Betreff
Sachstandsbericht immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren
Vorlage
SV-8-0289
Art
Sitzungsvorlage
Untergeordnete Vorlage(n)

Beschlussvorschlag:

 

 

- ohne -

 

Der Bericht wird zur Kenntnis genommen

 

 

Begründung:

 

I.          Problem

Wie überall in Bund und Land ist der Strukturwandel in der Landwirtschaft auch im Kreis Coesfeld in vollem Gange. Neben dem durch eine veränderte Klimaschutzpolitik und entsprechende finanzielle Anreize bedingten Anstieg der Biomasseproduktion und ihrer energetischen Nutzung durch Biogasanlagen erlangen dabei die durch die Globalisierung des Agrarsektors und internationalen Wettbewerbs- und Preisdruck verstärkten Entwicklungen im Bereich der Tierhaltung mit immer größeren Stallanlagen zunehmende Bedeutung. Über die Entwicklungen im letztgenannten Bereich soll hier informiert werden.

 

II.        Lösung

 

1.         Allgemeine Entwicklungen

 

Von besonderem Interesse sind die Anlagen zur Geflügelhaltung (Hähnchenmast und Legehennenhaltung), die nahezu ausschließlich ohne eigene Futtergrundlage als gewerbliche  Tierhaltung betrieben werden, die aber gleichwohl im Außenbereich privilegiert sind. Ebenso wie bei den Schweinemastanlagen ist dabei in den letzten Jahren ein deutlicher Trend zu solchen Tierhaltungsanlagen erkennbar, die aufgrund ihrer Größe und der erwarteten Umweltauswirkungen nach dem Immissionsschutzrecht ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung erfordern (ab 40.000 Geflügel- bzw. 2.000 Schweinemastplätzen). Während der Anteil dieser Verfahren noch 2006/2007 ca. Eindrittel betrug, ist er seit Anfang 2008 mit ca. 110 Genehmigungsverfahren auf etwa Zweidrittel gestiegen. Nach Inbetriebnahme aller derzeit genehmigten sowie geplanten Anlagen wird die Zahl der Plätze für die Haltung und Mast von Schweinen von ca. 950.000 im April 2008 auf ca. 1,1 Mio. Tiere und die Anzahl der Geflügelplätze von 1,5 Millionen auf ca. 3,1 Mio. Tiere anwachsen.

 

Nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft stoßen die Anlagen aus Sorge um die mit der Intensivtierhaltung verbundenen Immissionen immer wieder auf z. T. heftige Kritik. In Havixbeck, Billerbeck und Dülmen haben sich sogar Interessengemeinschaften bzw.  Bürgerinitiativen gebildet, die sich vor allem gegen die mit der Intensivtierhaltung verbundenen Immissionen – insbesondere Gerüche, Stäube, Bioaerosole, Ammoniak und Stickstoffdeposition – aber auch gegen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch solche Anlagen wenden. Auch ethische Aspekte einer artgerechten Tierhaltung werden bei diesen Anlagen kritisch beleuchtet.

 

Vor diesem Hintergrund – und angestoßen durch einige besonders umstrittene Großvorhaben – wurde bereits im Herbst 2008 intensiv über diese Thematik und die Rolle des Kreises beraten. Der Kreistag hat die Verwaltung in seiner Sitzung am 17.09.2008 beauftragt, nach umwelt- und landschaftsunschädlichen Lösungen zu suchen und mit den beteiligten Akteuren in einen moderierten Diskussionsprozess einzusteigen. Diese Bemühungen prägen seitdem das Engagement des Kreises in den unterschiedlichsten Fachzirkeln, Arbeitsgruppen und Workshops auf Landes-, Bundes- und Europaebene, aber auch in den konkreten Genehmigungsverfahren vor Ort. Über die in diesem Zusammenhang initiierten Veranstaltungen mit den Akteuren aus Landwirtschaft und Umwelt wurde zuletzt in der Sitzung dieses Ausschusses im Mai 2009 berichtet. Zur Entwicklungen gemeinsamer Strategien findet darüber hinaus seit dem Sommer dieses Jahres ein enger Austausch mit den Verantwortlichen des Landkreises Vechta statt, der über weitreichende Erfahrungen im Umgang mit großen Stallanlagen verfügt.

 

2.         Immissionsschutzrechtliche Fragestellungen

 

In der täglichen Genehmigungspraxis stellt sich die Situation für den Kreis Coesfeld wie folgt dar:

 

Die Genehmigung einer großen Tierhaltungsanlage muss bekanntlich nach dem maßgeblichen Zulassungstatbestand – als sogenannte gebundene Entscheidung und damit ohne Ermessensspielraum – erteilt werden, wenn „schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können und entsprechende Vorsorge durch Maßnahmen nach dem Stand der Technik getroffen wird“. Diese Anforderungen lassen sich i.d.R. durch Einhaltung bestimmter Abstandserfordernisse und/oder moderne Abgasableitung/Abgasführung sowie im Einzelfall mit Abgasreinigungsanlagen erfüllen, so dass hier eine – vielfach eingeforderte – Steuerung oder gar Regulierung nicht möglich ist.

