Betreff
Anwendung des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) und zirkuläre Materialwertschöpfung bei Neu- und Ergänzungsbauwerken sowie bei Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten im Gebäudebestand der Kreisverwaltung; Antrag der Fraktion Bündnis 90 / di e Grünen vom 21.02.2022
Vorlage
SV-10-0594
Art
Sitzungsvorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Beschlussvorschlag der Kreistagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

 

Die Kreisverwaltung wird zukünftige Baumaßnahmen -sei es bei der Errichtung von Neubauten oder bei Instandhaltungen und Erweiterungsbauten im Bestand- nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) zertifizieren lassen. Als ein konkretes erstes Projekt wird die anstehende Groß-Baumaßnahme „Erweiterung des Kreishauses“ in Coesfeld vorgeschlagen. Eine Zertifizierung ist mindestens in der Kategorie “Silber” anzustreben. Generell soll die energetische Bilanz zukünftiger Bauwerke wie z.B. bei der anstehenden Kreishauserweiterung mindestens dem Niveau eines sogenannten Effizienzhauses 40+ nach KFW-Richtlinien entsprechen.

Zudem werden alle anstehenden Sanierungen, Ergänzungs- und Neubauten nach dem Prinzip der zirkulären Wertschöpfung -unter Verwendung nachhaltig produzierter Baustoffe- geplant und umgesetzt werden. Das bedeutet, dass alle eingesetzten und nachhaltig produzierten Baumaterialien wiederverwendet werden können.

 

Vorgelegt gem. § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Kreistages des Kreises Coesfeld.

 

 

Beschlussvorschlag der Verwaltung:

 

Die Verwaltung prüft bei zukünftigen Baumaßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit, welche Maßnahmen geeignet sind, Aspekte der Nachhaltigkeit, insbesondere zu Fragen der Energieeffizienz, bei Neubauten und Sanierungen umzusetzen. Als Orientierungsrahmen können dabei Leitlinien des Bundes und des Landes herangezogen werden. Entsprechende Förderprogramme des nachhaltigen Bauens sollen rechtzeitig in die Planungen einbezogen und beantragt werden.

I. Sachdarstellung

Mit Schreiben vom 21.02.2022 stellte die Kreistagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den im Beschlussvorschlag genannten Antrag. Näheres ist dem Antrag zu entnehmen.

 

Stellungnahme der Verwaltung:

1.   Allgemeines:

Das BNB zeichnet sich durch die umfassende Betrachtung des gesamten Lebenszyklus aus – unter Berücksichtigung der ökologischen, ökonomischen, soziokulturellen Qualität sowie technischen Aspekten und Prozessen.

Ziel des nachhaltigen Bauens ist der Schutz allgemeiner Güter wie Umwelt, Ressourcen, Gesundheit, Kultur und Kapital. Aus diesen leiten sich die klassischen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und soziokulturelle Aspekte – ab, an denen auch die Qualität von Gebäuden gemessen werden muss. Darüber hinaus sind technische Qualitäten sowie die Prozessqualität zu betrachten, die als Querschnittsqualitäten Einfluss auf alle Teilaspekte der Nachhaltigkeit haben.

Das BNB ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung und Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten über den gesamten Lebenszyklus. Primäres Ziel ist dabei nicht die Optimierung von Einzelaspekten, sondern eine ganzheitliche Optimierung von Gebäuden und Außenanlagen. Neben der finalen Bewertung und Dokumentation der tatsächlich erreichten Gebäudequalität dient das BNB auch zur planungs- und baubegleitenden Qualitätssicherung und -kontrolle. Ein erster Kriterienkatalog zur ganzheitlichen Betrachtung und Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten für Gebäude wurde vom Bundesbauministerium – wissenschaftlich begleitet durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) – in einer zweijährigen kooperativen Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e. V. (DGNB) entwickelt. Die Bewertungsgrundlagen und -methoden wurden vorrangig für Gebäude in Deutschland auf Basis geltender Regelungen erstellt.

