Beschlussvorschlag:
Die Verwaltung wird beauftragt in der Sitzung des Tarifausschusses Münsterland, der Gesellschafterversammlung der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe und im WestfalenTarif-Ausschuss für eine Tarifanpassung zum 01.08.2023 bis 3,5 % abzustimmen, wobei die gegenüber dem Basiswert von 2,15 % erhöhte Steigerung in der Tarifmaßnahme 2024 berücksichtigt werden muss
Sachdarstellung
1 Ausgangslage
Die Tarifmaßnahmen finden in der Regel
zum 01.08. jeden Jahres statt. Basis für die Festlegung der durchschnittlichen
Höhe der Tarifmaßnahme in den Preisstufen M0 bis M5 bildet der
Gesellschaftervertrag der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe. Dort sind
die Bezugsgrößen (Preis- und Lohnindex) und Berechnungswege für die Ermittlung
der Tarifanpassungen hinterlegt. Für das Tarifjahr 2023 wird dabei die
Kostenentwicklung in den Jahre 2019 bis 2021 berücksichtigt, für das Tarifjahr
2024 die der Jahre 2020 bis 2022. Daraus ergeben sich abgeleitete Werte für die
Tarifmaßnahmen 2023 von + 2,15 % und für die Tarifmaßnahmen 2024 von
(derzeitige Schätzung) + 7 bis + 8 % (Hochrechnung der Indexwerte vom April
2022 für das gesamt Jahr 2022: + 7,27 %).
Unabhängig von der grundsätzlichen
Regelung der Fahrpreisanpassung sind andere Festlegungen möglich, wenn alle
Mitglieder der Tarifgemeinschaft dieser zustimmen. Gibt es keine Einigung,
greift das beschriebene Modell der indexorientierten Tarifmaßnahme mit einem Preisanstieg
zum 01.08.2023 um 2,15 % und zum 01.08.2024 voraussichtlich um einen Wert
größer 7 %. Wenn diese Werte unterschritten werden sollen, so müssen die
dadurch nicht generierten Einnahmen von dem entsprechenden Verhandelnden /
Initiator oder von dritter Stelle ausgeglichen werden.
Einige eigenwirtschaftliche
Verkehrsunternehmen haben in der Tarifgemeinschaft Münsterland / Ruhr-Lippe zur
Diskussion gestellt, dass aufgrund der stark gestiegenen Produktionskosten für
die Verkehrsleistungen ab Anfang 2022 eine vorzeitige (zum 01.08. oder
1.10.2022 bzw. zum 01.01. oder 01.04.2023) und über die Basiswerte
hinausgehende Tarifanpassung erfolgen soll.
2 wirtschaftliche und
verkehrspolitische Einordnung von relevanten Aspekten
Kostensteigerung: die Kostensteigerung
im Jahr 2022 führt zu einem erhöhten Aufwand für die Erbringung von
Verkehrsleistungen. Die der Tarifanpassung zugrundeliegende Inflationsformel
setzt sich zusammen aus der jeweiligen Kostenentwicklung für Lohn, Diesel und
einem Preisindex für gewerbliche Produkte. Alleine die Veränderung von 2021 zu
2022 (Kostenstand April 2022) beträgt + 7,3 %. Die Kostensteigerung für die
Erbringung von Verkehrsleistungen wird derzeit nicht durch Drittmittel
(Subventionen, Förderungen) ausgeglichen, sondern werden durch die
Verkehrsunternehmen oder Auftraggeber (Kommunen als Aufgabenträger) getragen.
Einnahmeausfälle
durch Fahrgastrückgang: während der Corona-Pandemie ist die Nutzung
von Bus und Bahn deutlich zurückgegangen; das Vor-Pandemie-Niveau ist noch nicht
wieder erreicht. Branchenweit und auch im Münsterland rechnet man aktuell mit
einem Fahrgastrückgang von rund 15 % gegenüber dem Wert von 2019 (ohne
Berücksichtigung von Sondereffekten durch das 9-Euro-Ticket). Die
entsprechenden Fahrgeldeinnahmen fehlen dem ÖPNV-System, sowohl den
Verkehrsunternehmen als auch den einnahmeverantwortlichen Aufgabenträgern. Die
Tarifgemeinschaft hat Mindereinnahmen in der Größenordnung von 25-30 Mio. € pro
Jahr für den Tarifraum Münsterland / Ruhr-Lippe ermittelt.
