Beschlussvorschlag:

 

Der Beirat stimmt der Erteilung einer Befreiung vom Verbot des § 41 Abs. 1 Satz 2 Landesnaturschutzgesetz für die Beseitigung von 22 Bäumen der im Alleenkataster des Landes NRW unter der Kennung AL-COE-0048 „Linden- und Spitzahornallee an der Hülstener Straße“ geführten Allee zum Zwecke des Lückenschlusses der Südumgehung Dülmen zu.

 

Begründung:

 

Die Stadt Dülmen beabsichtigt die Errichtung einer neuen Verbindungsstraße zwischen der K27n (Lüdinghauser Straße) und der L551 (Halterner Straße) - der sogenannten Südumgehung. Bis auf den Lückenschluss an der Hülstener Straße ist diese Verbindung bereits fertiggestellt.

Die Stadt Dülmen hat mit dem Bebauungsplan Nr. 79/4 „Gausepatt“ in der Fassung der IV. Änderung die planungsrechtliche Grundlage für den Lückenschluss in der heute aktuellen Trassierung geschaffen. Die bereits 2006 in Kraft getretene II. Änderung des Bebauungsplans Nr. 79/4 mit einer etwas anderen Trassenvariante wurde nicht realisiert. Im Planaufstellungsverfahren für die IV. Änderung hatte die Stadt verschiedene Trassenvarianten untersucht und sich nach Abwägung aller Gesichtspunkte für die sog. Variante 1 entschieden. Die IV. Änderung wurde vom Rat am 14.12.2018 beschlossen und am 20.12.2018 in Kraft gesetzt. Ein Normenkontrollantrag wurde nicht gestellt und kann mittlerweile wegen Ablaufs der Antragsfrist auch nicht mehr gestellt werden.

Die Umsetzung des genannten Bebauungsplans erfordert die Fällung von Bäumen in der Allee an der Hülstener Straße. Zur Überwindung des entgegenstehenden Alleenschutzes hatte die Stadt bereits während des laufenden Planaufstellungsverfahrens mit Datum vom 09.11.2017 eine Befreiung vom Verbot des § 41 Abs. 1 Satz 2 LNatSchG NRW für die Beseitigung von 43 Alleebäumen beantragt. Die Befreiung wurde der Stadt Dülmen durch Bescheid vom 20.06.2018 erteilt.

Gegen diesen Bescheid hatte der Bund für Umwelt und Naturschutz Klage beim Verwaltungsgericht Münster eingereicht. Mit inzwischen rechtskräftig gewordenem Urteil vom 22.02.2023 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben (Az. 7 K 2224/18). Die Kammer sieht den Bescheid als rechtswidrig an, weil in dem Bescheid weder das Überwiegen von Gemeinwohlbelangen noch die Notwendigkeit der Befreiung unter Berücksichtigung etwaig vorliegender überwiegender Gemeinwohlbelange erkennbar ist. Ob ein atypischer Fall, der Wesensmerkmal jedweder Befreiung ist, bei einem oder jedenfalls diesem Straßenbau vorliegt, hat die Kammer in Zweifel gezogen, letztlich aber offen gelassen. Hinsichtlich der Notwendigkeit der Befreiung hat das Gericht verlangt, dass trotz bereits im Bebauungsplanverfahren von der Stadt durchgeführter Untersuchung der Trassenvarianten die untere Naturschutzbehörde eine eigene Prüfung der Trassenvarianten durchführt und diese Prüfung dokumentiert. Das sei nicht in ausreichendem Maße geschehen.

 

Mit Datum vom 29.09.2023 hat die Stadt Dülmen einen erneuten modifizierten Antrag auf Befreiung für die Beseitigung von nunmehr 22 Alleebäumen gestellt. Gegenüber der bisherigen Variante unterscheidet sich der Antrag im Wesentlichen durch einen weitgehenden Erhalt der nördlichen Baumreihe der hier stockenden Allee und einer dafür leicht geänderten Trassenführung. Die Stadt Dülmen hat vor Antragstellung alle diskutierten Trassenvarianten untersucht. Darunter befanden sich auch Varianten, bei der keine Bäume der Allee gefällt werden müssten. Sie schieden jedoch vor allem wegen der zweifelhaften Flächenverfügbarkeit und aus verkehrstechnischen Gründen aus.

Dem Antrag ist neben einer Erläuterung und Begründung des Antrages auch ein aktualisiertes Baumgutachten und eine ergänzende artenschutzrechtliche Untersuchung beigefügt.

 

Alleen an öffentlichen oder privaten Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen sind gesetzlich geschützt. Die Beseitigung von Alleen sowie alle Handlungen, die zu deren Zerstörung, Beschädigung oder nachteilige Veränderung führen können, sind verboten (§ 41 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LNatSchG NRW).