Das Bewertungssystem wird – aufbauend auf aktuellen Forschungsergebnissen und unter der Berücksichtigung von Änderungen im Bereich gesetzlicher Regelungen – kontinuierlich weiterentwickelt.

 

2.    Systemvarianten und Module

Grundsätzlich gelten die Dimensionen, Prinzipien und Qualitäten des nachhaltigen Bauens gleichermaßen für alle Gebäudetypen und Lebenszyklusphasen. Je nach Gebäudeart müssen aber nutzungsspezifische Besonderheiten in der Planung und bei der Nachhaltigkeitsbewertung beachtet werden.

Ein Gebäude sowie seine Nutzungs- und Betriebsprozesse können über den Lebenszyklus hinweg mehrfach einer Nachhaltigkeitsbewertung unterzogen werden. Zu diesem Zweck wurden entsprechend dem Aufbau des Leitfadens Nachhaltiges Bauen die drei BNB-Module Neubau, Komplettmodernisierung sowie Nutzen und Betreiben entwickelt. Die entsprechenden Kriterien stehen für einige Systemvarianten wie Bürogebäude bereits vollständig zur Verfügung, für andere werden diese noch erarbeitet.

 

3.   Abläufe und Zuständigkeiten

Die Nachhaltigkeitskriterien des BNB sollten möglichst bis zur Erstellung der Vorplanung als Grundlage für eine Zielvereinbarung für das Bauvorhaben genutzt werden. Dadurch kann das BNB als Instrument zur Qualitätssicherung bis zur Fertigstellung eingesetzt und die Umsetzung der festgelegten Nachhaltigkeitsaspekte durch eine Konformitätsprüfung bestätigt werden. Die dafür notwendige Beratung und Zusammenstellung der Unterlagen wird von Nachhaltigkeitskoordinatoren übernommen, die eine zusätzliche Fortbildung absolviert haben.

 

Vor dem Hintergrund fand ein Gespräch mit einem, vom Bundesbauministerium angerkannten Systembetreiber / Zertifizierungsstelle für BNB (Steinbeis-Transfer-Institut Bau- und Immobilienwirtschaft) statt.

Das Gesprächsergebnis, die sich daraus ergebenden Abläufe und Kosten werden im Folgenden beispielhaft für Neubauprojekte dargestellt.

Grundsätzlich wurde das Verfahren für bestimmte Gebäudekategorien entwickelt (Bürogebäude, Unterrichtsgebäude, Laborgebäude).

Die anstehenden Neubauvorhaben des Kreises Coesfeld entsprechen nicht den Vorgaben. Hier käme ein Ersatzverfahren zur Anwendung (sinngemäße Anwendung), welches auf der Basis der Anforderungen des Bauherrn projektspezifisch entwickelt wird.

 

4.    Faktor Verfahrenskosten:

Die Kosten für ein vollständiges Zertifizierungsverfahren für ein Bauvorhaben mit einem Gesamtprojektvolumen von 5 Mio. EUR (netto) belaufen sich auf ca. 110. - 120.000 EUR (brutto).

Diese Summe setzt sich aus den Kosten für das Zertifizierungsverfahren i.H.v. ca. 10.000 EUR (brutto) und einem Betrag für die erforderliche Hinzuziehung eines BNB-Koordinators von ca. 100. - 110.000 EUR (brutto) zusammen.

Als Richtwert werden ca. 1 – 2 % der Gesamtkosten des Bauprojektes angenommen.

 

5.    Faktor Baukosten:

Im Vergleich zu einem Gebäude das nach den Anforderungen des GEG 2020 herzustellen wäre, werden i.d.R. bei frühzeitiger Einbindung der Verfahrensschritte in die Maßnahmenplanung keine Mehrkosten für eine Ausführung zur Erreichung der Zertifizierung mit dem Grad „Silber“ (65 – 80 % Erreichungsgrad) anfallen.

