Beschlussvorschlag:

 

Der Bericht der Verwaltung wird zur Kenntnis genommen.

 

In der 22. Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Soziales und Senioren am 22.05.2009 bat Ktabg. Pieper um einen Bericht der Verwaltung über das ambulante betreute Wohnen für behinderte Menschen. Hierzu werden nachfolgend ein kurzgefasster Rückblick, die Besonderheiten im Kreis Coesfeld und die aktuelle Situation dargestellt.

 

 

 

Rückblick

 

Über Jahrzehnte hinweg gab es eine getrennte sachliche Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII (früher BSHG) zwischen den Kreisen und  kreisfreien Städten als örtliche Träger der Sozialhilfe (ambulante Hilfen) und den Landschaftsverbänden als überörtliche Sozialhilfeträger (stationäre Hilfen) in NRW.

Zum 01.07.2003 wurde mit Hilfe einer Rechtsverordnung durch das Land NRW  die sachliche Zuständigkeit vorübergehend (zuerst bis 30.06.2010, inzwischen verlängert bis 30.06.2013) in die Hände der Landschaftsverbände gelegt. Ziele der sog. „Hochzonung“ sollten sein, die Zahl der stationären Plätze zu verringern (zumindest den vermuteten weiteren Anstieg zu bremsen) und die ambulanten Wohnhilfen („Betreutes Wohnen“) auszubauen, in dem die Hilfen durch eine gebündelte Zuständigkeit wirksamer gesteuert und durchlässiger gestaltet werden sollten.

 

Um eine fachliche Grundlage für den weiteren politischen Entscheidungsprozess über eine dauerhafte Zuständigkeitsregelung zu erhalten, wurde das Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen 2003 mit der wissenschaftlichen Begleitung beauftragt.

Im September 2008 legte das ZPE seinen Abschlussbericht vor. Das ZPE begrüßte, dass die „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Angebote des Betreuten Wohnens mit der Zuständigkeitsregelung verschwunden seien (nicht alle Kreise und kreisfreien Städte hätten zuvor für ein - angemessenes - Angebot Sorge getragen). Das Ziel, stationäre Plätze abzubauen, sei aber nicht erreicht worden. Dem enormen Zuwachs der Fallzahlen im ambulanten Bereich (landesweit vom 01.07.03 bis 31.12.07 um 11.118 Personen, d.h. um 73 %) stünden auch (auf vergleichsweise niedrigerem Niveau) weitere Zuwachsraten im stationären Bereich gegenüber (in der Zeit vom 01.01.2005 – 31.12.2007 beim LWL um ca. 5 %, beim LVR um ca. 1 %). Im Bereich des LWL sei ab Ende 2005 allerdings auch zumindest eine Verminderung des Anstiegs der stationären Plätze zu erkennen.

Die ausgeprägten Zuwachsraten im ambulanten Bereich beträfen vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen, die geistig behinderten Menschen nähmen diese Hilfe zurückhaltender in Anspruch.

 

Das ZPE stellte weiterhin fest, dass das Hilfeplanverfahren des LWL zu trägergesteuert sei und bisher nicht die Bedingungen eines Gesamtplans (§ 58 SGB XII) erfülle. Die Frist für die Zuständigkeit in einer Hand wurde vom Gesetzgeber  verlängert, um den Landschaftsverbänden die Möglichkeiten einzuräumen, begonnene Planungen fort- und in die Praxis  umzusetzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Situation Kreis Coesfeld   

 

Ambulante Wohnhilfen, sog. „Betreutes Wohnen“

 

Der Kreis Coesfeld verfolgte bereits vor der Hochzonung das Ziel, das ambulante Betreute Wohnen für behinderte Menschen auszubauen. Mit einer Vielzahl von Trägern wurden Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätssicherungsvereinbarungen zur Versorgung von psychisch oder geistig behinderten Menschen oder für Menschen, die aufgrund einer chronischen Suchterkrankung unter einer Behinderung (i.S. des SGB XII) leiden, abgeschlossen (vgl. Anlage 1: Niederschrift zur 14. Sitzung des Ausschusses für Soziales und Senioren am 27.03.2003). Fachliche Besonderheiten der damaligen Verträge waren (und inhaltlich gelten sie heute weiterhin) die sog. Merkmal- und Kriterienkataloge zur Definition der Personenkreise und das individuelle Hilfeplanverfahren.

