hier: Vorstellung des Gutachtens zur Restrukturierung der RVM
Beschlussvorschlag:
1. Der Kreisausschuss nimmt die gutachterlichen Ausführungen zur Fortentwicklung des ÖPNV in den Münsterlandkreisen (Anlage) zur Kenntnis.
2. Zwecks Sicherstellung der Steuerungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des ÖPNV sowie seiner EU-konformen Ausgestaltung beauftragt der Kreisausschuss die Verwaltung nachstehende Maßnahmen vorzubereiten.
a) Gründung einer gemeinsamen Regie- und Bestelleinheit der Münsterlandkreise unter Einbeziehung vorhandener Personale bei den Kreisen sowie der WVG/RVM und damit Einführung des Besteller-/ Erstellerprinzips.
b) Abschluss eines Verkehrsvertrages mit der RVM über die von ihr zu erbringenden ÖPNV-Leistungen.
3. Der Kreis Coesfeld setzt sich für eine Entflechtung der WVG von der RVM ein. Er strebt gemeinsam mit den anderen Münsterlandkreisen an, die Gesellschaftsanteile der Kommunen und der WVG an der RVM im Einvernehmen mit den Beteiligten zu übernehmen.
4. Die Verwaltung wird beauftragt, unter Einbeziehung von
Geschäftsführung und Betriebsrat die Grundsatzfragen für eine Partnersuche für
die RVM zu klären. Den regionalen privaten Verkehrsunternehmen soll durch die Ausgestaltung
die Möglichkeit zur Beteiligung gegeben werden.
Begründung:
I. - V.
Die Kreise und kreisfreien Städte in
NRW sind als Aufgabenträger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) im
Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verantwortlich für die Sicherstellung einer
ausreichenden Verkehrsbedienung im ÖPNV als freiwillige
Selbstverwaltungsaufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge.
Zugleich übernehmen die Münsterlandkreise in ihrer Funktion
als Gesellschafter des kommunalen Verkehrsunternehmens Regionalverkehr
Münsterland (RVM) auch Aufgaben in der Verkehrsdurchführung. Die
Münsterlandkreise befinden sich damit in einer Doppelrolle. Als Aufgabenträger
sind sie Besteller von Verkehrsleistungen, als Gesellschafter der RVM sind sie
Ersteller.
Der
notwendigen Forderung nach Kostentransparenz und Wirtschaftlichkeit kann durch
die Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips Rechnung getragen werden. Als
Besteller sollte die kommunale Seite den ÖPNV über Verkehrsverträge mit den
Unternehmen steuern.
Neben der grundsätzlichen Notwendigkeit, die Rollen des
Bestellers von der des Erstellers zu trennen, gibt es weitere einschneidende
Entwicklungen im Rechtsrahmen für den ÖPNV. Das lange erwartete Urteil des EuGH
vom 24.07.2003 im sogenannten Fall „Altmark Trans“ hat keine endgültige Klärung
gebracht. Der EuGH lässt in seinem Urteil offen, ob für eigenwirtschaftliche
Verkehre eine Teilbereichsausnahme von der Europäischen Verordnung Nr. 1191/69
- die die Pflicht zur Ausschreibung von Verkehrsleistungen beinhaltet - gegeben
ist.
Der EuGH hat aber vier Kriterien entwickelt, die – soweit von einer Ausschreibung abgesehen werden kann – in jedem Fall zu erfüllen sind, damit die öffentliche Finanzierung nicht gegen Beihilferecht verstößt
1. Betrauung mit klar definierten, gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen
2.
Vorab-Festlegung
objektiver und transparenter Ausgleichsparameter
3.
keine
Überkompensation
4.
die
Kosten der erbrachten Leistungen müssen im Niveau einem Vergleich mit einem
durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen standhalten.
Inwieweit der deutsche Gesetzgeber eine Ausnahme von der
Ausschreibungspflicht im PBefG festgeschrieben hat, ist nach wie vor strittig.