Rettungsschirm: Fehlende
Einnahmen aufgrund von Fahrgastrückgängen werden im Jahr 2022 noch durch den
sog. Corona-Rettungsschirm aufgefangen. Ein Ausgleich der Mindererlöse kann von
den Verkehrsunternehmen beantragt werden; er wird recht schnell ausbezahlt.
Diesen Rettungsschirm wird es in dieser Form ab 2023 nicht mehr geben.
Erhöhte
Kosten für die öffentliche Hand zur Aufrechterhaltung des Verkehrs: Durch steigende
Kosten zur Durchführung von Verkehrsleistungen besteht ein finanzieller
Ausgleichsbedarf bei kommunalen Verkehrsunternehmen sowie bei beauftragten
Verkehrsunternehmen eines Aufgabenträgers, die die öffentliche Hand ausgleicht.
Auch die Vergabe neuer Verkehrsleistungen wird teurer. Die gegenzurechnenden
Fahrgeldeinnahmen sind dagegen geringer. Dies führt zu einer deutlich höheren
Kostenbelastung der Verkehrsunternehmen und in der Folge der öffentlichen
Haushalte der Städte, Kreise und des NWL.
Risiko
von Fahrplaneinschränkungen: Durch die Mindereinnahmen und die erhöhten
Kosten besteht die Gefahr, dass eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen (einen
Teil) ihre(r) Verkehrsleistung nicht mehr erbringen können oder möchten und
einen Antrag auf Entbindung von der Betriebspflicht stellen. Eine Unterstützung
durch die Aufgabenträger kann (befristet) durch einen sogenannten Not-ÖDA
erfolgen, indem die Verkehrsunternehmen aus Haushaltsmitteln gestützt werden.
Risiko
von Insolvenzen: Wenn keine (Teil-)Kompensation der Mehrkosten und
Mindereinnahmen erfolgt, besteht die Gefahr, dass eigenwirtschaftliche Verkehrsunternehmen
nicht mehr kostendeckend arbeiten können und in die Insolvenz gehen. Die
Fahrplanleistung kann dann durch den Aufgabenträger ausgeschrieben werden und
als gemeinwirtschaftliche Leistung vergeben werden. Hierdurch entstehen dem
Aufgabenträger Kosten.
Mehreinnahmen
durch Fahrpreis-Tariferhöhungen: nach ersten Schätzungen der Geschäftsstelle
der Tarifgemeinschaft würde durch eine Tarifsteigerung zum 1.8.2023 in Höhe von
durchschnittlich 3 % Mehreinnahmen in Höhe von rund 6 Mio. € pro Jahr erwirtschaftet
werden und bei einer Steigerung von 5 % in Höhe von rund 9 Mio. € pro Jahr.
Nicht berücksichtigt sind mögliche Kundenverluste durch Abwanderungen sowie
Maßnahmen im strukturellen Bereich durch neue/geänderte Ticketprodukte.
Auswirkung
der Tarifanpassung für 2023 auf die Folgejahre: Aufgrund der
rückwirkend ermittelten Indexberechnung würde in 2023 eine relativ moderate
Erhöhung (von 2,15 %) und im Jahr 2024 eine deutliche Steigerung von
voraussichtlich mehr als 7 % erfolgen. Mit einer Tarifpreisentscheidung für das
Jahr 2023 lässt sich eine Tarifanpassung in den Jahren 2024 steuern.
Wirkung
von Preissteigerungen im Ticketverkauf: die jährliche Preisanpassung im
Fahrkartenverkauf haben in der Vergangenheit die Kostensteigerungen
(weitgehend) ausgeglichen. Um dieses auch in den Jahren 2023, 2024 und folgende
zu gewährleisten, sind Preisanpassungen in Höhe der Inflationsrate erforderlich.