 

6.    Faktor Zeit:

Grundsätzlich sollte ein BNB-Koordinator vor der Durchführung eines Architektenwettbewerbes bzw. vor dem Auftakt des Planungsprozesses beteiligt werden um insbesondere die dahingehende Zieldefinition zu begleiten und zu moderieren.

Die nachträgliche Einbindung in einen laufenden Planungsprozess, wie z.B. bei der Erweiterung des KH I, würde zu Planungsstörungen, möglichen Umplanungen bis hin zum Planungsstopp, mit der Konsequenz erheblicher Zeitverlust von mindestens 6 Monaten, führen.

Aufgrund der Folgeplanungen (Umbau der Rettungswache Coesfeld) und den zeitlichen Zwängen würde eine nachträgliche Einbindung erhebliche Nachteile mit sich bringen.

Eine Beauftragung des BNB-Koordinators sowie die Anpassung der Bewertungsmaßstäbe für die sinngemäße Anwendung des Verfahrens sollte nach Auskunft der Zertifizierungsstelle mit Blick auf die Verfügbarkeit entsprechender Fachleute in einem Zeitraum von ca. 4-5 Monaten zu bewerkstelligen sein. Dies setzt voraus, dass die Vergabe des Auftrages für eine Koordination des Verfahrens als nationales Verfahren abgewickelt werden kann. Sofern die Rechnungsprüfung mit Verweis auf die Vergabeordnung dem nicht zustimmen kann, wäre ein weiteres VgV-Verfahren durchzuführen. Für ein solches Verfahren ist ein Zeitraum von 6 – 8 Monaten einzuplanen.

Auch hierdurch würde die bisherige Zeitplanung beim konkreten Bauvorhaben zur Erweiterung des Kreishaus I weiter nach hinten verschoben.

Es sei ergänzend darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Auslobung des Architektenwettbewerbs zur Erweiterung des Kreishaus I bereits Anforderungen formuliert wurden, die einen nachhaltig wirtschaftlichen Neubau ermöglichen sollen und dabei einen sparsamen Umgang mit Ressourcen voraussetzt.

Unter anderem waren dies

-          eine kompakte Bauweise mit geringem Oberflächen-zu-Volumen-Verhältnis,

-          eine hohe Flächeneffizienz,

-          die Verwendung von Bauprodukten mit weitgehend reduziertem Schadstoffgehalt sowie

-          hohe Anforderungen an den sommerlichen Wärmeschutz, um die Nutzung aktiver Systeme zu vermeiden bzw. deren Einsatz möglichst zu reduzieren.

Für Umbau und Sanierungsmaßnahmen stellt sich die Situation gänzlich anders dar, da nur in den wenigsten Fällen so tiefgreifend in die Gebäudekonstruktion eingegriffen wird, so das sich Überlegungen zum BNB-Verfahren hieraus aufdrängen könnten.

Das bei einer Gesamtsanierung anzuwendende, mehrstufige Verfahren – von der Maßhaltigkeitsprüfung, über baukonstruktive - und anlagentechnische Prüfungen bis hin zur Schadstoffanalyse - erfordert, wie bei Neubaumaßnahmen, einen erheblichen Vorlauf und die Einsetzung bereits mit den Vorplanungsüberlegungen.

Die Anwendung von BNB-Verfahren ausschließlich auf Bauteilsanierungen, hier z.B. eine energetische Sanierung im Bestand an Dach und Fach, würde einen, aus fachtechnischen Sicht nicht zu rechtfertigenden Planungs- und Kostenaufwand darstellen.

Dennoch werden sich in den folgenden Monaten und Jahren in konkreten Maßnahmen immer wieder Möglichkeiten ergeben, den zeitlichen Vorlauf des oben beschriebenen Verfahrens mit einzubeziehen, um der Grundidee, die Gebäudeeffizienz der Kreisliegenschaften zu steigern, Rechnung zu tragen. Dies gilt sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen von Bestandsgebäuden.

