Beschlussvorschlag:
- ohne
-
Der
Bericht wird zur Kenntnis genommen
Begründung:
I. Problem
Wie überall in Bund und Land ist der Strukturwandel in der
Landwirtschaft auch im Kreis Coesfeld in vollem Gange. Neben dem durch eine
veränderte Klimaschutzpolitik und entsprechende finanzielle Anreize bedingten
Anstieg der Biomasseproduktion und ihrer energetischen Nutzung durch
Biogasanlagen erlangen dabei die durch die Globalisierung des Agrarsektors und
internationalen Wettbewerbs- und Preisdruck verstärkten Entwicklungen im
Bereich der Tierhaltung mit immer größeren Stallanlagen zunehmende Bedeutung.
Über die Entwicklungen im letztgenannten Bereich soll hier informiert werden.
II. Lösung
1. Allgemeine
Entwicklungen
Von besonderem Interesse sind die Anlagen zur
Geflügelhaltung (Hähnchenmast und Legehennenhaltung), die nahezu ausschließlich
ohne eigene Futtergrundlage als gewerbliche
Tierhaltung betrieben werden, die aber gleichwohl im Außenbereich
privilegiert sind. Ebenso wie bei den Schweinemastanlagen ist dabei in den
letzten Jahren ein deutlicher Trend zu solchen Tierhaltungsanlagen erkennbar, die
aufgrund ihrer Größe und der erwarteten Umweltauswirkungen nach dem
Immissionsschutzrecht ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung
erfordern (ab 40.000 Geflügel- bzw. 2.000 Schweinemastplätzen). Während der
Anteil dieser Verfahren noch 2006/2007 ca. Eindrittel betrug, ist er seit
Anfang 2008 mit ca. 110 Genehmigungsverfahren auf etwa Zweidrittel gestiegen.
Nach Inbetriebnahme aller derzeit genehmigten sowie geplanten Anlagen wird die
Zahl der Plätze für die Haltung und Mast von Schweinen von ca. 950.000 im April
2008 auf ca. 1,1 Mio. Tiere und die Anzahl der Geflügelplätze von 1,5 Millionen
auf ca. 3,1 Mio. Tiere anwachsen.
Nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft stoßen die
Anlagen aus Sorge um die mit der Intensivtierhaltung verbundenen Immissionen
immer wieder auf z. T. heftige Kritik. In Havixbeck, Billerbeck und Dülmen
haben sich sogar Interessengemeinschaften bzw.
Bürgerinitiativen gebildet, die sich vor allem gegen die mit der
Intensivtierhaltung verbundenen Immissionen – insbesondere Gerüche, Stäube,
Bioaerosole, Ammoniak und Stickstoffdeposition – aber auch gegen
Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch solche Anlagen wenden. Auch
ethische Aspekte einer artgerechten Tierhaltung werden bei diesen Anlagen
kritisch beleuchtet.
Vor diesem Hintergrund – und angestoßen durch einige
besonders umstrittene Großvorhaben – wurde bereits im Herbst 2008 intensiv über
diese Thematik und die Rolle des Kreises beraten. Der Kreistag hat die
Verwaltung in seiner Sitzung am 17.09.2008 beauftragt, nach umwelt- und
landschaftsunschädlichen Lösungen zu suchen und mit den beteiligten Akteuren in
einen moderierten Diskussionsprozess einzusteigen. Diese Bemühungen prägen
seitdem das Engagement des Kreises in den unterschiedlichsten Fachzirkeln,
Arbeitsgruppen und Workshops auf Landes-, Bundes- und Europaebene, aber auch in
den konkreten Genehmigungsverfahren vor Ort. Über die in diesem Zusammenhang
initiierten Veranstaltungen mit den Akteuren aus Landwirtschaft und Umwelt
wurde zuletzt in der Sitzung dieses Ausschusses im Mai 2009 berichtet. Zur
Entwicklungen gemeinsamer Strategien findet darüber hinaus seit dem Sommer
dieses Jahres ein enger Austausch mit den Verantwortlichen des Landkreises
Vechta statt, der über weitreichende Erfahrungen im Umgang mit großen
Stallanlagen verfügt.
