Beschlussvorschlag
der Verwaltung:
Der aktuelle Sachstand zur Barrierefreiheit und den Informationen in leichter Sprache wird zur Kenntnis genommen.
I. Sachdarstellung
Gesetzliche
Grundlagen zur Barrierefreiheit von Internetseiten/Printmedien bei Behörden
Um Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen den Zugang
zu Internetseiten, vor allem von öffentlichen Stellen des Staates, zu vereinfachen,
gibt es verschiedene gesetzliche Ansätze.
Maßgebend ist vor allem die EU-Richtlinie 2016/2102 des
Europäischen Parlamentes und des Rates. Diese Richtlinie soll dafür sorgen,
dass Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen vor allem für
Menschen mit Behinderungen besser zugänglich werden. Hierfür sollen Websites
und mobile Anwendungen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust
gestaltet werden (Artikel 4).
Öffentliche Stellen müssen außerdem gem. Artikel 7 regelmäßig eine detaillierte
Erklärung zur Barrierefreiheit abgeben, in denen unter anderem Folgendes
dargestellt wird:
·
Erläuterung nicht barrierefrei
zugänglicher Elemente sowie barrierefreie Alternativen
·
Beschreibung, wie Mängel der
Barrierefreiheit gemeldet oder weiterreichende Informationen angefragt werden
können
·
Verlinkung zu einem
Beschwerdemechanismus
Die unterzeichnenden Mitgliedsstaaten müssen
die Richtlinie gem. Art. 12 in nationales Recht umsetzen, können dabei aber
auch Rechtsvorschriften erlassen, die über die Mindestvoraussetzungen der
Richtlinie hinausgehen.
In Deutschland wurde die Richtlinie vor allem
im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) auf Bundesebene und auch durch
gleichlautende Gesetze auf Länderebene umgesetzt.
In § 10 bis § 10e BGG NRW wird die barrierefreie
Informationstechnik für Internetseiten öffentlicher Stellen des Landes näher
ausgeführt. So wird in § 10b BGG NRW der Inhalt der oben genannten Erklärung
zur Barrierefreiheit geregelt. Außerdem wird die Einhaltung der Anforderungen
an die Barrierefreiheit von Websites und mobilen Anwendungen durch eine
eingerichtete Stelle gem. § 10c BGG NRW überwacht. Ergänzend können genauere
Anforderungen auch gem. § 10e BGG durch Verordnungen gestellt werden.
Hier gibt es die „Verordnung zur Schaffung
barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz
2.0“ (BITV) als Bundes- wie auch als Landesverordnung. Es wird unter anderem in
§ 4 BITV (Bund) und § 3 Abs. 2 BITV NRW vorgeschrieben, dass auf der Startseite
einer Website Informationen zu den wesentlichen Inhalten, Hinweise auf weitere
in diesem Auftritt vorhandene Informationen in Deutscher Gebärdensprache und in
Leichter Sprache (falls vorhanden) und Erläuterungen der Barrierefreiheit (nur
BITV Bund) in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache bereit zu
stellen sind.
Alle diese Richtlinien, Gesetze oder Verordnungen beziehen sich jedoch auf
digitale Systeme. So werden z. B. in § 2 BITV Bund aufgelistet:
·
Websites
·
mobile Anwendungen
·
elektronisch unterstützte
Verwaltungsabläufe, einschließlich der Verfahren zur elektronischen
Vorgangsbearbeitung und elektronischen Aktenführung
·
grafische Programmoberflächen
Hiervon sind also allein digitale Medien
umfasst, keine Printmedien wie Broschüren. Lediglich bei der Gestaltung von schriftlichen
Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen, Vordrucken
und amtlichen Informationen wird gem. § 9 BGG auf die Leichte Sprache auch bei
nicht-digitalen Medien Bezug genommen.
Außerdem werden durch diese Gesetze oder Verordnungen
grds. nur öffentliche Stellen zu barrierefreiem Zugang zu Internetseiten
verpflichtet.
Etwas Anderes ergibt sich aus dem
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, welches für verschiedene Produkte und
Dienstleistungen barrierefreie Maßnahmen vorschreibt. Doch auch hier sind gem.
§ 1 Abs. 2 lediglich digitale Systeme umfasst.
