Beschlussvorschlag:
Resolution des Kreistages im Kreis Coesfeld zum Erhalt bewährter Strukturen im Bereich des SGB II.
Die Bundesregierung und der Bundestag werden aufgefordert, von der ab dem Jahr 2025 geplanten Verlagerung der Arbeitsförderung für bürgergeldbeziehende junge Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit Abstand zu nehmen.
I. Sachdarstellung
Mit dem
Kabinettsbeschluss vom 05.07.2023 hat der Bund das parlamentarische Verfahren
zum Bundeshaushalt 2024 gestartet. Erwartungsgemäß ist der Bund nachvollziehbar
gehalten, Einsparungen vorzunehmen. Am 16.08.2023 wurde dann vom Bundeskabinett
der Kabinettsentwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes beschlossen, welches
für die Jahre ab 2024 erhebliche Einsparungen im Bereich des Bürgergeldes (SGB
II) vorsieht.
Bereits 2024
sollen die Haushaltsansätze der Titel für Eingliederung und Verwaltungskosten
um 500 Mio. € sinken. Ab dem Jahr 2025 sollen dann mit einer Übertragung der
Arbeitsförderung junger Menschen unter 25 Jahren in die Zuständigkeit der
Bundesagentur für Arbeit und dem Wechsel zum SGB III weitere 900 Mio. €
eingespart werden.
Da diese Entwicklungen
hier mit großer Sorge betrachtet werden, hat der Landrat bereits mit einem
Schreiben an die Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus dem Kreis Coesfeld,
an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und Träger von Bildungsmaßnahmen
sowie auch an die Fraktionen des Kreistages auf die zu erwartenden Auswirkungen
dieser Überlegungen insgesamt, aber auch mit dem speziellen Blick auf den Kreis
Coesfeld, aufmerksam gemacht.
Aus den
nachfolgenden Gründen fordert der Kreistag des Kreises Coesfeld die Bundesregierung
und den Bundestag mit dieser Resolution dazu auf, von der ab dem Jahr 2025
geplanten Verlagerung der Arbeitsförderung für bürgergeldbeziehende junge
Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit
Abstand zu nehmen:
a)
Verlust
etablierter Betreuungsstrukturen insbesondere für junge Menschen mit komplexen
Problemlagen
Seit 2005 sind
die Verantwortlichkeiten für den Personenkreis der unter 25-jährigen zwischen
den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit klar geregelt. Während die
Bundesagentur für Arbeit ihren Fokus klar auf Berufsberatung und die
Vermittlung junger, arbeitsmarktnaher Menschen (ohne SGB II-Bezug) legt, sind
die Jobcenter vorrangig zuständig für junge Menschen, deren Weg in Arbeit
(möglichst mit entsprechender Qualifizierung) länger dauert. Herausfordernde
Multiproblemlagen sind bei einem Großteil der im Bürgergeld befindlichen jungen
Menschen vorzufinden, seien es Sucht- oder Schuldenproblematiken oder auch
(drohende) Wohnungslosigkeit. Oft sind auch psychosoziale Probleme vorhanden.
Am Beginn einer Begleitung sind viele junge Menschen, die in den Jobcentern
betreut werden, von einer Ausbildungsreife weit entfernt. Es darf in diesem
Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass gerade im Jobcenter eine Vielzahl
der zu betreuenden Menschen eine Flucht-, bzw. Einwanderungsgeschichte haben.
Im SGB II stehen hierfür dann besonders zugeschnittene Instrumente zur
Verfügung, wie die Förderung schwer zu erreichender junger Menschen nach § 16 h
SGB II oder auch die gerade erst im § 16 k Abs. 2 SGB II neu ins Gesetz
aufgenommene ganzheitliche Betreuung für junge Menschen zur Heranführung an
eine oder zur Begleitung während einer Ausbildung.
Im Kreis Coesfeld
wird vom Jobcenter über § 16 h SGB II seit Jahren mit einem Träger das Projekt
„Return“ (Nachfolger von „Respekt“) erfolgreich umgesetzt. Hierüber wird eine
Vielzahl junger Menschen sehr niedrigschwellig erreicht.
Durch die
langjährige Erfahrung der Jobcenter in der Arbeit mit jungen Menschen, die
häufig multiproblembehaftet sind, haben sich hierfür spezielle Betreuungs-,
Beratungs- und Förderstrukturen etabliert. Das Personal in den Jobcentern ist
besonders geschult und hat Erfahrung im Umgang mit der Zielgruppe. Es ist zu
erwarten, dass für viele Jugendliche und junge Erwachsene durch den Aufbau
komplett neuer Strukturen die Vertrauensbasis einer zumeist langen
Zusammenarbeit verloren geht. In vielen Fällen ist es auch von besonderer
Bedeutung, in einer ganzheitlichen Beratung die Situation einer gesamten
Bedarfsgemeinschaft zu kennen und im Eingliederungsprozess zu berücksichtigen.
