Betreff
Tarifmaßnahmen im Münsterland des Jahres 2023 und der Folgejahre
Vorlage
SV-10-0655
Aktenzeichen
01.81-Tarifmaßnahmen 2023 ff
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Die Verwaltung wird beauftragt in der Sitzung des Tarifausschusses Münsterland, der Gesellschafterversammlung der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe und im WestfalenTarif-Ausschuss für eine Tarifanpassung zum 01.08.2023 bis 3,5 % abzustimmen, wobei die gegenüber dem Basiswert von 2,15 % erhöhte Steigerung in der Tarifmaßnahme 2024 berücksichtigt werden muss

 

Sachdarstellung

 

1              Ausgangslage

 

Die Tarifmaßnahmen finden in der Regel zum 01.08. jeden Jahres statt. Basis für die Festlegung der durchschnittlichen Höhe der Tarifmaßnahme in den Preisstufen M0 bis M5 bildet der Gesellschaftervertrag der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe. Dort sind die Bezugsgrößen (Preis- und Lohnindex) und Berechnungswege für die Ermittlung der Tarifanpassungen hinterlegt. Für das Tarifjahr 2023 wird dabei die Kostenentwicklung in den Jahre 2019 bis 2021 berücksichtigt, für das Tarifjahr 2024 die der Jahre 2020 bis 2022. Daraus ergeben sich abgeleitete Werte für die Tarifmaßnahmen 2023 von + 2,15 % und für die Tarifmaßnahmen 2024 von (derzeitige Schätzung) + 7 bis + 8 % (Hochrechnung der Indexwerte vom April 2022 für das gesamt Jahr 2022: + 7,27 %).

 

Unabhängig von der grundsätzlichen Regelung der Fahrpreisanpassung sind andere Festlegungen möglich, wenn alle Mitglieder der Tarifgemeinschaft dieser zustimmen. Gibt es keine Einigung, greift das beschriebene Modell der indexorientierten Tarifmaßnahme mit einem Preisanstieg zum 01.08.2023 um 2,15 % und zum 01.08.2024 voraussichtlich um einen Wert größer 7 %. Wenn diese Werte unterschritten werden sollen, so müssen die dadurch nicht generierten Einnahmen von dem entsprechenden Verhandelnden / Initiator oder von dritter Stelle ausgeglichen werden.

 

Einige eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen haben in der Tarifgemeinschaft Münsterland / Ruhr-Lippe zur Diskussion gestellt, dass aufgrund der stark gestiegenen Produktionskosten für die Verkehrsleistungen ab Anfang 2022 eine vorzeitige (zum 01.08. oder 1.10.2022 bzw. zum 01.01. oder 01.04.2023) und über die Basiswerte hinausgehende Tarifanpassung erfolgen soll.

 

 

2              wirtschaftliche und verkehrspolitische Einordnung von relevanten Aspekten

 

Kostensteigerung: die Kostensteigerung im Jahr 2022 führt zu einem erhöhten Aufwand für die Erbringung von Verkehrsleistungen. Die der Tarifanpassung zugrundeliegende Inflationsformel setzt sich zusammen aus der jeweiligen Kostenentwicklung für Lohn, Diesel und einem Preisindex für gewerbliche Produkte. Alleine die Veränderung von 2021 zu 2022 (Kostenstand April 2022) beträgt + 7,3 %. Die Kostensteigerung für die Erbringung von Verkehrsleistungen wird derzeit nicht durch Drittmittel (Subventionen, Förderungen) ausgeglichen, sondern werden durch die Verkehrsunternehmen oder Auftraggeber (Kommunen als Aufgabenträger) getragen.