Allein in der UN-Behindertenrechtskonvention
werden auch andere Arten der Kommunikation oder Informationsbeschaffung mit
einbezogen. So heißt es in Art. 21, dass Menschen mit Behinderungen
Informationen rechtzeitig und ohne zusätzliche Kosten in zugänglichen Formaten
und Technologien zur Verfügung haben müssen. Hier wird nicht konkret nur auf
digitale Informationssysteme Bezug genommen. Ob hieraus ein Anspruch auch auf
barrierefreie Printmedien besteht ist fraglich, vor allem da im nationalen
Aktionsplan zur Umsetzung der Konvention auch keine genaueren Ausführungen dazu
vorhanden sind.
Im digitalen Bereich (Websites, Apps etc.)
gibt es zahlreiche Anforderungen hinsichtlich der Bereitstellung von
barrierefreien Angeboten. Die insgesamt 98 Anforderungen ergeben sich aus den
internationalen Richtlinien der WCAG 2.1 (Web Content Accesssibility
Guidelines) des W3C (Word Wide Web Consortium) und der darauf basierenden EN
301 549 zur EU-Richtlinie 2016/2102 (siehe z. B. BIK BITV-Test | Verzeichnis der Prüfschritte (bitvtest.de) oder Prüfschritte BITV-Test / EN 301 549 (Web) | BIK BITV-Test
Ergebnisse und Methodik | BIK BITV-Test (bitvtest.de)).
Im Printbereich können Flyer, Broschüren etc. zusätzlich in der einfachen oder
leichten Sprache umgesetzt werden – auch Angebote in Fremdsprachen können
Barrieren abbauen.
Website
(Abt. 11):
Die auf dem Content-Management-System (CMS)
TYPO3 basierenden Internetangebote des Kreises Coesfeld wurden bereits in der
Vergangenheit mit Blick auf Barrierefreiheit nach der BITV konzipiert, so dass
man aktuell von “Barrierearmut“ sprechen kann.
Diese Internetpräsenz(en) sollen im aktuellen
Jahr nun einen umfassenden technischen und grafischen Relaunch erfahren. Dabei
ist die Barrierefreiheit nach BITV ein wichtiger Faktor und steht deshalb auf
der Liste der Auswahlkriterien für eine Agentur an erster Stelle. Dabei stehen
auch Leichte Sprache und Gebärdensprache-Videos im Fokus. Das entsprechende
Verfahren zur Vergabe wurde in Gang gesetzt.
Aktuell werden erste Vorgespräche mit
ausgewählten Agenturen geführt, die allesamt in der Liste empfehlenswerter
Agenturen des BIK BITV-Test stehen (BIK BITV-Test | Empfehlenswerte Agenturen
(bitvtest.de)).
Der Relaunch soll einmalig den technischen Rahmen für weitestgehend barrierefreie
Websites schaffen. Darüber hinaus müssen die Regelungen der Barrierefreiheit
nach BITV aber auch laufend bei der
Pflege von Inhalten berücksichtigt werden (inhaltliche Redaktion von
Seiten/News aber auch Dokumente zum Download, z. B. PDF-Dateien). Das wiederum
erfordert mindestens eine Sensibilisierung und Schulung der die Inhalte
pflegenden Mitarbeitenden.
Insbesondere die zum Download angebotenen
Dokumente werden i. d. R. aus der „normalen“ Sachbearbeitung zur Verfügung
gestellt, so dass im Hinblick auf die Erstellung barrierefreier Dokumente schon
hier anzusetzen wäre. Im Prinzip müssten alle Mitarbeitenden der
Kreisverwaltung diesbezüglich sensibilisiert und geschult werden. Das könnte
schließlich sogar den Effekt haben, dass auch Dokumente, die nicht per Website
zum Download angeboten, sondern z. B. per E-Mail elektronisch versendet werden,
barrierefrei(er) werden.
Sonderprojekt
Kreistags-Informations-System im Internet (KIS Gremieninfo)
Im Zuge der Konstituierung des
Teilhabebeirates wurde bereits festgestellt, dass derzeit die über die beim
Kreis Coesfeld eingesetzte Sitzungsdienst-Software Session generierten und über
die Webanwendung KIS Gremieninfo zur Verfügung gestellte Dokumente den
Anforderungen der Barrierefreiheit nicht entsprechen. Hier wurde die
Hersteller-Firma Somacos kontaktiert und um Unterstützung bei der Optimierung
der Dokumenterstellung gebeten.