Ein Systemwechsel kann daher auch zu neuen Spannungsfeldern führen, deren
gesamtgesellschaftspolitischen Auswirkungen gravierend sind. Soziale
Brennpunkte werden verstärkt oder gar neu geschaffen.
b)
Verlust
vernetzter Strukturen und kommunaler Stärken
Im Kreis Coesfeld
arbeiten die Akteure vor Ort schon traditionell gut zusammen und stimmen sich
ab. Besonders zum Ausdruck gebracht wird dies im „Netzwerk
Chancengerechtigkeit“, in dem die Akteure überkommunal und
rechtskreisübergreifend mit dem Ziel zusammenarbeiten,
Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und hierzu einen
niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen. Das „Netzwerk Chancengerechtigkeit“
nimmt junge Menschen dabei schon ab der Geburt in den Blick.
Als zugelassener
kommunaler Träger ist das Jobcenter des Kreises Coesfeld darüber hinaus eng
vernetzt mit der Jugendhilfe, der Kommunalen Koordinierungsstelle KAoA, den
berufsbildenden Schulen und besonders auch mit dem Case-Management des
Kommunalen Integrationszentrums (KI). Mitarbeitende des Jobcenters befinden
sich in allen Rathäusern, sodass auch zu den Asylbewerberleistungsstellen und
den Wohngeldstellen sowie den allgemeinbildenden Schulen eine enge Verzahnung
besteht. Auch zur Agentur für Arbeit gibt es natürlich einen guten Kontakt.
Insbesondere von
der sehr guten Vernetzung im kommunalen Bereich profitieren auch junge Menschen
in der Betreuung der Jobcenter, z.B. bei den vielfältigen Schnittstellen zur
Jugendhilfe.
Die Kooperation
zwischen dem Fallmanagement im SGB II und Kommunalen Integrationszentrum des
Kreises Coesfeld mit dem dort angesiedelten Case-Management wird aktuell sogar
für eine noch bessere Betreuung der großen Vielzahl von Menschen mit
Einwanderungsgeschichte im Kreis Coesfeld verstärkt. Durch die enge Abstimmung
der Strukturen wird für die Leistungsbeziehenden eine Rollenklarheit und hohe
Transparenz geschaffen.
Der Aufbau von
verlässlichen, guten Strukturen und Netzwerken für die oft von der Gesellschaft
abgehängten jungen Menschen dauert Jahre und hat sich bei den Jobcentern
etabliert. Bei einem Wechsel der Zuständigkeiten ist es nicht möglich, solche
Netzwerke ohne Verluste fortzuführen, sodass zu befürchten ist, dass viele
Jugendliche und junge Erwachsene im Umstrukturierungsprozess „verloren gehen“.
c)
Einsparungen von
Steuergeldern zulasten der Beitragszahlungen von sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten
Neben fachlichen
Argumenten, die gegen eine Verlagerung der Betreuung Jugendlicher und junger
Menschen sprechen, wird auch die künftige Art der Finanzierung dieser
Betreuungsleistung kritisch gesehen. Die Verlagerung wird (zunächst) zu
Einsparungen bei den steuerfinanzierten SGB II-Leistungen führen, wobei die
Nachhaltigkeit der Einsparungen angezweifelt wird. Die finanzielle und
personelle Kompensation der Einsparungen erfolgt zumindest mittelfristig über
das beitragsfinanzierte System des SGB III. Auch mit etwaigen Rücklagen der
Agentur für Arbeit würde hier zur Überbrückung nur ein kurzfristiger
Einspareffekt erzielt, der ebenso und viel leichter durch eine Verlagerung der
Bundesmittel vom SGB III in das SGB II erreicht werden könnte, ohne bestehende
gute Strukturen zu zerstören und aufwendig neue Strukturen schaffen zu müssen.
Mit der Verlagerung
wird das System der Arbeitslosenversicherung insbesondere mit zusätzlichen
Leistungen für einen Personenkreis belastet, der im Regelfall (noch) keine
Beiträge hierzu geleistet hat. Das führt zumindest mittelfristig zu einer
höheren Belastung der sozialversicherungspflichtig beschäftigten
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, anstatt diese wichtige Aufgabe als
gesamtgesellschaftspolitische Aufgabe gleichermaßen auf alle Schultern zu
verteilen.
d)
Positionspapier
des Landkreistages Nordrhein-Westfalen (LKT NRW)
Der Kreistag des
Kreises Coesfeld schließt sich ausdrücklich auch den Inhalten des anliegend
beigefügten Positionspapiers des LKT NRW zu dem Thema an.
II. Entscheidungsalternativen
Die Resolution wird nicht beschlossen.
III. Auswirkungen /Zusammenhänge
(Finanzen, Personal, IT, Klima)
Keine.
IV. Zuständigkeit für die Entscheidung
Kreistag gem. § 26 KrO.