennpunkte werden verstärkt oder gar neu geschaffen.

 

b)      Verlust vernetzter Strukturen und kommunaler Stärken

 

Im Kreis Coesfeld arbeiten die Akteure vor Ort schon traditionell gut zusammen und stimmen sich ab. Besonders zum Ausdruck gebracht wird dies im „Netzwerk Chancengerechtigkeit“, in dem die Akteure überkommunal und rechtskreisübergreifend mit dem Ziel zusammenarbeiten, Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und hierzu einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen. Das „Netzwerk Chancengerechtigkeit“ nimmt junge Menschen dabei schon ab der Geburt in den Blick.

 

Als zugelassener kommunaler Träger ist das Jobcenter des Kreises Coesfeld darüber hinaus eng vernetzt mit der Jugendhilfe, der Kommunalen Koordinierungsstelle KAoA, den berufsbildenden Schulen und besonders auch mit dem Case-Management des Kommunalen Integrationszentrums (KI). Mitarbeitende des Jobcenters befinden sich in allen Rathäusern, sodass auch zu den Asylbewerberleistungsstellen und den Wohngeldstellen sowie den allgemeinbildenden Schulen eine enge Verzahnung besteht. Auch zur Agentur für Arbeit gibt es natürlich einen guten Kontakt.

Insbesondere von der sehr guten Vernetzung im kommunalen Bereich profitieren auch junge Menschen in der Betreuung der Jobcenter, z.B. bei den vielfältigen Schnittstellen zur Jugendhilfe.

 

Die Kooperation zwischen dem Fallmanagement im SGB II und dem Case-Management des KI wird aktuell sogar für eine noch bessere Betreuung der Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Kreis Coesfeld verstärkt. Angesichts der zeitlich parallelen Einführung des Bürgergeldes und der Umsetzung des kommunalen Integrationsmanagements (KIM) erfolgt hier gerade eine enge Abstimmung der Strukturen mit dem Ziel von Verzahnung, Rollenklarheit und Transparenz für die Kundschaft.

 

Der Aufbau von verlässlichen, guten Strukturen und Netzwerken für die oft von der Gesellschaft abgehängten jungen Menschen dauert Jahre und hat sich bei den Jobcentern etabliert. Bei einem Wechsel der Zuständigkeiten ist es nicht möglich, solche Netzwerke ohne Verluste fortzuführen, sodass zu befürchten ist, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene im Umstrukturierungsprozess „verloren gehen“.

 

c)       Einsparungen von Steuergeldern zulasten der Beitragszahlungen von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

 

Neben fachlichen Argumenten, die gegen eine Verlagerung der Betreuung Jugendlicher und junger Menschen sprechen, sehe ich auch die künftige Art der Finanzierung dieser Betreuungsleistung kritisch. Die Verlagerung wird (zunächst) zu Einsparungen bei den steuerfinanzierten SGB II-Leistungen führen, wobei die Nachhaltigkeit der Einsparungen angezweifelt wird. Die finanzielle und personelle Kompensation der Einsparungen erfolgt zumindest mittelfristig über das beitragsfinanzierte System des SGB III. Auch mit etwaigen Rücklagen der Agentur für Arbeit (es ist hier die Rede von rd. 2 Mrd. Euro aus Einsparungen beim Kurzarbeitergeld) würde hier zur Überbrückung nur ein kurzfristiger Einspareffekt erzielt, der ebenso und viel leichter durch eine Verlagerung der Bundesmittel vom SGB III in das SGB II erreicht werden könnte, ohne bestehende gute Strukturen zu zerstören und aufwendig neue Strukturen schaffen zu müssen.

 

Mit der Verlagerung wird das System der Arbeitslosenversicherung insbesondere mit zusätzlichen Leistungen für einen Personenkreis belastet, der im Regelfall (noch) keine Beiträge hierzu geleistet hat. Das führt zumindest mittelfristig zu einer höheren Belastung der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, anstatt diese Aufgabe als gesellschaftspolitische Aufgabe gleichermaßen auf alle Schultern zu verteilen.

 

d)      Exkurs zur geplanten Kindergrundsicherung

 

Parallel zu diesen Überlegungen plant der Bund mit der Kindergrundsicherung auch ab dem Jahr 2025 eine Veränderung im Leistungsrecht für Kinder und Jugendliche. Es sollen die Leistungen für diesen Personenkreis aus einer Hand erbracht werden und zwar in der Zuständigkeit der Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit.

Die Idee, Leistungen für Kinder und Jugendliche aus einer Hand zu erbringen und gleichzeitig auch zu verbessern, wird grundsätzlich unterstützt. Die Umsetzung wirft jedoch noch viele Fragen auf. Es werden für Familien mit Kindern mehr Anlaufstellen notwendig, um die notwendigen existenzsichernden Leistungen zu erhalten, da die Jobcenter in jedem Fall für die Eltern zuständig bleiben und auch ergänzende Leistungen für Kinder und Jugendliche (z.B. einmalige BuT-Leistungen, Mehrbedarfe oder ungedeckte Bedarfe bei den Kosten der Unterkunft) bleiben wohl in der Zuständigkeit der Jobcenter.

Mit der Verlagerung der aktiven Betreuung im U-25-Bereich wären somit in vielen Fällen mindestens drei Anlaufstellen für die Familien mit Kindern zuständig (Familienkasse, BA und Jobcenter), wenn nicht noch zusätzlich weitere Leistungen der Jugendhilfe hinzukommen, da Unterhaltsvorschussleistungen nicht in die Kindergrundsicherung integriert werden sollen.

Auch die Erreichbarkeit der Familienkassen, die mit nur rd. 100 Standorten bundesweit über rd. 1/10 der Standorte der etwa 400 Jobcenter (mit ca. 1.000 Standorten) verfügt, ist insbesondere für das zum Teil nicht mobile Klientel junger, und sozialleistungsbeziehender Menschen nicht bürgerorientiert. Inwieweit es tatsächlich gelingt, die Kindergrundsicherung unbürokratisch und digital umzusetzen bleibt abzuwarten.

 

Fazit

Die Jobcenter insgesamt und damit auch das kommunale Jobcenter des Kreises Coesfeld waren und sind in den Krisen der vergangenen Jahre (z.B. Flüchtlingskrisen, Pandemie) diejenigen Stellen, die wesentlich dazu beigetragen haben, den sozialen Frieden in der Gesellschaft sicherzustellen. Mit den geplanten massiven finanziellen und inhaltlichen Einschränkungen fehlen den Jobcentern die Handlungsmöglichkeiten, um diese Aufgabe auch künftig wahrzunehmen. Mit dem Fokus auf mehr Qualifizierung, wie es das Bürgergeld gesetzlich vorsieht, können die Jobcenter bei ausreichender finanzieller Ausstattung auch künftig gerade auch mit Blick auf die jungen Menschen im Leistungsbezug einen wichtigen Beitrag zum Thema des Fachkräftemangels leisten.

 

Aktuelle Überlegungen zur Neuorganisation des Jobcenters mit einer konkreten Spezialisierung auf die Zielgruppe der unter 25-Jährigen liegen derzeit auf Eis; über die geplanten Organisationsänderungen war bereits im AASSG berichtet worden.“