Nationale Gerichte entscheiden im Einzelfall teilweise widersprüchlich. In der
Tendenz sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene zeichnet sich jedoch
deutlich ein Übergang zu wettbewerblichen Strukturen ab, die derzeit im
Münsterland nicht gegeben sind.
Nicht auf das EuGH-Urteil und den zu erwartenden Wettbewerbsdruck z.B. durch Konkurrentenklagen zu reagieren, ist gefährlich. Sowohl für den Fall, dass die augenblickliche Finanzierung der RVM durch Gesetz oder durch richterliche Entscheidung beanstandet wird als auch für den Fall, dass die RVM im Rahmen eines Genehmigungs- oder Ausschreibungswettbewerbs Leistungen verliert, ist die Existenz des Unternehmens bedroht. Laut Gemeindeordnung ist eine Unternehmensaktivität außerhalb des eigenen Raumes unzulässig. Für verlorene Leistungen bestehen also keine Kompensationsmöglichkeiten. Im Fall eines Leistungsverlustes kommen unüberschaubare Remanenzkosten auf die Eigentümer zu.
Unabhängig von den offenen Rechtsfragen sind die Kreise
gehalten, die gewünschten Verkehrsleistungen zu den allgemein günstigsten
Kosten zu erhalten. Wie die Entwicklung im SPNV zeigt, lässt die Ausschreibung
von Verkehrsleistungen Kosteneinsparungen ohne Qualitätsverlust erwarten.
Für die RVM ist deshalb eine Perspektive zu entwickeln, die angesichts der rechtlichen Vorgaben und des zu erwartenden Wettbewerbs die Existenz des Unternehmens sichert. Mindestens muss dafür gesorgt werden, dass die Unternehmenswerte und die Arbeitsplätze in der Region gesichert werden.
Um einen rechtlich und betriebswirtschaftlich sowie für die Mitarbeiter des Unternehmens vertretbaren Weg für die RVM zu erarbeiten, wurde von den vier Münsterlandkreisen eine umfassende Beratung eingekauft. Nach Ausschreibung wurde der Auftrag an ein Gutachterkonsortium, die Ernst & Young Corporate Finance Beratung GmbH mit dem Subauftragnehmer Kompetenz Center Wettbewerb GmbH (KCW) und für den rechtlichen Part die Anwaltskanzlei Barth, Baumeister, Griem vergeben.
Ziele des Gutachtens:
· Sicherstellung der Steuerbarkeit des ÖPNV durch die Aufgabenträger (mehr Transparenz)
· Herstellung einer wirtschaftlich und rechtlich dauerhaft tragfähigen Struktur für den ÖPNV (ordnungspolitisch saubere Lösung)
·
Minimierung
des spezifischen Finanzierungsbedarfs (Einkauf zu Marktpreisen)
· Sicherung der Unternehmensentwicklung und der Arbeitsplätze in der RVM
·
Sicherung
der Position der Subunternehmer (Beachtung der Belange des Mittelstandes)
In einem ersten Schritt haben die Gutachter die
Unternehmensstrukturen, die Kosten- und Leistungsdaten sowie die bestehenden
Verträge der RVM geprüft.
Status Quo
Unternehmensstruktur
Die Gesellschafterstruktur der RVM ist sehr komplex.
Anteilseigentümer sind die vier Kreise im Münsterland, die Stadt Münster und 46
weitere Gebietskörperschaften. Außerdem ist die Westfälische
Verkehrsgesellschaft mbH (WVG) mit 29,17 % an der RVM beteiligt. An der WVG
sind die Münsterlandkreise ebenfalls mit je 7 % beteiligt. Die übrigen Anteile
werden über die Westfälisch-Lippische-Vermögensverwaltung durch den
Landschaftsverband Westfalen-Lippe gehalten.
Die WVG übernimmt übergeordnete Geschäftsführungsaufgaben
für die RVM, aber auch für die Regionalverkehr Ruhr-Lippe GmbH, die
Verkehrsgesellschaft Kreis Unna GmbH sowie die Geschäftsführung für den Bahn-
und Speditionsbereich. Die Arbeitsteilung zwischen der WVG und der RVM ist
durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag geregelt. Neben der betrieblichen
Verwaltungsleistung für die RVM nehmen sowohl die WVG als auch die RVM
traditionell Aufgaben wahr, die die Aufgabenträger zu leisten haben.
