Beschluss: Kenntnis genommen

Vorsitzende Schäpers begrüßt Frau Westermann und bittet sie ihre Arbeit als Gehörlosenberaterin vorzustellen.

Frau Westermann dankt für die Einladung und erläutert, dass sie dem Gremium ihre Tätigkeit als Gehörlosenberaterin zunächst allgemein und im Anschluss daran anhand eines Fallbeispiels aus der Praxis vorstellen werde. Sie sei gelernte Erzieherin und vor ihrer Einstellung als Gehörlosenberaterin u.a. als Gruppenleiterin bzw. als erzieherische Leitung von Einrichtungen tätig gewesen.

Seit dem 01.07.2002 habe sie die Aufgaben der Beratungsstelle für Gehörlose im Kreis Coesfeld mit einem Stellenumfang von 25 % einer Vollzeitstelle übernommen. Ihre Aufgabe sei die Hilfestellung für gehörlose Menschen in Form von Informationsweitergabe und Beratung.

Nach Angaben von Frau Westermann gebe es rd. 80.000 gehörlose Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Statistisch erfasst seien hier aber nur die gehörlosen Menschen, die Gehörlosengeld beziehen würden. Anspruch auf Gehörlosengeld habe man, wenn man bis zum siebten Lebensjahr ertaubt sei, die sog. Spätertaubten, also nach dem siebten Lebensjahr Ertaubte oder hörgeschädigte Menschen würden hier statistisch nicht miteinbezogen.

Die Gehörlosenberatung umfasse sowohl die gehörlosen als auch die spätertaubten Menschen. Für die gehörgeschädigten Menschen existiere eine Selbsthilfegruppe, die Frau Westermann zwar nicht regelmäßig, aber gelegentlich unterstütze.

Die festen Sprechstunden in der Gehörlosenberatungsstelle seien dienstags von 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr und mittwochs von 09.00 Uhr bis 12.00 Uhr. Es bestehe aber nach Auskunft von Frau Westermann auch die Möglichkeit, Gesprächstermine außerhalb der Sprechzeiten zu vereinbaren. Des Weiteren versuche sie bei den monatlichen Treffen der Mitglieder des Allgemeinen Gehörlosen Vereins Coesfeld – Borken e.V., die bereits seit ca. 20 Jahren stattfinden würden, dabei zu sein. Ferner finde einmal im Monat ein Seniorennachmittag für Gehörlose statt und zwei Mal im Jahr würde außerdem ein Treffen mit dem Vorstand des Allgemeinen Gehörlosen Vereines zur Diskussion allgemeiner Probleme organisiert. Frau Westermann führt aus, dass ihre Vorgängerin durch die Vollzeitstelle für die Teilnahme an diesen Veranstaltungen deutlich mehr Zeit gehabt hätte. Vor dem Hintergrund, dass sie selbst nur 25 % einer Vollzeitstelle innehabe, sei mit dem Gehörlosenverein abgesprochen worden, dass dieser rechtzeitig an sie herantrete, wenn Gesprächs- bzw. Handlungsbedarf bestehe. Eine Teilnahme an allen Treffen sei ihr nicht möglich.

Große Nachfrage und Unterstützungsbedarf der Gehörlosen bestehe vor allem bei Kommunikationsproblemen im Rahmen von Behördengängen. Ein weiteres Aufgabenfeld sei für sie das Schreiben von Berichten, beispielsweise für Ärzte. Darüber hinaus werde ein ständiger Austausch mit Kollegen in anderen Gehörlosenberatungsstellen z.B. in Bocholt, Ahaus, Münster geführt.

Im weiteren Verlauf erklärt Frau Westermann, dass sie ihr Aufgabenspektrum nunmehr an einem konkreten Fall darstellen wolle:

Eine gehörlose Thailänderin habe im Dezember 2005 einen gehörlosen Mann in Deutschland geheiratet. Im Januar 2006 sei der Ehemann plötzlich verstorben. Die gehörlose Thailänderin habe im Vorfeld keinen Kontakt zur Gehörlosenberatung gehabt. Sie sei nicht durch die Thailänderin selbst, sondern durch den behandelnden Arzt auf diese Frau aufmerksam gemacht worden. Die Thailänderin habe keinerlei Deutschkenntnisse und selbst nur schlecht die Gebärdensprache gekonnt. Da thailändische Gebärden in Deutschland nicht verwendet würden, habe sie zunächst eine Dolmetscherin ausfindig machen müssen. Frau Westermann betont, dass die Kosten für einen Dolmetscher in der Regel 42,00 € pro Stunde betragen würden. Hinzu kämen noch Fahrtkosten. In diesem Fall sei die Dolmetscherin zugunsten der Thailänderin aber auch oft ehrenamtlich tätig geworden.