Die Fällung der 22 Alleebäume stellt einen Verstoß gegen dieses Verbot dar.

Von dem Verbot kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG).

 

Aufgrund der Betroffenheit einer Allee wurde auch gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 c) LNatSchG NRW eine Beteiligung der Naturschutzverbände durchgeführt.

Mit Schreiben vom 20.11.2023 hat das Landesbüro der Naturschutzverbände NRW eine ablehnende Stellungnahme zu dem Antrag auf Befreiung abgegeben. Es sei trotz Vorlage vermeintlich umfangreicher neuer Unterlagen und Argumente weiterhin nicht erkennbar, dass die Befreiungsvoraussetzungen des § 67 BNatSchG in Bezug auf Atypik, Überwiegen eines öffentlichen Interesses und Notwendigkeit vorliegen.

 

Abwägungsentscheidung:

Die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt voraus, dass öffentliche Interessen vorliegen, welche die naturschutzrechtlichen Belange überwiegen. Das öffentliche Interesse, das die Außerachtlassung naturschutzrechtlicher Ge- und Verbote rechtfertigen soll, muss dabei ein qualifiziertes, hingegen kein zwingendes öffentliches Interesse sein .

Die Schaffung einer südlichen stadtnahen Tangente ist ein von der Stadt Dülmen langjährig verfolgtes Entwicklungsziel. Die Begründung wird darin gesehen, dass die Verkehrsbelastung der Dülmener Innenstadt zu einem großen Teil durch Binnenverkehre hervorgerufen wird, für deren Umleitung im südlichen Stadtbereich bisher kein geeignetes Straßennetz zur Verfügung steht. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass die künftige Siedlungsentwicklung der Stadt Dülmen sich nach der städtebaulichen Grundkonzeption des Flächennutzungsplanes im Wesentlichen auf den Stadtbezirk Dernekamp konzentrieren wird und insoweit entsprechende Zusatzverkehre aus diesem bzw. in diesen Bereich des Stadtgebietes zu erwarten sind. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass der ebenfalls in diesem Stadtbezirk gelegene Standort der St.-Barbara-Kaserne durch die Aufgabe der militärischen Nutzung zumindest langfristig eine städtebauliche Reaktivierung erfahren könnte, die erhöhte qualitative und quantitative Anforderungen an die äußere Erschließung des Gebietes stellt (Begründung der 41. Änderung des Flächennutzungsplanes der Stadt Dülmen).

Zur Schaffung von Planungsrecht für diese Straße hat die Stadt Dülmen hierzu u. a. die IV. Änderung des Bebauungsplans Nr. 79/4 „Gausepatt“ vorgenommen.

Bereits in seinem Urteil vom 22.02.2023 hatte das Verwaltungsgericht festgestellt, „dass der Ausbau der Südumgehung zur Entlastung der Dülmener Innenstadt ein öffentliches Interesse darstellen kann, das eine Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG grundsätzlich rechtfertigen kann“ (S. 21 UA).

Das Vorhaben liegt damit im öffentlichen Interesse.

 

Die Gewährung einer Befreiung kommt zudem nur in atypischen und daher vom Gesetzgeber erkennbar nicht vorhergesehenen Einzelfällen aufgrund einer Einzelfallprüfung in Betracht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.09.1992 - 7 B 130.92).

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der Neubau eines Straßenvorhabens regelmäßig ein für das Bestehen einer Befreiungslage erforderliches atypisches und zugleich singuläres Vorhaben darstellt und dass, wenn den hierfür sprechenden öffentlichen Belangen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ein höheres Gewicht beigemessen wird als den dem Vorhaben entgegenstehenden Belangen des Natur- und Landschaftsschutzes, grundsätzlich die Anforderungen an das Vorliegen der naturschutzrechtlichen Befreiungslage gegeben sind (BVerwG, Beschluss vom 27.01.2022 - 9 VR 1.22). Eine atypische Sondersituation, wie sie § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erfordert, kann sich auch insbesondere aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse ergeben. Dabei spielt es auch eine entscheidende Rolle, in welchem Umfang das Biotop beeinträchtigt wird. Eine naturschutzrechtliche Befreiung kommt umso eher in Betracht, wenn das Biotop nur punktuell, linear oder in Grenzbereichen berührt wird (VG Lüneburg, Beschluss vom 26.03.2021 - 2 B 3/21).

