Das Martinistift Nottuln engagiert sich für junge Menschen in Not und wird seit 6 Jahren in der Rechtsform einer gGmbH geführt. Seit 2010 wird das Martinistift durch die beiden Geschäftsführer Bolle und Schmitz geleitet, die den Ausschussmitgliedern in der Sitzung einen Einblick in die pädagogische Arbeit vermitteln (Anlage 1).

Als Träger von überregionaler Bedeutung verfügt das Martinistift über stationäre und teilstationäre Jugendhilfeangebote sowie ambulante Dienste. Insgesamt werden rund 175 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in unterschiedlichen Settings betreut. Die Belegung erfolgt überwiegend durch das Münsterland und das Ruhrgebiet, aber auch bundesweit.

Derzeit befinden sich zehn Jugendliche in verschiedenen individualpädagogischen Projekten in Spanien (Teneriffa und Andalusien), Frankreich und den Niederlanden. Darüber hinaus erfolgt die Begleitung von ca. 45 bis 50 Kindern in Westfälischen Pflegefamilien. Das Martinistift verfügt weiterhin über Außenwohngruppen in Coesfeld, Münster-Roxel, Haltern (Mädchen), Münster-Hiltrup (Mädchen und Jungen).

In der Stammeinrichtung in Nottuln-Appelhülsen befinden sich elf Wohngruppen mit jeweils sechs bis neun Plätzen für männliche Kinder und Jugendliche. Daneben gibt es derzeit fünf offene Intensivgruppen mit sieben Plätzen. Je nach Betreuungsintensität sind fünf bis zehn pädagogische Mitarbeiter/innen rund um die Uhr in den individuell ausgerichteten Gruppen tätig.

Junge Menschen im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren, die sich nachhaltig jedem erzieherischen Einfluss entziehen, werden zeitlich befristet in vier geschlossenen Intensivgruppen in unterschiedlicher Gruppenstärke von fünf bis neun Kindern und Jugendlichen betreut. In diesen sogenannten FM-Gruppen (freiheitsentziehende Maßnahme) wird den Problemen der Jugendlichen durch fest vorgegebene Strukturen und einem breit gefächerten therapeutischen Angebot begegnet. NRW-weit gibt es ca. 400 Plätze mit freiheitsentziehenden Maßnahmen von denen allein 35 im Martinistift vorgehalten werden.

Nach einem Vorbesuch in dieser Gruppe erfahren die Kinder und Jugendlichen in der Anfangsphase einen relativ engen bzw. geschlossenen Rahmen, der sich im Erziehungsverlauf immer weiter öffnet. Der sog. Stufenplan hat das Ziel, gemeinsam mit den Jugendlichen die für sie adäquate Betreuungsform zu finden. Die Kinder und Jugendlichen erhalten besondere Hilfen bei der Aufarbeitung von Persönlichkeitsstörungen und der Bewältigung schulischer Defizite. Ktabg. Pieper betont, dass dieser geschlossene Bereich für die jungen Menschen vor allem „Schutz“ vor den Eltern bzw. dem zuvor prekärem Umfeld bedeute.

Die psychologische Beratung/Psychotherapie und Diagnostik ist ein Schwerpunkt der Martinistift gGmbH. Die psychiatrische Behandlungsquote beträgt im Martinistift ca. 80%. Die jugendpsychiatrische Betreuung erfolgt in enger Zusammenarbeit mit dem Westfälischen Institut für Heilpädagogik und Jugendpsychiatrie und in Kooperation mit dem Westfälischen Landeskrankenhaus in Marl-Sinsen und der Vestischen Kinderklinik in Datteln. Zudem besteht ein enger Kontakt zur Kinderschutzambulanz Münster.
Speziell für sexuell übergriffige Jungen gibt es im Martinistift seit 2006 die sog. „Gruppe 14“ mit derzeit 9 Plätzen. Nach der Betreuung in dieser Gruppe sei keiner der jungen Menschen bisher wieder einschlägig aufgefallen erläutert Bolle.            
Das Martinistift verfügt über eine Reihe eigener Therapeuten und in jeder Gruppe gibt es zumindest einen Betreuer mit einer trauma-pädagogischen Ausbildung, die regelmäßig aufgefrischt wird. Deeskalationstrainings und Supervisionssitzungen sowie die Möglichkeit der Beratung durch die Kinderschutzambulanz Münster stehen allen Mitarbeitenden regelmäßig zur Verfügung.