Außerdem wurde ein interkommunaler
Erfahrungsaustausch mit den Nachbarkreisen sowie im KGSt-Vergleichsring
hinsichtlich des Umgangs mit digitaler Barrierefreiheit (allgemein und
Sitzungsdienst speziell) gestartet. Das Ergebnis dieser Umfrage steht noch aus.
Printprodukte (Abt. 01):
Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (FD
01.3) ist zuständig für die Information der Bürgerinnen und Bürger in vielen
verschiedenen Aufgabenbereichen.
Zu einem dieser Aufgabenbereiche gehört die
Herausgabe von Printmedien für die Abteilungen der ganzen Kreisverwaltung nach
einem vorgegebenen CorporateDesign, für den Inhalt ist die jeweilige
Fachabteilung verantwortlich.
So wurden im Jahre 2019 (vor der Corona-Pandemie)
insgesamt 165 Druckprodukte (Broschüren, Flyer, Plakate, etc.) erstellt und
herausgegeben. In den letzten Jahren waren es durchschnittlich 120 Printmedien
mit einer Auflagenhöhe von insgesamt ca. 150.000 Exemplaren.
In der Vergangenheit wurden Printprodukte bei
Bedarf und auf Wunsch der Abteilungen in mehreren Sprachen und auch in
„vereinfachter“ Sprache herausgegeben. Betroffen waren hier meist
Veröffentlichungen des Jugendamtes, des Kommunalen Integrationszentrums und der
Abteilung Schule, Bildung und Kultur. Eine mit dem Siegel „Leichte Sprache“
lizenzierte Veröffentlichung hat es bisher nicht gegeben.
Im Kulturbereich wurden folgende sprachliche
Maßnahmen im Hinblick auf eine barrierefreie Nutzung der Burg Vischering
bereits umgesetzt:
·
Flyer zur Burg
Vischering in „Leichte Sprache“
·
Führungen in “Leichte
Sprache“
·
Führung für
Blinde und sehbehinderte Menschen (Start 2023)
·
5 Hörverstärker
für Menschen mit Hörbehinderung (Führung mit Gebärdensprachdolmetscher wurde
angeboten, es gab dafür jedoch keinen Bedarf)
·
Individuelle
Freizeitangebote für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen
·
Internetseite
Burg Vischering: genaue Wegebeschreibung mit Fotos und Lageplan für Menschen
mit Behinderung.
Im Bereich der einfachen / vereinfachten
Sprache gibt es kein vorgeschriebenes Regelwerk, sondern es versteht sich als
Umsetzung nach gewissen Richtlinien.
Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit
und Soziales NRW hat im Jahr 2019 auf die Agentur Barrierefreiheit NRW
verwiesen. Dort wird die Umsetzung unter Verwendung eines Logos oder
Qualitätssiegels nach den Regeln der „Leichten Sprache“ empfohlen. Beispielhaft
sind hier das Europäische Logo von Inclusion Europe (https://www.inclusion-europe.eu/easy-to-read/) oder das Logo des Netzwerks Leichte Sprache (https://www.leichte-sprache.org/)
genannt, die bestimmten Qualitätsregeln unterliegen. Der Text wird dazu u.a. von
mehreren Menschen mit Lernschwierigkeiten geprüft. Bei der Leichten Sprache
wird zusätzlich mit selbsterklärenden Bildern oder Piktogrammen gearbeitet.
Aktuell wird seit 2020 auch die DIN SPEC 33429 „Empfehlungen für
Deutsche Leichte Sprache“ von einem durch das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales gefördertes Projekt erarbeitet. Darin sollen sowohl sprachliche
Empfehlungen für Texte in Leichter Sprache als auch eine Beschreibung des
Prozesses zum Erstellen von Texten sowie Qualifikationen der Prozessbeteiligten
enthalten sein. Die DIN SPEC soll voraussichtlich im Herbst 2023 veröffentlicht
werden.
Inwieweit digitale Tools eine zeitnahe Umsetzung fördern können,
bedarf noch einer ergänzenden Prüfung. Diese gilt auch hinsichtlich möglicher
Kosten für Softwarelösungen.