Das Verwaltungsgericht Münster hat in dem getroffenen Urteil offen gelassen, ob hier ein atypischer Fall im Sinne des aufgezeigten Maßstabs gegeben ist. Der Aus- und Umbau der an die Allee unmittelbar angrenzenden Straße zur Entlastung der verkehrlichen Infrastruktur an anderer, nicht mit der an die Allee angrenzenden Verkehrsfläche in Zusammenhang stehender Stelle des Gemeindegebietes, dürfte im zur Entscheidung gestellten Einzelfall kein besonderes, ursprünglich nicht abschätzbares Gemeininteresse darstellen, welches eine Randkorrektur des § 29 Abs. 3 BNatSchG i.V.m. § 41 Abs. 1 Satz 2 LNatSchG NRW erfordern würde. […] Das Vorliegen eines Lückenschlusses würde dabei keinen besonderen Umstand des Einzelfalles begründen können, da die bauplanungsrechtlich gesetzten „Zwangspunkte“, die eine Beseitigung der Allee erfordern würden, allein auf der Umsetzung der – naturschutzrechtlich nicht gesicherten – bauplanungsrechtlichen Situation durch die Stadt Dülmen beruhen würden.

Der modifizierte Antrag auf Befreiung genügt nach Auffassung der unteren Naturschutzbehörde den Anforderungen an einen atypischen Fall. Primär handelt es sich bei der Beurteilung des Antrags um den „Neubau der Südumgehung“ “ und damit um ein zugleich atypisches und singuläres Vorhaben im Sinne der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die geplante Trasse der Südumgehung ist bereits im Flächennutzungsplan von 1980 enthalten gewesen. Im Zuge der 41. Änderung des Flächennutzungsplanes wurde der östliche Verlauf der Trasse der Südumgehung geändert. Die vorbereitende Bauleitplanung wurde in den beiden Bebauungsplänen „Südumgehung“ und „Gausepatt“ konkretisiert. Insofern wird hier auch - anders als im Schreiben der Naturschutzverbände dargestellt - kein Planungsfehler durch die abschnittsweise erfolgte Realisierung der Südumgehung durch die Stadt Dülmen gesehen. Bei der Festlegung der Trasse im Rahmen der Aufstellung des Flächennutzungsplanes und der nachfolgenden Bauleitpläne war zudem der Alleenschutz auch noch nicht in dem heutigen Maße gesetzlich verankert. Erst mit der Novelle des Landschaftsgesetzes im Jahr 2005 wurde in Nordrhein-Westfalen der gesetzliche Schutz von Alleen eingeführt.

Der Eingriff in die Allee bezieht sich auf einen eng umgrenzten Bereich an der Hülstener Straße und hier auf insgesamt 22 Bäume. Der betroffene Alleenabschnitt ist ca. 350 m lang, wovon auf einer Länge von ca. 180 m der Baumbestand einseitig erhalten bleiben soll.

Im vorliegenden Fall ist daher von einer hinreichenden Atypik auszugehen.

 

Die Notwendigkeit des Eingriffs in den Alleenbestand ergibt sich aus fehlenden Alternativen für den Neubau der Südumgehung. Im Rahmen der Aufstellung der IV. Änderung des Bebauungsplanes „Gausepatt“ hatte die Antragstellerin bereits eine eigene Variantenprüfung durchgeführt. Sie hat zur Stellung des Befreiungsantrags vom 29.09.2023 eine erneute Prüfung folgender Varianten vorgenommen:

Nullvariante       Ursprungsvariante mit einer Zweiteilung der Fahrbahn

Variante 1            Herstellung einer geradlinigen Fahrbahn mit vollständiger Neubegründung einer Allee

Variante 1a         Angepasste Trasse mit weitgehendem Erhalt der nördlichen Baumreihe

Variante 2            Verschwenkung des Fahrbahnverlaufs im östlichen Teil auf bisher unbebaute Freiflächen

Variante 3            Verschwenkung der Fahrbahn nach Norden

Variante 4            Verschwenkung der Fahrbahn und des Kreisverkehres an der Haltener Straße nach Norden

Varianten 4a       Modifikation der Variante 4 unter Berücksichtigung des bereits hergestellten Brückenbauwerks am Tiberbach

Variante 4b         Modifikation der Variante 3 mit einem etwas geringeren Eingriff in das Gewerbegrundstück

Variante 4c          Führung der Fahrbahn unmittelbar parallel zur nördlichen Baumreihe

Variante 4d         Führung der Fahrbahn parallel zur nördlichen Baumreihe mit größerem Abstand

Varianten 4e-g  skizzenhafte Modifikationen einer nördlichen Führung

Die untere Naturschutzbehörde hat diese Varianten – wie vom Verwaltungsgericht gefordert – in eigener Verantwortung geprüft und hat den Abwägungsvorgang und das Abwägungsergebnis der Stadt Dülmen nachvollzogen.