 

In den Merkmal- und Kriterienkatalogen sind Voraussetzungen zu Fragen definiert wie beispielsweise: „Welche Einschränkungen beim Betroffenen müssen gegeben sein, um unterstützungsbedürftig zu sein ? Welche Ressourcen sind erforderlich, um eine ambulante Hilfe als ausreichend anzunehmen ? Wird das Ziel der Eingliederung erreicht werden können mit Hilfe des Betreuten Wohnen und anderer Hilfen ?“

 

Das individuelle Hilfeplanverfahren im Kreis Coesfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass zur Ermittlung des Hilfebedarfs auf der Grundlage eines verschriftlichen individuellen Hilfeplans und seiner Anlagen (z.B. ärztliche Bescheinigung, Checkliste lebenspraktische Aufgaben) eine individuelle Helferkonferenz abgehalten wird, an der neben dem Betroffenen und ggf. seiner Vertrauensperson und seinem gesetzlichen Vertreter alle aktuell oder zukünftig Hilfeleistenden unter der Moderation des Sozialpsychiatrischen Dienstes teilnehmen. Hier werden die einzelnen, im Rahmen der ambulanten Versorgung behinderter Menschen regelhaft notwendigen, Maßnahmen verbindlich abgestimmt und so eine Unter-, aber auch eine Überversorgung ausgeschlossen. Von Seiten des Sozialpsychiatrischen Dienstes wird dabei auch auf vorrangige, nicht sozialhilfefinanzierte, Hilfen wie z.B. die psychiatrische Pflege oder die Psychotherapie geachtet. Auch der Antwort auf die Frage nach der tatsächlichen Motivation der Betroffenen (insbesondere bei Suchtkranken) kommt eine besondere Bedeutung zu.

 

Der Sozialpsychiatrische Dienst empfiehlt dem LWL (soweit sich nicht im Vorfeld abzeichnet, dass die Kriterien für die Aufnahme in das Betreute Wohnen nicht erfüllt sind) in einer Kurzstellungnahme eine Entscheidung zum Umfang und zur Dauer der Maßnahme des betreuten Wohnens. Die endgültige Entscheidung wird dann  in der sog. „Clearingstelle“ (seit kurzem „Hilfeplankonferenz“) des LWL getroffen. Die Clearingstelle/Hilfeplankonferenz ist ein Gremium, in dem der LWL, der Kreis und zwei (jährlich wechselnde) Trägervertreter i. d. R. einmal monatlich tagen, um die Antragssteller und ihre Angehörigen oder begleitenden Helfer zu ihrem Anliegen zu befragen und die grundsätzliche Entscheidung zur Aufnahme in das BeWo und den gewährten Fachleistungsstundenumfang mitzuteilen. Dabei senden die Träger jeweils zwei Vertreter in das Gremium, in dem die Anträge der geistig und/oder körperlich Behinderten besprochen werden und zwei andere Teilnehmer für den Bereich der psychisch Kranken und Suchtkranken.

 

Der Hilfebedarf, die angestrebten Ziele und die Wirksamkeit der vereinbarten Maßnahmen in den verschiedenen Bereichen des Lebens werden regelmäßig durch den Sozialpsychiatrischen Dienst überprüft. Die hierzu vom Maßnahmeträger angefertigten sog. „Hilfeplanfortschreibungen“ werden nach entsprechender Empfehlung des Sozialpsychiatrischen Dienstes an den LWL im Regelfall nicht mehr in der Clearingstelle entschieden.

 

 

Das im Kreis Coesfeld praktizierte individuelle  Hilfeplanverfahren erfüllt die Voraussetzungen des vom Gesetzgeber geforderten Gesamthilfeplans gem. § 58 SGB XII.

 

Direkt nach der Hochzonung trat der LWL in die damaligen Verträge des Kreises mit den

Anbietern inhaltlich (nicht in Vergütungsfragen) ein. Inzwischen vereinbarten Kreis und LWL in einer Zielvereinbarung u.a. die Fortsetzung des Hilfeplanverfahrens des Kreises Coesfeld für den ambulanten Bereich (vgl. Anlage 2:  SV-7-0973).

 

Die Quote „Fälle auf 1.000 Einwohner“ betrug zum 31.12.2008 nach den Angaben des LWL im Kreis Coesfeld 1,26 Klienten (279 Personen), im LWL Bereich insgesamt lag sie bei 1,68 Klienten pro 1.000 Einwohner. Beim gewährten Stundenumfang lag der Kreis Coesfeld mit 4,41 Stunden pro Woche bei den geistig behinderten Menschen über dem LWL-Durchschnitt von 3,78 Fachleistungsstunden (FLS) pro Woche. In geringerem Ausmaß galt das zum o.g. Stichtag auch für die psychisch Behinderten (Kreis 3,07 FLS vs. LWL 2,82 FLS). Für die Menschen, die aufgrund einer Suchterkrankung zum Personenkreis gezählt werden, wurden im Kreis Coesfeld durchschnittliche Betreuungszeiten gewährt (Kreis 2,79 FLS vs. LWL 2,76 FLS).