 

Einnahmeausfälle durch Fahrgastrückgang: während der Corona-Pandemie ist die Nutzung von Bus und Bahn deutlich zurückgegangen; das Vor-Pandemie-Niveau ist noch nicht wieder erreicht. Branchenweit und auch im Münsterland rechnet man aktuell mit einem Fahrgastrückgang von rund 15 % gegenüber dem Wert von 2019 (ohne Berücksichtigung von Sondereffekten durch das 9-Euro-Ticket). Die entsprechenden Fahrgeldeinnahmen fehlen dem ÖPNV-System, sowohl den Verkehrsunternehmen als auch den einnahmeverantwortlichen Aufgabenträgern. Die Tarifgemeinschaft hat Mindereinnahmen in der Größenordnung von 25-30 Mio. € pro Jahr für den Tarifraum Münsterland / Ruhr-Lippe ermittelt.

 

Rettungsschirm: Fehlende Einnahmen aufgrund von Fahrgastrückgängen werden im Jahr 2022 noch durch den sog. Corona-Rettungsschirm aufgefangen. Ein Ausgleich der Mindererlöse kann von den Verkehrsunternehmen beantragt werden; er wird recht schnell ausbezahlt. Diesen Rettungsschirm wird es in dieser Form ab 2023 nicht mehr geben.

 

Erhöhte Kosten für die öffentliche Hand zur Aufrechterhaltung des Verkehrs: Durch steigende Kosten zur Durchführung von Verkehrsleistungen besteht ein finanzieller Ausgleichsbedarf bei kommunalen Verkehrsunternehmen sowie bei beauftragten Verkehrsunternehmen eines Aufgabenträgers, die die öffentliche Hand ausgleicht. Auch die Vergabe neuer Verkehrsleistungen wird teurer. Die gegenzurechnenden Fahrgeldeinnahmen sind dagegen geringer. Dies führt zu einer deutlich höheren Kostenbelastung der Verkehrsunternehmen und in der Folge der öffentlichen Haushalte der Städte, Kreise und des NWL.

 

Risiko von Fahrplaneinschränkungen: Durch die Mindereinnahmen und die erhöhten Kosten besteht die Gefahr, dass eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen (einen Teil) ihre(r) Verkehrsleistung nicht mehr erbringen können oder möchten und einen Antrag auf Entbindung von der Betriebspflicht stellen. Eine Unterstützung durch die Aufgabenträger kann (befristet) durch einen sogenannten Not-ÖDA erfolgen, indem die Verkehrsunternehmen aus Haushaltsmitteln gestützt werden.

 

Risiko von Insolvenzen: Wenn keine (Teil-)Kompensation der Mehrkosten und Mindereinnahmen erfolgt, besteht die Gefahr, dass eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen nicht mehr kostendeckend arbeiten können und in die Insolvenz gehen. Die Fahrplanleistung kann dann durch den Aufgabenträger ausgeschrieben werden und als gemeinwirtschaftliche Leistung vergeben werden. Hierdurch entstehen dem Aufgabenträger Kosten.

 

Mehreinnahmen durch Fahrpreis-Tariferhöhungen: nach ersten Schätzungen der Geschäftsstelle der Tarifgemeinschaft würde durch eine Tarifsteigerung zum 1.8.2023 in Höhe von durchschnittlich 3 % Mehreinnahmen in Höhe von rund 6 Mio. € pro Jahr erwirtschaftet werden und bei einer Steigerung von 5 % in Höhe von rund 9 Mio. € pro Jahr. Nicht berücksichtigt sind mögliche Kundenverluste durch Abwanderungen sowie Maßnahmen im strukturellen Bereich durch neue/geänderte Ticketprodukte.

 

Auswirkung der Tarifanpassung für 2023 auf die Folgejahre: Aufgrund der rückwirkend ermittelten Indexberechnung würde in 2023 eine relativ moderate Erhöhung (von 2,15 %) und im Jahr 2024 eine deutliche Steigerung von voraussichtlich mehr als 7 % erfolgen. Mit einer Tarifpreisentscheidung für das Jahr 2023 lässt sich eine Tarifanpassung in den Jahren 2024 steuern.