Ferner ist die weitere Umsetzung der leichten bzw. einfachen
Sprache bei den Printmedien voranzubringen. Der Bestand an Print-Produkten zu
Standardinformationen, die dauerhaft vorgehalten werden und selten eine
grundsätzliche Änderung erfahren, werden hinsichtlich einer Dringlichkeit zur
Umsetzung in leichte Sprache priorisiert und ggf. unter Hinzuziehung Dritter
umgestaltet.
Die Agentur für Barrierefreiheit schreibt in ihren Empfehlungen
zur Einführung der leichten Sprache für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit
folgendes:
Richten sich Informationen explizit an
eine Fachöffentlichkeit (z. B. Fachleute, Presse, Teilnehmende einer
Fachveranstaltung), die eine Fachsprache beherrscht und diese zum Diskurs
benötigt, brauchen in der Regel keine zusätzlichen Textangebote in Leichter
Sprache strukturell vorgehalten werden.
Öffentliche Informationen, die sich
speziell und ausschließlich an Menschen aus dem primären Adressatenkreis
Leichter Sprache richten, sollten dagegen stets mittels Leichter
Sprache strukturell zugänglich gemacht
werden (z. B. Werbeflyer für eine Museumsführung in Leichter Sprache).
Weiter ist dort zum Umfang des Angebotes folgendes erklärt:
Im Einklang mit dem BGG NRW ist daher
zu empfehlen, dass Träger öffentlicher Belange zu allen für den Adressatenkreis
wichtigen Dokumenten nach und nach ergänzende Informationen in Leichter Sprache
entwickeln. Bei der Entscheidung, mit welchen Dokumenten begonnen wird, könnten
z. B. die folgenden Fragen als Anhaltspunkte dienen:
·
Welche
Leistungen sind für den primären Adressatenkreis von besonderer Relevanz?
·
Wo
gibt es besonders hohe Zugriffzahlen auf bestehende (standardsprachliche)
Informationsangebote?
·
Wo
gibt es eine hohe Zahl von Nachfragen, falsch ausgefüllten Anträgen,
ausbleibenden Antworten auf Briefe oder Beschwerden zu einem Thema?
Ebenso sollten
Selbstvertretungsverbände und die Zielgruppe selbst befragt werden, welche
Informationen sie am dringendsten wünschen. Im Sinne einer angemessenen
Vorkehrung sollten auf allen Dokumenten, insbesondere dort, wo noch keine ergänzenden
Informationen in Leichter Sprache vorliegen, möglichst transparent
Kontaktmöglichkeiten für Rückfragen angeboten werden.
Wie bereits auch im Vorstehenden angeführt, ist eine
Sensibilisierung der Mitarbeitenden ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur barrierearmen
Kommunikation, da so eine umfassende Wirkung erzielt wird. Die Sensibilisierung
der Mitarbeitenden für das Handlungsfeld der Barrierefreiheit und Leichten
Sprache soll in den nächsten Wochen und Monaten, ggfls. mit externer
Unterstützung, erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Führungskräfte, aber
auch die Beschäftigten, die Aufgaben rund um den Sitzungsdienst erledigen
(Erstellen von Vorlagen, Schriftführung etc.)
Anmerkung der Verwaltung vom 04.04.2023:
Der Antrag der Kreistagsfraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vom 20.02.2023
wurde dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Senioren und Gesundheit in seiner
Sitzung vom 07.03.2023 sowie dem Ausschuss für Finanzen, Wirtschaftsförderung
und Digitalisierung in seiner Sitzung vom 20.03.2023 vorgelegt.
Der Ausschuss für Arbeit, Soziales, Senioren und Gesundheit nahm
diesen zur Kenntnis. Der Ausschuss für Finanzen, Wirtschaftsförderung und
Digitalisierung lehnte den Antrag der Kreistagsfraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
mehrheitlich ab.
II. Entscheidungsalternativen
keine
III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, Klima)
Der mit Fortbildungsveranstaltungen unter Mithilfe von Dritten
entstehende Aufwand ist hierfür vorzusehen, der auf ca. 30.000 € geschätzt
wird.
Im Falle einer Beauftragung Dritter für die „Übersetzung“ von
Kommunikation entsteht Aufwand, der entweder in den jeweils betroffenen
Abteilungen oder zentral bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu
veranschlagen und zu tragen ist.
IV. Zuständigkeit für die Entscheidung
Der Landrat ist für die Geschäfte der laufenden Verwaltung
zuständig.