Betreff
Resolution zum Erhalt bewährter Strukturen im Bereich des SGB II; hier: Vom Bund geplanter Rechtskreiswechsel U 25 Betreuung vom SGB II (Jobcenter Kreis Coesfeld) zum SGB III (Agentur für Arbeit)
Vorlage
SV-10-1010
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Resolution des Kreistages im Kreis Coesfeld zum Erhalt bewährter Strukturen im Bereich des SGB II.

 

Die Bundesregierung und der Bundestag werden aufgefordert, von der ab dem Jahr 2025 geplanten Verlagerung der Arbeitsförderung für bürgergeldbeziehende junge Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit Abstand zu nehmen.

I. Sachdarstellung

 

Mit dem Kabinettsbeschluss vom 05.07.2023 hat der Bund das parlamentarische Verfahren zum Bundeshaushalt 2024 gestartet. Erwartungsgemäß ist der Bund nachvollziehbar gehalten, Einsparungen vorzunehmen. Am 16.08.2023 wurde dann vom Bundeskabinett der Kabinettsentwurf eines Haushaltsfinanzierungsgesetzes beschlossen, welches für die Jahre ab 2024 erhebliche Einsparungen im Bereich des Bürgergeldes (SGB II) vorsieht.

Bereits 2024 sollen die Haushaltsansätze der Titel für Eingliederung und Verwaltungskosten um 500 Mio. € sinken. Ab dem Jahr 2025 sollen dann mit einer Übertragung der Arbeitsförderung junger Menschen unter 25 Jahren in die Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit und dem Wechsel zum SGB III weitere 900 Mio. € eingespart werden.

Da diese Entwicklungen hier mit großer Sorge betrachtet werden, hat der Landrat bereits mit einem Schreiben an die Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus dem Kreis Coesfeld, an die Verbände der freien Wohlfahrtspflege und Träger von Bildungsmaßnahmen sowie auch an die Fraktionen des Kreistages auf die zu erwartenden Auswirkungen dieser Überlegungen insgesamt, aber auch mit dem speziellen Blick auf den Kreis Coesfeld, aufmerksam gemacht.

Aus den nachfolgenden Gründen fordert der Kreistag des Kreises Coesfeld die Bundesregierung und den Bundestag mit dieser Resolution dazu auf, von der ab dem Jahr 2025 geplanten Verlagerung der Arbeitsförderung für bürgergeldbeziehende junge Menschen unter 25 Jahren von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit Abstand zu nehmen:

 

a)      Verlust etablierter Betreuungsstrukturen insbesondere für junge Menschen mit komplexen Problemlagen

 

Seit 2005 sind die Verantwortlichkeiten für den Personenkreis der unter 25-jährigen zwischen den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit klar geregelt. Während die Bundesagentur für Arbeit ihren Fokus klar auf Berufsberatung und die Vermittlung junger, arbeitsmarktnaher Menschen (ohne SGB II-Bezug) legt, sind die Jobcenter vorrangig zuständig für junge Menschen, deren Weg in Arbeit (möglichst mit entsprechender Qualifizierung) länger dauert. Herausfordernde Multiproblemlagen sind bei einem Großteil der im Bürgergeld befindlichen jungen Menschen vorzufinden, seien es Sucht- oder Schuldenproblematiken oder auch (drohende) Wohnungslosigkeit. Oft sind auch psychosoziale Probleme vorhanden. Am Beginn einer Begleitung sind viele junge Menschen, die in den Jobcentern betreut werden, von einer Ausbildungsreife weit entfernt. Es darf in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen werden, dass gerade im Jobcenter eine Vielzahl der zu betreuenden Menschen eine Flucht-, bzw. Einwanderungsgeschichte haben. Im SGB II stehen hierfür dann besonders zugeschnittene Instrumente zur Verfügung, wie die Förderung schwer zu erreichender junger Menschen nach § 16 h SGB II oder auch die gerade erst im § 16 k Abs. 2 SGB II neu ins Gesetz aufgenommene ganzheitliche Betreuung für junge Menschen zur Heranführung an eine oder zur Begleitung während einer Ausbildung.

Im Kreis Coesfeld wird vom Jobcenter über § 16 h SGB II seit Jahren mit einem Träger das Projekt „Return“ (Nachfolger von „Respekt“) erfolgreich umgesetzt. Hierüber wird eine Vielzahl junger Menschen sehr niedrigschwellig erreicht.

Durch die langjährige Erfahrung der Jobcenter in der Arbeit mit jungen Menschen, die häufig multiproblembehaftet sind, haben sich hierfür spezielle Betreuungs-, Beratungs- und Förderstrukturen etabliert. Das Personal in den Jobcentern ist besonders geschult und hat Erfahrung im Umgang mit der Zielgruppe. Es ist zu erwarten, dass für viele Jugendliche und junge Erwachsene durch den Aufbau komplett neuer Strukturen die Vertrauensbasis einer zumeist langen Zusammenarbeit verloren geht. In vielen Fällen ist es auch von besonderer Bedeutung, in einer ganzheitlichen Beratung die Situation einer gesamten Bedarfsgemeinschaft zu kennen und im Eingliederungsprozess zu berücksichtigen. Ein Systemwechsel kann daher auch zu neuen Spannungsfeldern führen, deren gesamtgesellschaftspolitischen Auswirkungen gravierend sind. Soziale Brennpunkte werden verstärkt oder gar neu geschaffen.