Wirtschaftliche Situation der RVM
Die RVM fährt von den etwa 25 Mio. km Fahrleistungen pro Jahr nur einen Anteil von 30 % in Eigenregie bzw. mit der RVM Verkehrsdienst GmbH. Die übrigen Fahrbetriebsleistungen werden von privaten Verkehrsunternehmen aus der Region zugekauft.
Besondere
vertragliche Beziehungen bestehen zu den sogenannten Kooperationspartner. Bei
ihrer Gründung in den 70er Jahren ist die RVM als Betriebsführer in die
Konzessionen privater Verkehrsunternehmen eingetreten. Dies war seinerzeit die
einzige Möglichkeit, eine Integration der Verkehrsbedienung zu erreichen. Als
Gegenleistung für die Abtretung von Konzessionsrechten an die RVM wurden mit
den Kooperationspartnern besondere Vergütungssätze und garantierte
Fahrleistungen vereinbart.
Die Finanzierung der RVM erfolgt im Rahmen einer Defizitabdeckung durch die Kreise jeweils nach Abschluss des Wirtschaftsjahres. Der Aufwandsdeckungsfehlbetrag für das Jahr 2003 betrug münsterlandweit rund 6,6 Mio. €.
Im einzelnen wurden durch den Gutachter folgende Feststellungen getroffen:
· Kosten im Bereich des eigenen und eingekauften Fahrbetriebs ebenso wie bei den aufgabenträgernahen Dienstleistungen liegen über Marktpreisniveau
· Bei den selbsterstellten Verkehrsleistungen besteht Restrukturierungspotential, um Anschluss an das Marktniveau zu erreichen
· Aufwendungen bei Leistungen der Kooperationspartner und der Subunternehmer liegen über Marktpreisniveau
·
Große
Betriebsführerebene
· Strukturelle Wettbewerbsnachteile durch kommunales Personaltarifniveau
· Weitere Einsparpotentiale sind gegeben
Vor diesem Hintergrund hat auch das Unternehmen eine Reihe von innerbetrieblichen Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet. Ziel des Unternehmens ist es, weitere Kostensenkungspotentiale auszuschöpfen. Mit der Geschäftsführung und der Mitarbeitervertretung wurde 2004 eine Unternehmensvereinbarung abgeschlossen, mit der – insbesondere durch die Anwendung niedrigerer Entlohnungstarife – Kosten eingespart werden. Dem stehen u.a. die Zusagen gegenüber, dass bis zum 31.12.2009 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sind und Linien aus dem Konzessionsbestand der RVM nicht vor Dezember 2007 ausgeschrieben werden.
Aktuelle rechtliche Situation der RVM
Nach Aussage des Gutachterkonsortiums stellt sich die
rechtliche Situation der RVM wie folgt dar:
· Die Verlustabdeckungsverträge sind an Anforderungen der EU-Verordnung 1191/69, und der vier EuGH-Kriterien anzupassen.
·
Es
bestehen Risiken für die weitere Finanzierung.
· Risiko des Auftragsverlustes durch Genehmigungswettbewerb
· Aus kommunalverfassungsrechtlichen Gründen keine Kompensationsmöglichkeit durch exterritoriale Wettbewerbsteilnahme.
·
Überprüfungsnotwendigkeit
der Kooperationsverträge der RVM
Empfehlungen des Gutachterkonsortiums
Vor diesem Hintergrund wurden durch das Gutachterkonsortium
verschiedene Empfehlungen ausgesprochen:
Einführung des Besteller-Ersteller-Prinzips
Die Aufgaben des Aufgabenträgers (Besteller) müssen
konsequent von denen der Verkehrsunternehmen (Ersteller) getrennt werden. Diese
Trennung ist vergaberechtlich nötig, aber auch insgesamt für die bessere
Steuerbarkeit des ÖPNV und Kostentransparenz wichtig.