Das Martinistift fühlt sich der schulischen und beruflichen Förderung der Jugendlichen besonders verpflichtet. Das vorrangige Ziel ist es, Jugendliche zu motivieren Freude an den eigenen Fähigkeiten zu entwickeln, sich selbst zu fordern und auch fordern zu lassen.

In Kleinstgruppen unterrichten u.a. Lehrer der Astrid-Lindgren-Schule (Schule für Erziehungshilfe) aus Lüdinghausen innerhalb ihrer Dependance im Martinistift. Auf Nachfrage von Ktabg. Schäpers, wie sie sich Schule im Martinistift konkret vorstellen könne, erläutert Frau Siehoff als Konrektorin der Astrid-Lindgren-Schule und Leiterin der Nebenstelle im Martinistift, dass es sich im Martinistift um sehr kleine Schulgruppen handele mit einem Personalschlüssel von einem Lehrer für vier Schüler. Oberstes Ziel sei, dass die Jugendlichen wieder Spaß an Schule erhielten. Dabei würde mit Förderplänen gearbeitet, die bei den Stärken der Schüler ansetzen und eine sehr kleinschrittige Vorgehensweise vorsehen. Zudem gäbe es eine sehr enge Absprache zwischen Schule, Einrichtung und Schüler. Neue Schüler würden maximal 2 Stunden am Tag unterrichtet. 

Nach einer gezielten Förderung besuchen die Kinder und Jugendlichen eine örtliche allgemeinbildende Schule und/oder werden in heimischen Betrieben ausgebildet bzw. durch einen Berufsvorbereitungslehrgang auf das Berufsleben vorbereitet. Dafür werden die unterschiedlichen Angebote der Berufsförderung und -orientierung in Anspruch genommen.

Historisch gewachsen ist der Umstand, dass das Martinistift überwiegend auf die Betreuung und Erziehung von männlichen Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist. Aufgrund der langjährigen Erfahrung wurde der Bedarf an intensiver Betreuung auch für weibliche Kinder und Jugendliche an das Martinistift herangetragen. In Zukunft sei laut Herrn Bolle die Einrichtung einer zweiten intensiv-pädagogischen offenen Mädchengruppen im nördlichen Ruhrgebiet geplant.

Auf entsprechende Nachfrage von Mitglied Brandenburger, Mitglied Pieper, Mitglied Kuhlmann und Ktabg. Haselkamp teilt Herr Bolle mit, dass der Jugendhilfeausschuss des Landes NRW keine weiteren Plätze mit freiheitsentziehenden Maßnahmen im Bereich des LWL mehr fördern wolle. Intensiv-pädagogische geschlossene Gruppen könnten aus diesem Grund für Mädchen nicht eingerichtet werden, da dies zulasten der bestehenden Plätze für Jungen ginge, die hierfür abgebaut werden müssten.

Ktabg. Pieper erkundigt sich nach den Kosten für die jeweiligen Unterbringungsformen die vom Jugendhilfeträger aufgebracht werden müssen. Mitglied Schmitz führt aus, dass durch den intensiven pädagogischen Betreuungsbedarf in den geschlossenen FM-Gruppen der Personalschlüssel im Jahr 2010 von 1:1 auf 1:0,71 erhöht werden musste, wodurch sich u.a. folgende Tagessätze ergeben:

341,- €             geschlossene Intensiv / FM – Gruppe

202,- €             offene Intensiv-Gruppe

145,- € / 150,- €           Regelgruppe

 

Da keine weiteren Wortmeldungen folgen, bedankt sich Vorsitzender Wobbe ganz herzlich bei Mitglied Schmitz und Herrn Bolle und äußert Überraschung über die Vielfalt des Angebotes.