Betreff
Sprachmittlerpool des Kommunalen Integrationszentrums – Einschränkungen im Gesundheitsbereich
Vorlage
SV-10-0897
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Ohne

 

Der Bericht der Verwaltung wird zur Kenntnis genommen.

 

 

 

I - IV

 

Mit Schreiben vom 08.03.23 (Anlage) hat die Verwaltung mitgeteilt, dass ab dem 01.04.2023 keine Vermittlung von Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern des Kommunalen Integrationszentrums im Gesundheitsbereich (insbesondere bei Arzt- und Krankenhausbesuchen) mehr möglich ist.

In der Ausschusssitzung am 23.05.23 soll es die Gelegenheit geben, das Thema und die Gründe für diese Entscheidung zu diskutieren.

Zur Vorbereitung der Sitzung hat die Verwaltung einige Informationen zusammengetragen, die für die Entscheidung von Bedeutung waren.

 

 

Richtlinien des Landes NRW und Einsatz von Kreismitteln

 

Die Richtlinien des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (MGJFGFI) zum (Laien-)Sprachmittlerpool wurden Ende 2022 konkretisiert. Eine Förderung von Einsätzen im Gesundheitsbereich ist demnach grundsätzlich ausgeschlossen (Ausnahmen: Informationsveranstaltungen, Schuleingangsuntersuchungen). Die Kosten im Gesundheitsbereich müssen aus diesem Grund zu nahezu 100 % aus Kreismitteln getragen werden. In sehr begrenztem Umfang (max. 3.500 € jährlich) können die Fördermittel für professionelle Dolmetscher/innen, ggf. auch im Gesundheitsbereich, eingesetzt werden. Angesichts der erheblichen Mehrkosten, die für den Sprachmittlerpool entstehen (s.u.), ist diese Summe jedoch unerheblich.

 

Hinweis: Bei der Interpretation der aktualisierten Richtlinien des MKJFGFI kam es zu Irritationen. Lt. Aussage des Ministeriums seien Einsätze im Gesundheitsbereich bereits zuvor nicht von der Richtlinie erfasst gewesen. Die Fördermittel werden daher auch rückwirkend für das Haushaltsjahr 2022 und zukünftig nicht für Einsätze im Gesundheitsbereich eingesetzt.

 

Zuständigkeit / politischer Diskurs

 

Aktuell gelten Dolmetscherkosten nicht als Leistungen der Krankenkassen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 23.1.2018, L 4 KR 147/14).

 

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist jedoch folgendes geregelt:

„Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen wird im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V“ (Koalitionsvertrag, S.84).

 

Dies zeigt die politische Absicht der Bundesregierung, Dolmetscherkosten im Kontext von medizinischen Behandlungen als Teil der Gesundheitsleistungen anzuerkennen und diese Kosten nicht dem Integrationsbereich aufzubürden. Nach neuen mündlichen Informationen aus dem MGJFGFI sollen hier nun konkrete Änderungen im SGB V eingeleitet worden sein.

 

Nachrangigkeit des Sprachmittlerpools

 

Der Sprachmittlerpool des Kommunalen Integrationszentrums ist eine freiwillige Leistung des Kreises Coesfeld und damit nachrangig zu ggf. vorhandenen gesetzlichen Pflichtleistungen zu erbringen. Ein Anspruch auf Vermittlung besteht nicht. Generell ist die Übernahme von Dolmetscherkosten aktuell nur in wenigen Fällen als gesetzliche Pflichtleistung normiert und/oder wird von anderen Institutionen als freiwillige Leistung erbracht.

Die Sozialgesetzbücher enthalten i.d.R. keine expliziten Regelungen zur Übernahme von Dolmetscherkosten. § 19 SGB X (Amtssprache) legt lediglich den Anspruch auf Kostenübernahme für Kommunikationshilfen für Menschen mit Hör- oder Sprachbehinderungen fest.  Auch im Kontext KiTa und Schule gibt es keine gesetzlichen Kostenträger. In einigen Sonderfällen ist die Übernahme der Kosten bzw. die direkte Vermittlung durch andere Institutionen möglich:

 

-          SGB II: Die Agenturen für Arbeit halten eine landesweite Telefondolmetscherhotline vor. Dies ist in einer internen Dienstanweisung entsprechend geregelt. Es handelt sich um eine interne Lösung der Agentur für Arbeit, auf die die örtlichen Jobcenter nicht zugreifen können,

-          AsylblG: ggf. Ermessensleistung des Sozialamtes über § 6 Abs. 1 AsylblG „Sonstige Leistungen“ in Ausnahmefällen, z.B. bei psychotherapeutischer Behandlung,

-          SGB VIII: Bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern erfolgt eine Kostenerstattung für Dolmetscherdienste über das Landesjugendamt,

-          SGB VIII: Für die Frühen Hilfen wurde ein Telefon-Dolmetsch-Dienst eingerichtet,

-          vor Gericht werden Dolmetscher/innen entsprechend des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes bezahlt,

-          das BAMF stellt Dolmetscher/innen für das Asylverfahren.