 

Bereits im Vorfeld der Genehmigungsverfahren berät die untere Umweltschutzbehörde des Kreises vorsprechende Interessenten im Sinne einer natur- und freiraumschonenden hofnahen Positionierung der geplanten Stallanlagen, mit der eine weitest mögliche Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft gewährleistet ist. Rechtlich lässt sich eine hofnahe Positionierung freilich nicht durchsetzen.

 

Im Genehmigungsverfahren spielen vor allem folgende Aspekte eine Rolle:

 

-          Gerüche

 

Sowohl die Verwaltungsvorschrift „Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft)“ als auch die Geruchsimmissionsschutzrichtlinie (GIRL) enthalten Vorgaben für die Prüfung, ob und wie Nachbarn einer Tierhaltungsanlage ausreichend gegen erhebliche Belästigungen durch Gerüche geschützt werden können. Die GIRL ist vom Länderausschuss für Immissionsschutz als eine bundesweit einheitliche Richtlinie zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen entwickelt und erst am 5.11.2009 zur landesweiten Anwendung in NRW als Erlass eingeführt worden.

 

Werden die nach der TA Luft ermittelten Abstände zur Wohnbebauung durch das geplante Projekt nicht eingehalten, so ist nach den Vorgaben der GIRL die Gesamtbelastung aus allen Tierhaltungsanlagen und der geplanten Stallanlagen für die Menschen einer benachbarten Wohnung rechnerisch zu ermitteln und mit den Immissionswerten (Grenzwerte) zu vergleichen.

 

Bei Überschreiten der Immissionswerte werden dem Antragsteller technische Maßnahmen zur Minderung der Geruchsbelastung in der Nachbarschaft aufgegeben. Dieses sind Maßnahmen zur Verbesserung der Ableitbedingungen (höhere Kamine) sowie Biofilter im Einzelfall.

 

-          Ammoniakemissionen/Ammoniakimmissionen

 

Gasförmige Ammoniakemissionen entstehen in der Intensivtierhaltung hauptsächlich aus der Zersetzung von stickstoffhaltigem, organischem Material tierischer Exkremente und werden mit der Abluft aus Tierhaltungsanlagen in die Umgebung emittiert. Dieses Gas kann ätzend auf die Blätter angrenzender empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme wirken und diese  schädigen.

 

Die Bewertung, ob empfindliche Pflanzen und Ökosysteme ausreichend vor Ammoniak geschützt sind, erfolgt ebenso nach den Vorgaben der TA Luft in Verbindung mit dem NRW-Leitfaden zur Ermittlung erforderlicher Abstände. Wird der notwendige Abstand zwischen Tierhaltungsanlage sowie Schutzgut unterschritten, so wird über eine Immissionsprognose die Einhaltung des zulässigen Immissionsgrenzwertes der TA Luft von 10 µg/m³ überprüft.

 

Bei Überschreitung der Grenzwerte werden dem Bauwilligen weitergehende technische Maßnahmen zur Minderung der Emissionen/Immissionen von Ammoniak aufgetragen.

 

-          Stickstoffemissionen/ Stickstoffimmissionen (Stickstoffdeposition)

 

Die Umwandlung von gasförmigem Ammoniak erfolgt in der Luft zu Ammoniumstickstoff (partikulär), der als trockene und nasse Deposition gemeinsam mit dem Regen wieder auf die Erdoberfläche ´´deponiert´´ wird. Diese sog. Stickstoffdeposition trägt erheblich zur Stickstoffanreicherung (Eutrophierung) der Erdoberfläche bei und bedroht etwa 70 % der Rote-Liste-Arten, die zu den Stickstoffmangelzeigern gehören (vgl. Stickstoffleitfaden).

 

Bei der Bewertung der mit dem Betrieb einer großen Tierhaltungsanlage verbundenen Stickstoffimmissionen wird nach den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) im Rahmen einer sogenannten Sonderfallprüfung vorgegangen. Für diese Sonderfallprüfung gewährleistet der sogenannte Stickstoffleitfaden des Länderausschusses für Immissionsschutz eine deutschlandweite einheitliche Methodik zur ´´Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen´´ in empfindliche Ökosysteme. Der Stickstoffleitfaden wurde mit Erlass des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums vom 9. Juli 2010 zur landesweiten Anwendung eingeführt. Danach werden die Stickstoffimmissionen auf ein empfindliches Ökosystem ermittelt und mit dem zulässigen Beurteilungswert (Grenzwert) verglichen.

 

Ist aufgrund der Berechnungsergebnisse ein empfindliches Ökosystem durch technische Maßnahmen vor Schäden zu schützen, sind verpflichtend sowohl für Neu- als auch z. T. für Altställe Verbesserungsmaßnahmen in der Abluftführung vorzusehen. Soweit diese nicht ausreichen, ist entsprechend den Vorgaben der Genehmigungsbehörde eine Abgasreinigung zur Einhaltung der Regelungen der TA Luft zu installieren. Die technischen Maßnahmen tragen zu deutlichen Minderungen der Stickstoffeinträge in das Schutzgut bei. In der Praxis wird allerdings wegen der Kosten der technischen Vorrichtungen immer wieder auch von der zunächst als Standort vorgesehenen Hofstelle in den Freiraum ausgewichen, ohne dass dies von der Genehmigungsbehörde verhindert werden könnte (s.o). 