Gleichzeitig gibt es die Erwartungshaltung auch vor dem Hintergrund der
angestrebten Verkehrswende und den insgesamt positiven Erfahrungen mit dem
9-Euro-Ticket, dass die Attraktivität des ÖPNV auch in tariflicher Sicht
gesteigert wird, indem das Fahrpreisniveau gesenkt wird oder durch stark
rabattierte Angebote ergänzt wird.
Mit
einer Tarifmaßnahme wird nicht die Ausweitung des Verkehrsangebotes finanziert: ein (wie auch
immer zu gestaltender) finanzieller Ausgleich der betrieblichen Mehrkosten und
der Einnahmerückgänge würde lediglich den Bestand des Verkehrsangebotes
sichern. Das Ziel, durch eine Angebotsausweitung im öffentlichen
Mobilitätssektor diesen attraktiver zu machen und einer Verkehrswende näher zu
kommen, würde durch diese Maßnahmen nicht erreicht werden. Hierzu bedürfte es
weiterer Maßnahmen.
3 Festlegung der Höhe für eine
Tarifanpassung in 2023 und in den folgenden Jahren
Das ÖPNV-System in Deutschland und im
Münsterland muss einen deutlichen Anstieg der Produktionskosten verkraften bei
gleichzeitigem Rückgang der Einnahmen, der ab dem Jahr 2023 nicht mehr durch
einen Rettungsschirm ausgeglichen wird. Durch eine Fahrpreisanpassung gemäß den
bisher angewendeten Kriterien wird der Kostenanstieg erst zeitverzögert
aufgefangen, so dass es zwischenzeitlich zu einer Unterfinanzierung aller
Verkehrsunternehmen mit der Gefahr einer Kürzung des Fahrplanangebotes
zumindest bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen kommt. Der Rückgang der
Einnahmen durch die pandemiebedingt geringeren Fahrgastzahlen wird ab 2023 voll
wirksam. Es sind somit Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des derzeitigen
Angebotes erforderlich. Hinzu kommt der wirtschaftlich bislang noch nicht
berücksichtigte, aber notwendige Ausbau des Verkehrsangebotes, um die Ziele der
Mobilitätswende und des Klimaschutzes zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund müssen die
Gesellschafter der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe und des
Westfalentarifes (Verkehrsunternehmen und einnahmeverantwortlichen
Aufgabenträger) die Fahrpreisanpassungen für die Jahre 2023 und perspektivisch
2024 und folgende Jahre festlegen.
Eine von den eigenwirtschaftlichen
Verkehrsunternehmen geforderte vorgezogene Tarifmaßnahme ist aufgrund der
Zeitkette (Beratung, Verhandlung und Beschluss in den Gremien, Tarifantrag,
vertriebliche Vorbereitung von rd. 10 Wochen) nicht möglich; eine Umsetzung
kann erst zum 01.08.2023 erfolgen. Hierfür muss der Tarif in den
Tarifausschüssen der Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe spätestens am
09.12.2022 beschlossen werden. Eine Beratung und gegebenenfalls ein Beschluss
in den Kreisgremien/Rat der Stadt Münster muss bis dahin, also de facto in den
Gremienläufen im Herbst 2022, erfolgt sein.
Für eine vorgezogene Maßnahme zum
01.04.2023 müssten die Beschlüsse in einer Sondersitzung der Tarifausschüsse
bereits bis Mitte August 2022 erfolgen; eine Beratung in den Kreistagsgremien
wäre dann nicht mehr möglich. Auch die Gremien des WestfalenTarifs befürworten
eine Tarifmaßnahme zum 01.08.2023 und sehen mögliche unterschiedliche Termine
in den Teilräumen kritisch.
Die Geschäftsstelle der
Tarifgemeinschaft Münsterland/Ruhr-Lippe hat Tarifpreismodelle mit einer
Steigerung von 3% und von 5% zum 01.08.2023 berechnet.