 

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Rechtssicherheit

 

Beim Einsatz von ehrenamtlichen Sprachmittler/innen ist die Rechtssicherheit der Übersetzung nicht gewährleistet. Dies birgt insbesondere im Gesundheitsbereich Risiken für Patient/innen und für die Sprachmittler/innen selbst (mögliche Regressforderungen). Dies wurde auch vom MKJFGFI als wichtiger Grund dafür angeführt, dass Einsätze im Gesundheitsbereich nicht förderfähig sind.  Grundsätzlich muss diese Rechtsauffassung auch für die Förderung ehrenamtlicher Sprachmittler mit Kreismitteln gelten.

 

 

 

Haushalt

 

Der Haushaltsansatz für den Sprachmittlerpool des KI beträgt für das Jahr 2023 150.000 € (100.000 € Kreismittel, 50.000 € Fördermittel). Die tatsächlichen Kosten betrugen allein im Januar ca. 25.000 € Demnach ergäbe sich eine Prognose für 2023 i.H.v. 300.000 €.  Der ausschließliche rechtssichere Einsatz von professionellen Sprachmittlern im Gesundheitsbereich würde diese Summe nochmals in sehr starkem Maße steigern.

Die Einhaltung des Haushaltsansatzes ist nur durch Einschränkungen möglich. Mögliche Mehrausgaben können – anders als in den Vorjahren -  nicht durch Einsparungen oder den Einsatz von Fremdmitteln aufgefangen werden. Insbesondere weitere Landesmittel, wie vormals die Integrationspauschale (Verwendung bis 30.11.22) stehen hierfür nicht mehr zur Verfügung.

Vom MKJFGFI wurde die Neuauflage der Förderung für Übersetzungsleistungen im Kontext „Kommunales Integrationsmanagement - KIM“ angekündigt. Die Förderhöhe soll 20.000 € betragen (Vorjahr 30.000 €).

Bisher können die Mittel noch nicht beantragt werden und es gibt auch noch keine Details zu den Nutzungsmöglichkeiten. Im vergangenen Jahr war der Einsatz der Fördermittel für Nutzer/innen von KIM vorgesehen und konnte sowohl für notwendige Beratungsgespräche, als auch für schriftliche Übersetzungen (Zeugnisse, Lebensläufe etc.) eingesetzt werden. Aufgrund der begrenzten Förderhöhe und der voraussichtlich eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten (nur Personen im KIM Case Management) stellt diese Förderung keine Alternative für die Finanzierung von Dolmetscherleistungen im Gesundheitsbereich dar.

 

 

Personal

 

Insgesamt sind bisher nahezu drei Vollzeitstellen mit der Umsetzung des Sprachmittlerpools beschäftigt. Vorgesehen ist grundsätzlich eine Vollzeitstelle. Die sozialpädagogischen Fachkräfte sind durch die Arbeitsbelastung im Sprachmittlerpool nicht in der Lage, die für sie eigentlich vorgesehenen Aufgaben adäquat wahrzunehmen.

 

 

Entwicklung der Einsatzzahlen im Sprachmittlerpool

 

Die Folgen des Krieges gegen die Ukraine und die Beendigung der pandemiebedingten Einschränkungen haben zu einer unerwartet hohen Inanspruchnahme des Sprachmittlerpools geführt. Insgesamt wurden im Jahr 2022 3.306 Einsätze angefragt (2021: 1.318). Dies führte zu einer erheblichen finanziellen und personellen Mehrbelastung im KI.

Der Anstieg der Einsatzzahlen setzte sich bis einschließlich März 2023 unverändert fort:

* Hochrechnung

 

 

Konsequenzen in der Praxis

 

Fallbeispiele:

 

Keine Einsatzmöglichkeit:

 

-          sämtliche Arzt- und Krankenhausbesuche

-          amtsärztliche Untersuchungen (außer Schuleingangsuntersuchungen)

 

Einsatzmöglichkeit:

 

-          AOSF-Verfahren (ausschließlich zum Verfahren gehörende Termine, keine klinischen Nachbesprechungen o.ä.) – Kostenübernahme aus Kreismitteln!

 

-          Eingliederungshilfe, z.B.:

o   Frühförderstelle Haus Hall

o   Autismusambulanz

 

-          Termine im Kontext Schule, z.B.:

o   Schuleingangsuntersuchungen

o   schulpsychologische Beratungsstelle

 

-          Allgemeine Informationsveranstaltungen zu gesundheitlichen Themen