 

Aus dem Umstand der unterdurchschnittlichen Quote „Fälle auf 1.000 Einwohner“ und den vom Sozialpsychiatrischen Dienst empfohlenen und im Regelfall gewährten Stundenumfängen kann geschlossen werden, dass im Kreis Coesfeld die tatsächlich auf das betreute Wohnen angewiesenen Menschen die Hilfe erhalten, dann aber auch die erforderliche (ggf. höhere) Stundenzahl genehmigt wird. Die anderen Ortes seit der Zuständigkeitsverlagerung beklagte Ausweitung dieser Hilfe auf Personenkreise, die ihren Hilfebedarf zuvor anderweitig deckten (z.B. in offenen Angeboten wie z.B. einer Kontakt- und Beratungsstelle), ist in diesem Ausmaß im Kreis Coesfeld nicht zu verzeichnen. 

 

 

 

Stationäres Wohnhilfen, Aufenthalt im Heim oder Außenwohngruppe

 

Für Aufnahmen in den stationären Bereich gilt auch im Kreis Coesfeld das Hilfeplanverfahren des LWL. Demnach werden LWL-Erhebungsbögen vor allem durch die Träger der Hilfen ausgefüllt und dem LWL zur Verfügung gestellt. Die Entscheidung wird dann in der Clearingstelle/Hilfeplankonferenz getroffen, eine Vorprüfung erfolgt nicht.

 

Der Kreis Coesfeld hatte dem LWL vor Jahren gegen Kostenerstattung angeboten, die Vorprüfung mit Hilfe des oben skizzierten Hilfeplanverfahrens auch im stationären Bereich durchzuführen. Der LWL lehnte dieses Angebot aber ab.

 

 

 

Aktuelle Situation

 

Der LWL strebt eine Verbesserung seines Steuerungskonzepts zur Weiterentwicklung der „Teilhabe behinderter Menschen beim Wohnen“ an. Er initiierte sein Projekt „Teilhabe 2012“ und legte seinem Sozialausschuss am 22.06.2009 drei Beschlussvorschläge (vgl. Anlagen 3, 4 und 5) vor.

 

Zusammenfassend geht es in den drei Vorlagen um

  • eine Beschreibung des Projekts Teilhabe 2012 (Vorlage Nr. 12/1704) insgesamt.  Hier werden übergeordnete Aufgaben und Zielrichtungen formuliert wie z.B. die Verbesserung der Hilfeplanung und der Abbau von regionalen Disparitäten. Die Untersuchung des Zuwachses der Leistungsempfänger im Betreuten Wohnen, die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit mit den Mitgliedskörperschaften und der Vergleich mit anderen Trägern der Eingliederungshilfe werden ebenso als Zielvorstellungen genannt.
  • die Optimierung der Zugangssteuerung durch eine Verbesserung der personenzentrierten Beratung (Vorlage Nr. 12/1703). Hier geht es insbesondere um die Prüfung, ob bestimmte Methoden und Verfahren des LVR auch im LWL-Bereich zum Tragen kommen könnten.
  • die Weiterentwicklung der Hilfeplanung mit dem Ziel eines landesweit einheitlichen Verfahrens (Vorlage Nr.12/1705). Ziel ist es, zukünftig einen Gesamtplan zu erstellen.

 

 

 

 

Vorschlag zur weiteren Vorgehensweise

 

In Zusammenhang mit dem Projekt 2012 rief der LWL verschiedene Arbeitsgruppen ins Leben, die sich insgesamt oder in Teilen mit den o.g. Aspekten beschäftigen. Auch der sog. Arbeitsausschuss der Sozialdezernenten in Westfalen-Lippe ist involviert. Der zuständige FBL des Kreises Coesfeld nimmt an einer entsprechenden Arbeitsgruppe teil. Die Ergebnisse sind noch vertraulich.

 

Dennoch ist absehbar, dass der LWL sein Hilfeplanverfahren ändern und eine engere Zusammenarbeit mit den Kreisen und kreisfreien Städten anstreben wird. Hierbei denkt der LWL, durch die wissenschaftliche Prüfung des ZPE angeregt, vor allem an eine verbesserte Steuerung der Zugangswege durch die kommunale Familie insgesamt. Das mit dem LWL vereinbarte Verfahren innerhalb des Kreises Coesfeld kann hier durchaus Vorbildcharakter einnehmen. Der Kreis Coesfeld wird bei anstehenden Abstimmungsgesprächen sehr viel Wert darauf legen, dieses bewährte Verfahren zur Steuerung des Zugangs ins Betreute Wohnen beizubehalten.

 

Es wird abschließend vorgeschlagen, dass die Verwaltung die zuständigen Fachausschüsse des Kreistags bei Bedarf wieder über die aktuelle Entwicklung informiert.