 

b)      Verlust vernetzter Strukturen und kommunaler Stärken

 

Im Kreis Coesfeld arbeiten die Akteure vor Ort schon traditionell gut zusammen und stimmen sich ab. Besonders zum Ausdruck gebracht wird dies im „Netzwerk Chancengerechtigkeit“, in dem die Akteure überkommunal und rechtskreisübergreifend mit dem Ziel zusammenarbeiten, Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und hierzu einen niedrigschwelligen Zugang zu ermöglichen. Das „Netzwerk Chancengerechtigkeit“ nimmt junge Menschen dabei schon ab der Geburt in den Blick.

Als zugelassener kommunaler Träger ist das Jobcenter des Kreises Coesfeld darüber hinaus eng vernetzt mit der Jugendhilfe, der Kommunalen Koordinierungsstelle KAoA, den berufsbildenden Schulen und besonders auch mit dem Case-Management des Kommunalen Integrationszentrums (KI). Mitarbeitende des Jobcenters befinden sich in allen Rathäusern, sodass auch zu den Asylbewerberleistungsstellen und den Wohngeldstellen sowie den allgemeinbildenden Schulen eine enge Verzahnung besteht. Auch zur Agentur für Arbeit gibt es natürlich einen guten Kontakt.

Insbesondere von der sehr guten Vernetzung im kommunalen Bereich profitieren auch junge Menschen in der Betreuung der Jobcenter, z.B. bei den vielfältigen Schnittstellen zur Jugendhilfe.

Die Kooperation zwischen dem Fallmanagement im SGB II und Kommunalen Integrationszentrum des Kreises Coesfeld mit dem dort angesiedelten Case-Management wird aktuell sogar für eine noch bessere Betreuung der großen Vielzahl von Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Kreis Coesfeld verstärkt. Durch die enge Abstimmung der Strukturen wird für die Leistungsbeziehenden eine Rollenklarheit und hohe Transparenz geschaffen.

Der Aufbau von verlässlichen, guten Strukturen und Netzwerken für die oft von der Gesellschaft abgehängten jungen Menschen dauert Jahre und hat sich bei den Jobcentern etabliert. Bei einem Wechsel der Zuständigkeiten ist es nicht möglich, solche Netzwerke ohne Verluste fortzuführen, sodass zu befürchten ist, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene im Umstrukturierungsprozess „verloren gehen“.

 

c)       Einsparungen von Steuergeldern zulasten der Beitragszahlungen von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten

 

Neben fachlichen Argumenten, die gegen eine Verlagerung der Betreuung Jugendlicher und junger Menschen sprechen, wird auch die künftige Art der Finanzierung dieser Betreuungsleistung kritisch gesehen. Die Verlagerung wird (zunächst) zu Einsparungen bei den steuerfinanzierten SGB II-Leistungen führen, wobei die Nachhaltigkeit der Einsparungen angezweifelt wird. Die finanzielle und personelle Kompensation der Einsparungen erfolgt zumindest mittelfristig über das beitragsfinanzierte System des SGB III. Auch mit etwaigen Rücklagen der Agentur für Arbeit würde hier zur Überbrückung nur ein kurzfristiger Einspareffekt erzielt, der ebenso und viel leichter durch eine Verlagerung der Bundesmittel vom SGB III in das SGB II erreicht werden könnte, ohne bestehende gute Strukturen zu zerstören und aufwendig neue Strukturen schaffen zu müssen.

Mit der Verlagerung wird das System der Arbeitslosenversicherung insbesondere mit zusätzlichen Leistungen für einen Personenkreis belastet, der im Regelfall (noch) keine Beiträge hierzu geleistet hat. Das führt zumindest mittelfristig zu einer höheren Belastung der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, anstatt diese wichtige Aufgabe als gesamtgesellschaftspolitische Aufgabe gleichermaßen auf alle Schultern zu verteilen.

 

d)      Positionspapier des Landkreistages Nordrhein-Westfalen (LKT NRW)

 

Der Kreistag des Kreises Coesfeld schließt sich ausdrücklich auch den Inhalten des anliegend beigefügten Positionspapiers des LKT NRW zu dem Thema an.

 

II. Entscheidungsalternativen

 

Die Resolution wird nicht beschlossen.

 

III. Auswirkungen /Zusammenhänge (Finanzen, Personal, IT, Klima)

 

Keine.

 

IV. Zuständigkeit für die Entscheidung

 

Kreistag gem. § 26 KrO.