Nach einigen Gesprächen sei dann klar geworden, dass die Thailänderin zu den deutschen Verwandten ihres verstorbenen Mannes keinen Kontakt habe. Die Beerdigungskosten habe die Ex-Ehefrau des Mannes getragen. Diese habe auch die bisherigen Behördenangelegenheiten geregelt. Der Thailänderin habe Anspruch auf Sterbegeld vom Arbeitgeber des verstorbenen Ehemannes sowie auf Auszahlung einer Lebensversicherung des Ehemannes gehabt. Diese Gelder seien aber auf das Konto der Ex-Ehefrau geflossen, da die Thailänderin zu der Zeit kein eigenes Konto besessen habe.

Zwischenzeitlich sei dann der Kontakt zu der thailändischen Gehörlosen abgebrochen. Frau Westermann erklärt, dass in dieser Zeit keine Rückmeldung auf ihre Versuche, per SMS Kontakt aufzunehmen, zu verzeichnen gewesen sei.

Nach ca. acht Wochen sei dann eine SMS der Thailänderin mit der Bitte um einen kurzfristigen Termin auf dem Handy der Gehörlosenberaterin eingegangen. Es habe sich herausgestellt, dass die Thailänderin über das Internet einen gehörlosen Mann kennen gelernt habe. Zwar habe die Ex-Ehefrau des verstorbenen Mannes einen Teil des Geldes an die Thailänderin ausgezahlt, aber durch „besonders gute“ Freunde, die sich daraufhin bei der Thailänderin gemeldet hätten, sei ihr das Geld unter illegalen Umständen wieder abgenommen worden. Sie sei erpresst, bedroht und vergewaltigt worden und läge mit zwei Monatsmieten im Rückstand.

Daraufhin sei, so Frau Westermann weiter, ein gemeinsamer Termin mit der Polizei, der Rentenstelle, dem Sozialamt, der Dolmetscherin und einem Rechtsanwalt anberaumt worden. Frau Westermann hebt hervor, dass alle Beteiligten sofort zur Hilfe bereit gewesen wären. Durch die Unterstützung des Rechtsanwaltes sei es geschafft worden, dass ein Teil des Geldes, welches der Thailänderin durch die Erpressung entwendet worden sei, wieder ihrem Konto gutgeschrieben werden konnte. Dadurch sei es der Thailänderin möglich gewesen, ihre Schulden auszugleichen. Die Erpressung habe man aber leider nicht nachweisen können.

Außerdem sei noch in Erfahrung gebracht worden, dass die Thailänderin auf Grund der mangelnden Deutschkenntnisse unwissentlich einen Erbverzicht unterschrieben habe.

Der Thailänderin gehe es aber nunmehr gut, sie wohne mit dem Internetfreund zusammen in einem anderen Bundesland. Sie habe daher auf sämtliche bestehenden Ansprüche verzichtet.

 

Frau Westermann verweist an dieser Stelle auf das Handout-Paper (Anlage 1), in dem nach ihren Angaben alle Stellen, zu den die Gehörlosenberatung Kontakte hält bzw. halten muss, aufgeführt seien.

Sie erklärt des Weiteren, dass das Suchen von geeigneten Dolmetschern sehr aufwendig sei. Im Kreis Coesfeld gebe es beispielsweise keinen einzigen Gebärdendolmetscher. Da es ihre Arbeitszeit nicht erlaube, Gehörlose bei jedem Behördengang zu begleiten, freue sie sich sehr darüber, dass der Kreis Coesfeld nunmehr zwei Mitarbeiterinnen in Gebärdensprache qualifizieren lasse. Für Gehörlose sei eine Verständigung außerhalb der Gebärdensprache sehr schwierig. So sei erwiesen, dass beim Lippenlesen 30 bis 40 % der Aussagen nicht verstanden würden. Auch beim Anschauen von Filmen mit Untertiteln sei es anstrengend, die Handlung des Films lückenlos zu verfolgen. Dies könne auch von Menschen ohne Behinderung bestätigt werden.