 

Seit August 2010 gibt es auch bei Geflügelanlagen ein zertifiziertes Abluftreinigungssystem für Stäube und Stickstoffverbindungen, so dass die Ausstattung z.B. einer Masthähnchenanlage mit einem zertifizierten Abgasreinigungsystem nunmehr grundsätzlich technisch möglich ist. Ist eine Abgasreinigung Voraussetzung für eine positive Entscheidung über den Genehmigungsantrag, so wird seitens der Genehmigungsbehörde auf ein zertifiziertes System gedrängt, ohne dass dies letztendlich zwingend verlangt werden könnte. 

 

 

-          Stäube

 

Bei der Bewertung  der mit dem Betrieb großer Tierhaltunganlagen – insbesondere Geflügelanlagen – verbundenen Staubimmissionen wird nach den Vorgaben der TA-Luft vorgegangen. Beispielsweise liegen die Emissionsraten eines Masthähnchenstalles im Vergleich zu einem Mastschweinestall beim Schwebstaub um das 4,4 fache höher.

 

Die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft enthält Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor Schwebstäuben PM 10, die einzuhalten sind.

 

-          Bioaerosole

 

Bioaerosole sind Teilchen in der Luft, die Feder- und Hautbestandteile von Tieren, Pilzen, Bakterien und Viren enthalten können. Sie sind demnach Luftverunreinigungen im Sinne des Immissionsschutzrechtes u. a. aus der Intensivtierhaltung. Verschiedene Studien aus Niedersachsen beschreiben zwar insgesamt eher geringe gesundheitliche Effekte im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber Bioaerosolen aus Tierställen, allerdings sind in einer Studie bei einer sehr hohen Anzahl von Betrieben (12 Ställe in einem Radius von 500 m) Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen des Menschen nachgewiesen worden.

 

Die Bewertung der von großen Tierhaltungsanlagen ausgehenden Luftverunreinigungen durch Bioaerosole erfolgt nach den Vorgaben eines Erlasses des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV NW) vom 15.12.2009 in Verbindung mit den Vorgaben der TA Luft. Danach wird eine Sonderfallprüfung nur dann erforderlich, wenn hierfür Anhaltspunkte vorliegen. Als Anhaltspunkte werden z. B. Lage und Abstand der Wohnnutzung zum geplanten Stall sowie seine technische Ausstattung, die Höhe der Staubemissionen (Bioaerosole als Bestandteil des Staubes) etc. genannt. Da eine Minderung der Emissionen/Immissionen an Staub grundsätzlich auch eine Reduzierung der Bioaerosole bewirkt, sind auf der Grundlage des Erlasses im Einzelfall technische Verbesserungsmaßnahmen sowohl für Neu- als auch Altställe in der Abluftführung/Abluftableitung erforderlich. Eine weitergehende Abluftentstaubung ist dagegen nicht vorgeschrieben, wird aber vielfach im Beratungswege, zum Teil auch im vorhinein durch die Antragsteller freiwillig vorgeschlagen, um Konflikte mit der Nachbarschaft zu vermeiden.

 

Der „Stand der Technik“ berechtigt aktuell nicht dazu, für alle großen Geflügel- und Mastschweineanlagen generell eine Abluftentstaubung vorzuschreiben. Der Entwurf einer Richtlinie „VDI 4250 Blatt 1 – Bioaerosole und biologische Agenzien“ wird nach zahlreichen Facheinwendungen überarbeitet und darf auf Intervention des MKULNV bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung noch nicht als verbindlich herangezogen werden.

 

 

3.         Ausblick

 

Mit Blick auf die aus Sicht der Umwelt, aus Sicht der betroffenen Nachbarn, wie aber auch aus Sicht der Landwirtschaft in dem kleinräumig strukturierten und dicht besiedelten Landschaftsraum des Münsterlandes besonders kritisch zu hinterfragenden Entwicklungen hin zu immer mehr und immer größeren Tierhaltungsanlagen werden schon seit einiger Zeit verschiedene Ansätze, insbesondere im Bereich der räumlichen Steuerung, aber auch über Förderinstrumente verfolgt.

 

Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) hat angekündigt, strategische Überlegungen zur Begrenzung großer Mastanlagen zu entwerfen und Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Den Nachbar- und Umweltschutz verstärkende technische Regelungen, wie insbesondere ein generelles Erfordernis zum Einbau von Abluftreinigungseinrichtungen, erfordern Änderungen auf Bundesebene und sind zur Zeit noch nicht absehbar.

 

In der Sitzung soll ein aktueller Überblick über die Anzahl der Anlagen und Verfahren im Kreis Coesfeld und die umweltfachlichen Fragestellungen gegeben werden.