·
Bei einer Tarifmaßnahme mit einer
Kostensteigerung für die Tickets (Ergiebigkeit) von durchschnittlich rund 3 %
entstünden Mehreinnahmen von 6,35 Mio. € bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
·
Bei einer Tarifmaßnahme mit einer
Kostensteigerung für die Tickets (Ergiebigkeit) von durchschnittlich rund 5 %
entstünden Mehreinnahmen von 9,33 Mio. € bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
Darin sind Auswirkungen durch eine
Reaktion der Nachfrage aufgrund der Preisänderung nicht berücksichtigt
(Preiselastizität), da sich die Auswirkungen von verschiedenen Stufen einer
Tarifpreiserhöhung auf die Änderung des Fahrgastverhaltens – gerade auch im
Zusammenspiel mit weiteren tariflichen Maßnahmen – nicht seriös vorhersagen
lässt. Ebenso lassen sich mögliche Auswirkungen auf der Einnahmeseite durch das
ausgeweitete Ticketangebot (JobTicket, SchülerTicket) nicht quantifizierbar
abschätzen. Auch mögliche Sondertickets als Nachfolgemodelle des 9-Euro-Tickets
können die heute absehbaren Effekte verändern.
Bislang liegen die Vorstellungen der
Gesellschafter der Tarifgemeinschaft von der Höhe Tarifmaßnahme noch weit
auseinander. Während die eigenwirtschaftlichen Partner eine möglichst hohe und
an der aktuellen Kostensteigerung orientierte Tarifmaßnahme erreichen möchten,
tendieren die kommunalen Partner aus verkehrspolitischer Sicht eher zu einer gemäßigten
und an der Basissteigerung orientierten Maßnahme.
Daraus lassen sich mehrere
Möglichkeiten für eine Tarifpreisanhebung zum 01.08.2023 abbilden, von denen
hier einige aufgeführt sind:
·
Eine Steigerung um 2,15 % umfasst den
vertraglichen Basiswert. Eine Einigung auf diesen Wert bedeutet eine
voraussichtlich deutliche höhere inflationsorientierte Tarifsteigerung in 2024
(voraussichtlich höher als 7 %).
·
Mit einer Steigerung um bis zu 3,5 % wird ein
höherer Wert angesetzt, der den Forderungen der eigenwirtschaftlichen
Verkehrsunternehmen entgegenkommt. Die Differenz zu dem Basiswert (etwa 3,5 %
zu 2,15 %) in entsprechender Höhe wird im folgendem Tarifjahr 2024 eingerechnet
und den dann erwarteten starken Preisanstieg um die gleiche Spanne verringern.
·
Eine Steigerung um durchschnittlich bis zu 5 %
kommt den Forderungen der eigenwirtschaftlichen Verkehrsunternehmen nahe und
verspricht die höchste Ergiebigkeit.
·
Bei einer „0-Runde“ (keine Tarifpreisanpassung)
in 2023 müssen nach heutiger Regelung die nicht erzielten Mehreinnahmen in Höhe
von rd. 4,5 Mio. € (gegenüber der Basissteigerung von 2,15 %) ausgeglichen
werden – und zwar für jedes kommende Jahr, in dem diese Anpassung nicht
erfolgt.
Aus Sicht der Verwaltungen der
einnahmeverantwortlichen Aufgabenträger ist eine Tarifanpassung zum 01.08.2023
in Höhe von bis zu 3,5 % vertretbar. Sie kommt den nachvollziehbaren Interessen
der Verkehrsunternehmen entgegen, trägt zur Sicherung der Bestandsverkehre bei
und reduziert eine absehbar hohe Kostensteigerung im Jahr 2024. Eine Steigerung
in dieser Höhe würde voraussichtlich auch auf eine Akzeptanz bei den
Kunden/Fahrgästen treffen, da sie unter der aktuellen Kostensteigerung für
Verbrauchsgüter liegt.
Zuständigkeit für die Entscheidung
Für die Entscheidung
ist der Kreistag zuständig (§ 26 Abs. 1 KrO NRW).