 

Wirkung von Preissteigerungen im Ticketverkauf: die jährliche Preisanpassung im Fahrkartenverkauf haben in der Vergangenheit die Kostensteigerungen (weitgehend) ausgeglichen. Um dieses auch in den Jahren 2023, 2024 und folgende zu gewährleisten, sind Preisanpassungen in Höhe der Inflationsrate erforderlich. Gleichzeitig gibt es die Erwartungshaltung auch vor dem Hintergrund der angestrebten Verkehrswende und den insgesamt positiven Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket, dass die Attraktivität des ÖPNV auch in tariflicher Sicht gesteigert wird, indem das Fahrpreisniveau gesenkt wird oder durch stark rabattierte Angebote ergänzt wird.

 

Mit einer Tarifmaßnahme wird nicht die Ausweitung des Verkehrsangebotes finanziert: ein (wie auch immer zu gestaltender) finanzieller Ausgleich der betrieblichen Mehrkosten und der Einnahmerückgänge würde lediglich den Bestand des Verkehrsangebotes sichern. Das Ziel, durch eine Angebotsausweitung im öffentlichen Mobilitätssektor diesen attraktiver zu machen und einer Verkehrswende näher zu kommen, würde durch diese Maßnahmen nicht erreicht werden. Hierzu bedürfte es weiterer Maßnahmen.

 

 

3              Festlegung der Höhe für eine Tarifanpassung in 2023 und in den folgenden Jahren

 

Das ÖPNV-System in Deutschland und im Münsterland muss einen deutlichen Anstieg der Produktionskosten verkraften bei gleichzeitigem Rückgang der Einnahmen, der ab dem Jahr 2023 nicht mehr durch einen Rettungsschirm ausgeglichen wird. Durch eine Fahrpreisanpassung gemäß den bisher angewendeten Kriterien wird der Kostenanstieg erst zeitverzögert aufgefangen, so dass es zwischenzeitlich zu einer Unterfinanzierung aller Verkehrsunternehmen mit der Gefahr einer Kürzung des Fahrplanangebotes zumindest bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen kommt. Der Rückgang der Einnahmen durch die pandemiebedingt geringeren Fahrgastzahlen wird ab 2023 voll wirksam. Es sind somit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des derzeitigen Angebotes erforderlich. Hinzu kommt der wirtschaftlich bislang noch nicht berücksichtigte, aber notwendige Ausbau des Verkehrsangebotes, um die Ziele der Mobilitätswende und des Klimaschutzes zu erreichen.

 

Vor diesem Hintergrund müssen die Gesellschafter der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe und des Westfalentarifes (Verkehrsunternehmen und einnahmeverantwortlichen Aufgabenträger) die Fahrpreisanpassungen für die Jahre 2023 und perspektivisch 2024 und folgende Jahre festlegen.

 

Eine von den eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen geforderte vorgezogene Tarifmaßnahme ist aufgrund der Zeitkette (Beratung, Verhandlung und Beschluss in den Gremien, Tarifantrag, vertriebliche Vorbereitung von rd. 10 Wochen) nicht möglich; eine Umsetzung kann erst zum 01.08.2023 erfolgen. Hierfür muss der Tarif in den Tarifausschüssen der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe spätestens am 09.12.2022 beschlossen werden. Eine Beratung und gegebenenfalls ein Beschluss in den Kreisgremien/Rat der Stadt Münster muss bis dahin, also de facto in den Gremienläufen im Herbst 2022, erfolgt sein.

 

Für eine vorgezogene Maßnahme zum 01.04.2023 müssten die Beschlüsse in einer Sondersitzung der Tarifausschüsse bereits bis Mitte August 2022 erfolgen; eine Beratung in den Kreistagsgremien wäre dann nicht mehr möglich. Auch die Gremien des WestfalenTarifs befürworten eine Tarifmaßnahme zum 01.08.2023 und sehen mögliche unterschiedliche Termine in den Teilräumen kritisch. 

 

Die Geschäftsstelle der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe hat Tarifpreismodelle mit einer Steigerung von 3% und von 5% zum 01.08.2023 berechnet.