 

Oft werde sie nach dem Unterschied zwischen der Tätigkeit des Integrationsfachdienstes (IFD) und ihrer Tätigkeit im Rahmen der Gehörlosenberatung gefragt, so Frau Westermann.

Eine Trennung der Aufgaben sei insofern gegeben, als dass sich der IFD um den Arbeitsbereich und sie sich um den allgemeinen sozialen Bereich des Gehörlosen kümmere. Dabei sei es allerdings so, dass der IFD auch oft ganze Familien betreue, es sei denn, der Arbeitsbereich falle weg. Für eine Beratung bzw. Betreuung müsse der Gehörlose relativ viel von seiner Privatsphäre preisgeben. Insofern sei es sinnvoll und im Übrigen auch effektiver, wenn der Gehörlose nur einen Ansprechpartner und damit eine Vertrauensperson habe. Im Einzelnen erfolge ggf. eine Absprache mit dem IFD. Aufgrund ihrer geringen Arbeitszeit empfehle sie auch öfter die Wahrnehmung des Gehörlosen-Angebotes in Münster. Dort gebe es Vollzeitkräfte. Ein „Beratungsstellen-Hopping“ solle aber vermieden werden. Diesbezüglich hilfreich sei der gute Kontakt der Beratungsstellen untereinander. Für die Gehörlosenberatungsstelle in der Kolping-Bildungsstätte Coesfeld sei ein Handy vorhanden, welches lediglich am Wochenende ausgestellt sei.

 

Ktabg. Pieper erkundigt sich nach der Freizeitgestaltung und –planung für Gehörlose.

Frau Westermann gibt diesbezüglich an, dass das Freizeitangebot für Gehörlose im Kreis Coesfeld nicht sehr groß sei. Jüngere Gehörlose aus dem Kreis Coesfeld würden sich in ihrer Freizeit meistens Richtung Münster, Essen und Dortmund orientieren. Organisatorisch sei das kein Problem und die Freizeitangebote für junge Gehörlose seien dort einfach besser.

Von den ca. 90 Gehörlosen, die im Kreis Coesfeld leben würden, sei im Übrigen der überwiegende Teil bereits im Seniorenalter. Ein zunehmendes Problem sei auch, dass viele der gehörlosen, in Einrichtungen lebenden Senioren im Kreis Coesfeld nicht mehr das Interesse hätten, sich in einem Verein zu organisieren. So kämen 80 % der gehörlosen Senioren des Allgemeinen Gehörlosen Vereins Coesfeld-Borken aus Borken.

Auf die Anfrage der Vorsitzenden Schäpers, ob die Gehörlosenberatung diesbezüglich in Kontakt zu den Einrichtungen stehe, teilt Frau Westermann mit, dass es Kontakte gebe, diese aber sehr aufwendig seien.

 

Ktabg. Willms stellt heraus, dass die CDU-Fraktion es als sehr bemerkenswert erachte, dass Frau Westermann trotz der geringen Arbeitszeit so umfassend Hilfestellung für gehörlose Menschen leiste. Es werde deutlich, dass die Arbeit der Gehörlosenberaterin sehr wichtig sei. Daher seien Unterstützungs- und Verbesserungsmöglichkeiten durch die Politik aufzugreifen und zu fördern. Ein konkreter Fortschritt sei bereits die Fortbildung der Mitarbeiterinnen des Kreises Coesfeld im Rahmen eines Gebärdensprachkurses. Unter Bezugnahme auf das Programm der Landesregierung mit dem Titel „Teilhabe für alle“, welches vom Landessozialminister Karl-Josef Laumann herausgegeben worden sei, stelle sich die Frage, ob bereits ein Notfallfax für Gehörlose im Kreis Coesfeld vorhanden sei.

Frau Westermann teilt dazu mit, dass die Nummer 110 als Notfallfax existiere und funktioniere. Die Nummer 112 sei noch nicht in Betrieb.