Die Verwaltung wird dies bei den konkreten Projekten unter Beteiligung der politischen Gremien jeweils in die Beratungen geben, so dass die Politik in jedem Einzelfall die Möglichkeit hat, eine projektbezogene Bewertung und Entscheidung herbeizuführen.

Dabei wird die Verwaltung bei dem jeweiligen Vorschlag auch berücksichtigen, ob Besonderheiten – beispielsweise Denkmalschutz – vorliegen, die bei Anwendung des Verfahrens zu ganz erheblichen Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen führen können.

Zu beachten ist zudem, dass eine flächendeckende Anhebung der Standards neben personellen auch finanzielle Auswirkungen nach sich zöge. Gerade bei kleineren Maßnahmen stehen dann Aufwand und Nutzen nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis.

 

Einzelmaßnahmen bei Bestandsgebäuden müssten zusammengefasst werden zu Projekten für einen zeitlich synchronisierten Ablauf, wie z.B. am Pictorius-Berufskolleg beabsichtigt. Grundsätzlich müssten verbindliche Qualitätsvorgaben und standardisierten Konstruktionen der wesentlichen Bauteile unter Betrachtung des gesamten Lebenszyklus erarbeitet und fortgeschrieben werden.

Um eine zusätzlichen finanziellen und personellen Mehraufwand in einem vertretbaren Verhältnis zum Projektvolumen zu begrenzen, schlägt die Verwaltung vor, die BNB-Verfahren auf

·         große, investive Neu- und Erweiterungsprojekte sowie

·         konsumtive, ganzheitliche Sanierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen

jeweils ab einem geschätzten Gesamt-Projektvolumen von 5,0 Mio €/Netto* zur Anwendung zu bringen.

 

(*vgl. Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) für landesfinanzierte Baumaßnahmen, ab 15 Mio. Euro Bauwerkskosten. MBl. NRW. Ausgabe 2021 Nr. 33 vom 24.11.2021)

 

 

II. Entscheidungsalternativen

Verzicht auf die Durchführung von Zertifizierungsverfahren

 

III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, Klima)

Energetische Sanierungen und nachhaltiges Bauen hat positive Auswirkungen auf die Abmilderung des Klimawandels. Der genaue Umfang kann lediglich von Maßnahme zu Maßnahme betrachtet werden.

 

Gleichzeitig ist zu beachten, dass die Hebung von (Bau-)Standards zu höheren finanziellen Aufwendungen führt, die – bei investiven Maßnahmen über die Abschreibung – auch die kreisangehörigen Städte und Gemeinden belasten. Hinzu kommen die o.g. Verfahrenskosten für die Begleitung der Baumaßnahmen. Auch wenn die Verwaltung derzeit davon ausgeht, dass seitens des Bundes und/oder des Landes weitere Förderprogramme zum Themenfeld „Nachhaltiges Bauen“ erarbeitet werden, ist es üblich, dass die Gebietskörperschaften einen gewissen Eigenanteil tragen müssen.

 

Hinsichtlich der anstehenden Neubauten der Rettungswachen ist überdies zu bedenken, dass nach derzeitigem Stand die Kostenträger einen höheren Baustandard nicht finanzieren, so dass Vorgaben zum nachhaltigen Bauen bei diesen Vorhaben unmittelbar die Gebührenkalkulation des Rettungsdienstes beeinflussen, mithin höhere Gebühren zu erwarten sind.

 

Neben den zu erwartenden zusätzlichen Auswirkungen wird die Anwendung der BNB-Verfahren auf Einzelmaßnahmen zusätzliche Verfahrenskosten gem. obenstehendem Textinhalt zzgl. Personalkosten für das eigene Personal verursachen.