Die Aufgabenträger sollen dazu eine Regie- und
Bestellereinheit (RBE) bilden. Die abschließende Rechtsform ist zu prüfen. Die
personelle Stärke dieser Organisationseinheit ist abhängig vom Aufgabenumfang,
der durch diese Einheit übernommen werden soll. Außerdem bestimmt sich durch
den Aufgabenumfang die Schnittstelle zu den Kompetenzen der Verkehrsunternehmen
wie etwa die Zuständigkeit für Einnahmeverantwortung oder die Ausgestaltung des
Angebotes. Zunächst ist eine schmale personelle Ausstattung vorgesehen. Es
sollen Mitarbeiter der RVM und der Kreise in die Regieebene integriert werden.
Aktuelle Aufgaben:
· Schrittweise Einrichtung einer Regie- und Bestelleinheit (RBE) zur Vorbereitung und Einführung einer vertraglichen Steuerung des Nahverkehrs,
· Ausarbeitung und Abschluss eines rechtskonformen Verkehrsvertrages, der die Erbringung und Finanzierung der Verkehrsleistung der RVM umfasst,
Weitere Aufgaben, wie Nahverkehrsplanung, Fahrzeugförderung,
Vertrags-controlling und insbesondere wettbewerbliche Leistungsbestellung etc.,
kommen sukzessive dazu.
Zur Gründung ist ein abschließender Beschluss der Kreistage erforderlich.
Strategische Partnerschaft für die RVM
Für die Zukunft der RVM haben die Gutachter alternative Handlungsoptionen mit folgenden Ergebnissen untersucht:
„Stand alone-Lösung“: Diese Lösung ist wirtschaftlich wenig Erfolg versprechend, da eine erfolgreiche Restrukturierung im Alleingang fraglich aber zumindest nur langristig möglich ist. Bei plötzlicher Marktöffnung wird die RVM wahrscheinlich scheitern. Als Eigentümer tragen die Kreise hohes finanzielles Risiko.
„Kooperation mit lokalen ÖPNV-Unternehmen bei Erhalt der Eigenständigkeit“: Der Unterschied gegenüber der Stand alone-Lösung liegt allein in einem ggf. größeren Potential zur Reduzierung des Zuschussbedarfs.
„Gesellschafter suchen strategischen Partner für Minderheitsanteil an der RVM“: Auch bei diesem Modell verbleiben die Risiken der RVM überwiegend bei den Gesellschaftern;
„Gesellschafter suchen strategischen Partner für Mehrheitsanteil bzw. alle Anteile an der RVM“: Nach Auffassung des Gutachterkonsortiums ist dies der zielführende Ansatz für die RVM. Der strategische Partner übernimmt die finanziellen Risiken und sichert die Existenz sowie die Weiterentwicklung der RVM ab; Befreiung von beihilferechtlichen Risiken und kommunalrechtlichen Schranken ist möglich.
Im Einzelnen begründen die Gutachter die Abtretung von
Gesellschaftsanteilen zur Einbindung eines strategischen Partners wie folgt:
· Restrukturierung und Restrukturierungsverantwortung durch Erwerber
· Mittelfristig wettbewerbsfähige Kosten der Leistungserstellung erreichbar
· Übernahme marktüblicher Risiken durch Erwerber
· Existenzabsicherung durch Weiterentwicklung der RVM
· Sicherung der Arbeitsplätze in der RVM auf Basis des laufenden Unternehmensvertrages bzw. abzuschließenden Verkehrsvertrages
·
Durch
Verkauf wird personelle Unabhängigkeit zwischen der Besteller- und der
Erstellerebene erreicht, dadurch Wegfall potenzieller Interessenkonflikte
· Möglichkeit zur Lösung der bestehenden beihilferechtlichen Risiken und kommunalrechtlichen Schranken
Die sich aus den Empfehlungen des Gutachters ergebenden Handlungsschritte sind im Beschlussvorschlag zusammengefasst.
Anlagen:
1. Folienvortrag zur Fortentwicklung des ÖPNV in den Münsterlandkreisen