Ktabg. Willms regt daraufhin an, diesbezügliche Weiterentwicklungen voranzutreiben.

Es sei hierbei aber zu berücksichtigen, so Frau Westermann, dass die Nutzung des Faxes immer mehr von der Nutzung des Handys verdrängt werde. Eine SMS über ein Handy zu versenden sei weniger aufwendig und schneller erledigt, als die Betätigung eines Faxgerätes.

Diesbezüglich sei es nach Mitteilung der Ktabg. Willms erforderlich, die Bürgerinnen und Bürger durch gute Informationen fachkundig zu machen. Bürgernahe Lösungen müssten nicht teuer sein. Hierzu bittet Ktabg. Willms Frau Westermann um Vorlage des aktuellen „Flyers“ der Beratungsstelle für Gehörlose in der Kolping-Bildungsstätte Coesfeld.

Ktabg. Prof. Dr. Voß bittet Frau Westermann um Mitteilung, ob es eine vorgefertigte Notfall-SMS gebe. Nach Auskunft von Frau Westermann sei eine solche Notfall-SMS in Gebrauch. Die Thailänderin habe z.B. eine vorgefertigte SMS benutzt. Sobald die Nummer der Thailänderin auf dem Handy der Beratungsstelle angezeigt wurde, habe sie die entsprechende Stelle mit der Bitte um Hilfe verständigen können.

 

Ktabg. Dabbelt bittet um Klärung, welche unterschiedlichen Hilfestellungen jeweils den Gehörlosen und den Gehörgeschädigten zufließen würden.

Hierzu erläutert Frau Westermann, dass es Weiterbildungsangebote und Selbsthilfegruppen für Gehörgeschädigte gebe. Das Resthörvermögen bei Schwerhörigen sei oft durch Hörgeräte auszugleichen. Eine Teilnahme an Veranstaltungen von Gehörgeschädigten sei ihr aber aufgrund ihres geringen Stellenumfanges nicht möglich. Gehörgeschädigte, denen beispielsweise durch ein Implantat wieder ein Hörvermögen gegeben werde, würden vor und nach der Operation intensiv betreut und könnten dementsprechend z.B. Geräusche mit bestimmten Wörtern verbinden. Die Welt der Gehörgeschädigten sei insofern für die Gehörlosen nach Meinung von Frau Westermann meistens nicht zugänglich. Ihr Hauptaugenmerk liege daher auf Hilfestellung für Gehörlose in Alltagsproblematiken. Sie würde jedoch auch spätertaubte und in akuten Notlagen Schwerhörige beraten.

Vorsitzende Schäpers bestätigt, dass insbesondere die Personen mit entsprechenden Implantaten, d.h. die sog. „CI-Patienten“, einen Personenkreis bilden würden, den die Gehörlosenberatung nicht mit abdecken könne und müsse. So würden diese Personen bereits vor dem Eingriff von den „CI-Teams“ gut vorbereitet. Die Gehörlosen stellen einen, ihrer Ansicht nach eigenen Bereich dar.

 

Auf die Frage der Ktabg. Dabbelt, wie beispielsweise mit einem 20-jährigen umgegangen werde, der bei einem Unfall sein Gehör verloren hätte, somit auch gehörlos sei, jedoch nach der Definition als Spätertaubter zu den Gehörgeschädigten zähle, antwortet Frau Westermann, dass dieser 20-jährige auch Beratung und Betreuung erfahre, aber nicht das Gehörlosengeld in Höhe von 78,00 € monatlich beziehen könne. Dieses erhalte nur derjenige, der bis zum siebten Lebensjahr ertaubt sei.

 

Ktabg. Prof. Dr. Voß fragt nach, wie die Entwicklung der Gehörlosenberatung europaweit, insbesondere im Nachbarland Holland fortschreite. Ktabg. Willms teilt hierzu mit, dass das Landesprogramm „Teilhabe für alle“ zu diesem Thema vorsehe, die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben grenzüberschreitend zu fördern und zu verbessern.

 

Vorsitzende Schäpers dankt Frau Westermann für die interessanten Ausführungen zu ihren Aufgabenbereichen in der Beratungsstelle für Gehörlose.

 


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