2. Immissionsschutzrechtliche
Fragestellungen
In der täglichen Genehmigungspraxis stellt sich die
Situation für den Kreis Coesfeld wie folgt dar:
Die Genehmigung einer großen Tierhaltungsanlage muss
bekanntlich nach dem maßgeblichen Zulassungstatbestand – als sogenannte
gebundene Entscheidung und damit ohne Ermessensspielraum – erteilt werden, wenn
„schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und
erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht
hervorgerufen werden können und entsprechende Vorsorge durch Maßnahmen nach dem
Stand der Technik getroffen wird“. Diese Anforderungen lassen sich i.d.R. durch
Einhaltung bestimmter Abstandserfordernisse und/oder moderne
Abgasableitung/Abgasführung sowie im Einzelfall mit Abgasreinigungsanlagen
erfüllen, so dass hier eine – vielfach eingeforderte – Steuerung oder gar
Regulierung nicht möglich ist.
Bereits im Vorfeld der Genehmigungsverfahren berät die
untere Umweltschutzbehörde des Kreises vorsprechende Interessenten im Sinne
einer natur- und freiraumschonenden hofnahen Positionierung der geplanten
Stallanlagen, mit der eine weitest mögliche Rücksichtnahme auf die
Nachbarschaft gewährleistet ist. Rechtlich lässt sich eine hofnahe
Positionierung freilich nicht durchsetzen.
Im Genehmigungsverfahren spielen vor allem folgende Aspekte
eine Rolle:
-
Gerüche
Sowohl die Verwaltungsvorschrift „Technische Anleitung zur
Reinhaltung der Luft (TA Luft)“ als auch die Geruchsimmissionsschutzrichtlinie
(GIRL) enthalten Vorgaben für die Prüfung, ob und wie Nachbarn einer
Tierhaltungsanlage ausreichend gegen erhebliche Belästigungen durch Gerüche geschützt
werden können. Die GIRL ist vom Länderausschuss für Immissionsschutz als eine
bundesweit einheitliche Richtlinie zur Feststellung und Beurteilung von
Geruchsimmissionen entwickelt und erst am 5.11.2009 zur landesweiten Anwendung
in NRW als Erlass eingeführt worden.
Werden
die nach der TA Luft ermittelten Abstände zur Wohnbebauung durch das geplante
Projekt nicht eingehalten, so ist nach den Vorgaben der GIRL die
Gesamtbelastung aus allen Tierhaltungsanlagen und der geplanten Stallanlagen
für die Menschen einer benachbarten Wohnung rechnerisch zu ermitteln und mit
den Immissionswerten (Grenzwerte) zu vergleichen.
Bei Überschreiten der
Immissionswerte werden dem Antragsteller technische Maßnahmen zur Minderung der
Geruchsbelastung in der Nachbarschaft aufgegeben. Dieses sind Maßnahmen zur
Verbesserung der Ableitbedingungen (höhere Kamine) sowie Biofilter im
Einzelfall.
-
Ammoniakemissionen/Ammoniakimmissionen
Gasförmige Ammoniakemissionen entstehen
in der Intensivtierhaltung hauptsächlich aus der Zersetzung von
stickstoffhaltigem, organischem Material tierischer Exkremente und werden mit
der Abluft aus Tierhaltungsanlagen in die Umgebung emittiert. Dieses Gas kann
ätzend auf die Blätter angrenzender empfindlicher Pflanzen und Ökosysteme
wirken und diese schädigen.
Die Bewertung, ob empfindliche Pflanzen
und Ökosysteme ausreichend vor Ammoniak geschützt sind, erfolgt ebenso nach den
Vorgaben der TA Luft in Verbindung mit dem NRW-Leitfaden zur Ermittlung
erforderlicher Abstände. Wird der notwendige Abstand zwischen
Tierhaltungsanlage sowie Schutzgut unterschritten, so wird über eine
Immissionsprognose die Einhaltung des zulässigen Immissionsgrenzwertes der TA
Luft von 10 µg/m³ überprüft.
