Beschlussvorschlag:
Die Verwaltung wird beauftragt, eine Änderung des
Gesellschaftsvertrags der Tarifgemeinschaft Münsterland-Ruhr-Lippe GmbH zu
beantragen mit dem Ziel, das Stimmgewicht zugunsten der Aufgabenträger
auszugestalten.
I./II. Sachdarstellung/Entscheidungsalternativen
Der Kreistag des Kreises Coesfeld
hatte am 09.09.2020 die Verwaltung beauftragt zu prüfen, welche Bedingungen zu
erfüllen sind, um die Tarifgemeinschaft Münsterland aufzulösen, und welche
Konsequenzen der Kreis Coesfeld dann zu tragen hätte.
In der Sitzung des Ausschusses für
Mobilität, Infrastruktur und Kreisentwicklung am 27.01.2021 wurde die
Verwaltung beauftragt zu untersuchen, wie das Einstimmigkeitsprinzip, das
aktuell für alle Beschlüsse gilt, aufgehoben werden kann. Die
Mehrheitsverhältnisse sollten sich z.B. an den Festlegungen für den
WestfalenTarif-Ausschuss (WTA) orientieren.
Die Prüfung hat ergeben, dass § 15
Abs. 3 des Gesellschaftsvertrags ein gewisses Potential bietet, die Interessen
des Kreises durchzusetzen: Mit der veränderten Nutzung des Nahverkehrs in der
Pandemie könnte begründet werden, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3
gegeben sind.
Danach sind die Gesellschafter verpflichtet, unabhängig von der
festgelegten Kündigungsfrist über eine Modifizierung einzelner Regelungen, d.h.
Regelungen des Gesellschaftsvertrags, zu verhandeln, wenn und soweit veränderte
Rahmenbedingungen dies erfordern.
Nach Einschätzung der Verwaltung spricht Vieles dafür, dass sich die
Rahmenbedingungen mittlerweile so verändert haben, dass Modifizierungen an der
Regelung des Stimmenquorums für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung
erforderlich sind, und die Gesellschafter somit gem. § 15 Abs. 3 des
Gesellschaftsvertrags verpflichtet sind, über die Regelung des Stimmenquorums
zu verhandeln.
Die veränderten Rahmenbedingungen bestehen aus Sicht der Verwaltung
darin, dass es verstärkt aufgrund der Corona-Pandemie zu einer starken
Veränderung im Nutzungsverhalten des öffentlichen Nahverkehrs innerhalb der
beiden Tarifräume (Münsterland und Ruhr-Lippe) gekommen ist: Zum einen ist die
Nutzung von Home-Office durch die Pandemie insgesamt beliebter geworden und
wird auch nach Corona eine größere Rolle im Arbeitsleben einnehmen. Zum anderen
stellt die Nutzung von E-Bikes und E-Rollern eine neue Form des Verkehrs dar,
die es erst seit wenigen Jahren (E-Roller) bzw. verstärkt (E-Bike) gibt und die
sich wahrscheinlich in den nächsten Jahren sogar noch vergrößern wird. Dies
gilt umso mehr, als es zumindest in der hiesigen Kreispolitik Ziel ist, den
Modal-Split-Anteil zugunsten des Rades deutlich zu erhöhen. Dies kommt v.a. im
Radverkehrskonzept des Kreises zum Ausdruck, das zahlreiche Maßnahmen zur
Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur vorsieht.
Die gerade beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen sprechen deutlich
dafür, dass die Nutzung des ÖPNV sich verändern wird.
Um die Attraktivität des ÖPNV dennoch zukunftsfähig zu gestalten,
müssen auch die tariflichen Rahmenbedingungen den aktuellen Entwicklungen
angepasst werden, um wieder mehr Bürgerinnen und Bürger für die Nutzung des
öffentlichen Nahverkehrs zu gewinnen. Da eine solche Änderung der
Tarifbedingungen nicht zwangsläufig mit den Interessen der
eigenwirtschaftlichen Unternehmen deckungsgleich ist, diesen teilweise sogar
widerspricht, stellt das aktuell geltende Einstimmigkeitsprinzip
eine Regelung dar, die in der beschriebenen Situation der Notwendigkeit einer
attraktiveren Gestaltung der Tarifbedingungen ein Eingehen auf veränderte
Rahmenbedingungen faktisch unmöglich macht. Eine Modifizierung des
erforderlichen Stimmenquorums ist somit zumindest für den Fall erforderlich,
dass sich die Nachfrage zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs aufgrund
bestimmter Umstände substantiell verringert hat.
Aus diesem Grund soll sich die Tarifgemeinschaft mit möglichen
Änderungen des Gesellschaftsvertrages befassen, mit dem Ziel, das Stimmgewicht
der Aufgabenträger deutlich zu stärken
Inwieweit hier Regelungen zum Stimmquorum aus der Geschäftsordnung des
WestfalenTarif-Ausschusses[1]
zum Vorbild genommen werden können, soll in der Tarifgemeinschaft diskutiert
werden.
Bei einer möglichen Änderung des Gesellschaftsvertrags sind
weitergehende handelsrechtliche Vorschriften ergänzend zu beachten.
III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal,
IT, Klima)
Falls die Initiative des Kreises
Coesfeld Erfolg hat, dann bestünde zukünftig die Chance, dass politische
Beschlüsse auch in der Gesellschafterversammlung der Tarifgemeinschaft
mehrheitlich auch gegen die Stimmen der eigenwirtschaftlich tätigen Partner
durchgesetzt werden können.
Falls dabei die Höhe der
Fahrkartenpreise so angepasst wird, dass der Weg weg von der heutigen
Nutzerfinanzierung hin zu einer Nutznießerfinanzierung führt, dann können die
kommunalen Haushalte durch höhere Ausgleichszahlungen für Verkehrsverträge (öffentliche
Dienstleistungsaufträge ÖDA) stärker als heute belastet werden.
IV. Zuständigkeit für die Entscheidung
Die Zuständigkeit des Kreistages ergibt sich aus § 26 Abs.1 KrO NW.
[1] Die Mehrheitsverhältnisse für den
WestfalenTarif-Ausschuss sind in dessen Geschäftsordnung festgelegt. Im § 3
„Stimmrechte“ wird die Ermittlung der Stimmanteile geregelt. Danach verteilen
sich die Stimmanteile nach einem Betroffenheitsprinzip. Dieses ergibt sich aus
den Fahrgelderlös-Ansprüchen des Mitglieds nach Einnahmenaufteilung. Je nach
Thema des zur Abstimmung gestellten Beschlussvorschlags werden verschiedene
Stimmanteilsverteilungen verwendet. Der § 4 „Beschlussfassung“ legt fest, mit
welcher Mehrheit aller anwesenden Stimmanteile Beschlüsse gefasst werden.