 

·         Bei einer Tarifmaßnahme mit einer Kostensteigerung für die Tickets (Ergiebigkeit) von durchschnittlich rund 3 % entstünden Mehreinnahmen von 6,35 Mio. € bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

·         Bei einer Tarifmaßnahme mit einer Kostensteigerung für die Tickets (Ergiebigkeit) von durchschnittlich rund 5 % entstünden Mehreinnahmen von 9,33 Mio. € bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

 

Darin sind Auswirkungen durch eine Reaktion der Nachfrage aufgrund der Preisänderung nicht berücksichtigt (Preiselastizität), da sich die Auswirkungen von verschiedenen Stufen einer Tarifpreiserhöhung auf die Änderung des Fahrgastverhaltens – gerade auch im Zusammenspiel mit weiteren tariflichen Maßnahmen – nicht seriös vorhersagen lässt. Ebenso lassen sich mögliche Auswirkungen auf der Einnahmeseite durch das ausgeweitete Ticketangebot (JobTicket, SchülerTicket) nicht quantifizierbar abschätzen. Auch mögliche Sondertickets als Nachfolgemodelle des 9-Euro-Tickets können die heute absehbaren Effekte verändern.

 

Bislang liegen die Vorstellungen der Gesellschafter der Tarifgemeinschaft von der Höhe Tarifmaßnahme noch weit auseinander. Während die eigenwirtschaftlichen Partner eine möglichst hohe und an der aktuellen Kostensteigerung orientierte Tarifmaßnahme erreichen möchten, tendieren die kommunalen Partner aus verkehrspolitischer Sicht eher zu einer gemäßigten und an der Basissteigerung orientierten Maßnahme.

 

Daraus lassen sich mehrere Möglichkeiten für eine Tarifpreisanhebung zum 01.08.2023 abbilden, von denen hier einige aufgeführt sind:

 

·         Eine Steigerung um 2,15 % umfasst den vertraglichen Basiswert. Eine Einigung auf diesen Wert bedeutet eine voraussichtlich deutliche höhere inflationsorientierte Tarifsteigerung in 2024 (voraussichtlich höher als 7 %).

 

·         Mit einer Steigerung um bis zu 3,5 % wird ein höherer Wert angesetzt, der den Forderungen der eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen entgegenkommt. Die Differenz zu dem Basiswert (etwa 3,5 % zu 2,15 %) in entsprechender Höhe wird im folgendem Tarifjahr 2024 eingerechnet und den dann erwarteten starken Preisanstieg um die gleiche Spanne verringern.

 

·         Eine Steigerung um durchschnittlich bis zu 5 % kommt den Forderungen der eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen nahe und verspricht die höchste Ergiebigkeit.

 

·         Bei einer „0-Runde“ (keine Tarifpreisanpassung) in 2023 müssen nach heutiger Regelung die nicht erzielten Mehreinnahmen in Höhe von rd. 4,5 Mio. € (gegenüber der Basissteigerung von 2,15 %) ausgeglichen werden – und zwar für jedes kommende Jahr, in dem diese Anpassung nicht erfolgt.

 

Aus Sicht der Verwaltungen der einnahmeverantwortlichen Aufgabenträger ist eine Tarifanpassung zum 01.08.2023 in Höhe von bis zu 3,5 % vertretbar. Sie kommt den nachvollziehbaren Interessen der Verkehrsunternehmen entgegen, trägt zur Sicherung der Bestandsverkehre bei und reduziert eine absehbar hohe Kostensteigerung im Jahr 2024. Eine Steigerung in dieser Höhe würde voraussichtlich auch auf eine Akzeptanz bei den Kunden/Fahrgästen treffen, da sie unter der aktuellen Kostensteigerung für Verbrauchsgüter liegt.

 

Zuständigkeit für die Entscheidung

 

Für die Entscheidung ist der Kreistag zuständig (§ 26 Abs. 1 KrO NRW).