Bei Überschreitung der Grenzwerte werden
dem Bauwilligen weitergehende technische Maßnahmen zur Minderung der
Emissionen/Immissionen von Ammoniak aufgetragen.
-
Stickstoffemissionen/
Stickstoffimmissionen (Stickstoffdeposition)
Die Umwandlung von gasförmigem Ammoniak
erfolgt in der Luft zu Ammoniumstickstoff (partikulär), der als trockene und nasse Deposition gemeinsam mit dem Regen
wieder auf die Erdoberfläche ´´deponiert´´ wird. Diese sog.
Stickstoffdeposition trägt erheblich zur Stickstoffanreicherung (Eutrophierung)
der Erdoberfläche bei und bedroht etwa 70 % der Rote-Liste-Arten, die zu den
Stickstoffmangelzeigern gehören (vgl. Stickstoffleitfaden).
Bei der
Bewertung der mit dem Betrieb einer großen Tierhaltungsanlage verbundenen
Stickstoffimmissionen wird nach den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift der
Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) im Rahmen einer
sogenannten Sonderfallprüfung vorgegangen. Für diese Sonderfallprüfung
gewährleistet der sogenannte Stickstoffleitfaden des Länderausschusses für
Immissionsschutz eine deutschlandweite einheitliche Methodik zur ´´Ermittlung
und Bewertung von Stickstoffeinträgen´´ in empfindliche Ökosysteme. Der
Stickstoffleitfaden wurde mit Erlass des nordrhein-westfälischen
Umweltministeriums vom 9. Juli 2010 zur landesweiten Anwendung eingeführt.
Danach werden die Stickstoffimmissionen auf ein empfindliches Ökosystem
ermittelt und mit dem zulässigen Beurteilungswert (Grenzwert) verglichen.
Ist aufgrund der Berechnungsergebnisse ein empfindliches
Ökosystem durch technische Maßnahmen vor Schäden zu schützen, sind verpflichtend
sowohl für Neu- als auch z. T. für Altställe Verbesserungsmaßnahmen in der
Abluftführung vorzusehen. Soweit diese nicht ausreichen, ist entsprechend den
Vorgaben der Genehmigungsbehörde eine Abgasreinigung zur Einhaltung der
Regelungen der TA Luft zu installieren. Die technischen Maßnahmen tragen zu
deutlichen Minderungen der Stickstoffeinträge in das Schutzgut bei. In der
Praxis wird allerdings wegen der Kosten der technischen Vorrichtungen immer
wieder auch von der zunächst als Standort vorgesehenen Hofstelle in den
Freiraum ausgewichen, ohne dass dies von der Genehmigungsbehörde verhindert
werden könnte (s.o).
Seit August 2010 gibt es auch bei Geflügelanlagen ein
zertifiziertes Abluftreinigungssystem für Stäube und Stickstoffverbindungen, so
dass die Ausstattung z.B. einer Masthähnchenanlage mit einem zertifizierten
Abgasreinigungsystem nunmehr grundsätzlich technisch möglich ist. Ist eine
Abgasreinigung Voraussetzung für eine positive Entscheidung über den
Genehmigungsantrag, so wird seitens der Genehmigungsbehörde auf ein
zertifiziertes System gedrängt, ohne dass dies letztendlich zwingend verlangt
werden könnte.
-
Stäube
Bei der Bewertung der mit dem Betrieb großer Tierhaltunganlagen
– insbesondere Geflügelanlagen – verbundenen Staubimmissionen wird nach den
Vorgaben der TA-Luft vorgegangen. Beispielsweise liegen die Emissionsraten
eines Masthähnchenstalles im Vergleich zu einem Mastschweinestall beim
Schwebstaub um das 4,4 fache höher.
Die Technische Anleitung zur Reinhaltung
der Luft enthält Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor
Schwebstäuben PM 10, die einzuhalten sind.
-
Bioaerosole
Bioaerosole
sind Teilchen in der Luft, die Feder- und Hautbestandteile von Tieren, Pilzen,
Bakterien und Viren enthalten können. Sie sind demnach Luftverunreinigungen im
Sinne des Immissionsschutzrechtes u. a. aus der Intensivtierhaltung.
Verschiedene Studien aus Niedersachsen beschreiben zwar insgesamt eher geringe
gesundheitliche Effekte im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber
Bioaerosolen aus Tierställen, allerdings sind in einer Studie bei einer sehr
hohen Anzahl von Betrieben (12 Ställe in einem Radius von 500 m) Hinweise auf
gesundheitliche Beeinträchtigungen des Menschen nachgewiesen worden.
Die Bewertung der von
großen Tierhaltungsanlagen ausgehenden Luftverunreinigungen durch Bioaerosole
erfolgt nach den Vorgaben eines Erlasses des Ministeriums für
Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV NW) vom 15.12.2009 in Verbindung mit den
Vorgaben der TA Luft. Danach wird eine Sonderfallprüfung nur dann erforderlich,
wenn hierfür Anhaltspunkte vorliegen. Als Anhaltspunkte werden z. B. Lage und
Abstand der Wohnnutzung zum geplanten Stall sowie seine technische Ausstattung,
die Höhe der Staubemissionen (Bioaerosole als Bestandteil des Staubes) etc.
genannt. Da eine Minderung der Emissionen/Immissionen an Staub grundsätzlich
auch eine Reduzierung der Bioaerosole bewirkt, sind auf der Grundlage des
Erlasses im Einzelfall technische Verbesserungsmaßnahmen sowohl für Neu-
als auch Altställe in der Abluftführung/Abluftableitung erforderlich. Eine
weitergehende Abluftentstaubung ist dagegen nicht vorgeschrieben, wird aber
vielfach im Beratungswege, zum Teil auch im vorhinein durch die Antragsteller
freiwillig vorgeschlagen, um Konflikte mit der Nachbarschaft zu vermeiden.
Der „Stand der Technik“ berechtigt aktuell nicht dazu, für alle großen
Geflügel- und Mastschweineanlagen generell eine Abluftentstaubung vorzuschreiben.
Der Entwurf einer Richtlinie „VDI 4250 Blatt 1 – Bioaerosole und biologische
Agenzien“ wird nach zahlreichen Facheinwendungen überarbeitet und darf auf
Intervention des MKULNV bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung noch
nicht als verbindlich herangezogen werden.
3. Ausblick
Mit Blick auf die aus Sicht der
Umwelt, aus Sicht der betroffenen Nachbarn, wie aber auch aus Sicht der
Landwirtschaft in dem kleinräumig strukturierten und dicht besiedelten
Landschaftsraum des Münsterlandes besonders kritisch zu hinterfragenden
Entwicklungen hin zu immer mehr und immer größeren Tierhaltungsanlagen werden
schon seit einiger Zeit verschiedene Ansätze, insbesondere im Bereich der
räumlichen Steuerung, aber auch über Förderinstrumente verfolgt.
Das Ministerium für Klimaschutz,
Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MKULNV) hat angekündigt,
strategische Überlegungen zur Begrenzung großer Mastanlagen zu entwerfen und
Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Einzelheiten sind noch nicht bekannt. Den
Nachbar- und Umweltschutz verstärkende technische Regelungen, wie insbesondere
ein generelles Erfordernis zum Einbau von Abluftreinigungseinrichtungen,
erfordern Änderungen auf Bundesebene und sind zur Zeit noch nicht absehbar.
In der Sitzung soll ein
aktueller Überblick über die Anzahl der Anlagen und Verfahren im Kreis Coesfeld
und die umweltfachlichen Fragestellungen gegeben werden.