Dies gilt vor allem für die Varianten, die eine Befreiung vom Verbot des § 41 Abs. 1 Satz 2 LNatSchG entbehrlich machen. Den Varianten, die auf einen weitgehenden Erhalt der Allee an der Hülstener Straße durch eine nördliche Verschwenkung der Fahrbahn abzielen, ist gemein, dass hiermit für die Stadt Dülmen eine Korrektur der über die Bauleitplanung aufgestellten städtebaulichen Ordnung erforderlich ist. Dies allein bedingt jedoch noch keine Notwendigkeit einer Befreiung. Die Eignung einer Trassenvariante hängt u. a. von der Flächenverfügbarkeit ab. Stehen die für den Straßenbau notwendigen Flächen im Eigentum Dritter und sind diese nicht bereit, ihre Flächen durch freihändigen Verkauf auf den Straßenbaulastträger zu übertragen, können die Flächen nur durch Umlegung oder Enteignung erworben werden. Diese Verfahren dauern lange und setzen die Realisierung des Straßenbauprojektes in die Zeit. Besteht dagegen die Möglichkeit, eine Trassenvariante auf eigenen Flächen zu realisieren, liegt darin ein gravierender Vorteil, der bei der Abwägung zwischen verschiedenen Trassen sachgerecht eingestellt werden kann. Für die Varianten mit einer Nordverschwenkung muss auf Eigentumsflächen Dritter zurückgegriffen werden. Dadurch würden gewerbliche Nutzungen sowie weitere Entwicklungsmöglichkeiten beschnitten. Dabei handelt es sich um private Belange, die bei einer Variantenprüfung zu beachten sind. Das gilt auch für die Kosten, die der Straßenbaulastträger für einen Grundstückserwerb tätigen müsste. Im Rahmen der Aufstellung des Bebauungsplans hat die Stadt Dülmen hier Grunderwerbskosten für die Umsetzung der Variante 4 in Höhe von ca. 230.000 € und den Verkehrswert der vom Teilabriss betroffenen Immobilie mit 180.000 € geschätzt. Gleichzeitig sind hiermit erhebliche Risiken für die Stadt Dülmen verbunden, da eine Verfügbarkeit dieser Flächen bisher auch nicht gegeben ist. Der Bereich nördlich der Hülstener Straße liegt zudem im Geltungsbereich des Verfahrens zur V. Änderung und zur Ergänzung des Bebauungsplanes Nr. 79/4 „Gausepatt“, für die am 13.12.2018 ein Aufstellungsbeschluss gefasst worden ist mit dem Ziel, die bisherigen Grundstücksfreiflächen einer Wohnbebauung zuzuführen. Die Einleitung dieses Verfahrens wurde von dem Grundstückseigentümer mit Schreiben vom 30.10.2018 beantragt, der entsprechend auch die Flächen für eine Realisierung der verschiedenen nördlichen Alternativen bereitstellen müsste. Die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums gehört zu den öffentlichen Belangen mit erheblichem Gewicht.

Auch weitere von der unteren Naturschutzbehörde erwogene Planungsalternativen, die zu einer Vermeidung des Eingriffs in den Alleebestand führen könnten, drängen sich im vorliegenden Fall nicht auf. Eine Ableitung des Verkehres nach Süden über den Gausepatt und anschließend den Koppelweg scheidet aus, da diese Straßen hierfür nicht geeignet sind (siehe hierzu auch die Erläuterung der Stadt Dülmen). Eine Verlagerung der Trasse südlich der Hülstener Allee entfällt aufgrund der hier vorhandenen und in Nutzung befindlichen Sportanlagen. Zusätzlich wären bei einer südlichen Variante ebenfalls Eingriffe in Gehölzbestände zu erwarten.

Die nunmehr von der Stadt Dülmen entwickelte Variante 1a mit einem Erhalt der nördlichen Baumreihe könnte auf der vorhandenen Eigentumsfläche der Stadt Dülmen erfolgen und wäre auch mit den Festsetzungen des Bebauungsplanes vereinbar.

Die Erteilung einer Befreiung kommt in Betracht, wenn sie in einem atypischen Fall zur Befriedigung eines überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist. Die Notwendigkeit setzt allerdings nicht voraus, dass sich die Befreiung als einzige Möglichkeit zur Realisierung erweist, sondern es genügt, dass Alternativlösungen (Standort- oder Ausführungsalternativen) unzumutbaren Aufwand erfordern und es deshalb "vernünftigerweise geboten" ist, den Belangen des gemeinen Wohls mit Hilfe einer Befreiung zur Verwirklichung zu verhelfen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.02.2020 - OVG 11 S6/20).

Vor diesem Hintergrund wird daher davon ausgegangen, dass eine Notwendigkeit im Sinne des § 67 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bei dem vorgelegten Antrag gegeben ist. Eine alternative Trassenführung auf Gewerbeflächen und auf Flächen, für die eine konkrete wohnbauliche Entwicklung durch den Eigentümer beabsichtigt ist, wird für die Stadt Dülmen als eine Variante mit unzumutbaren Aufwand und für die betroffenen Grundstückseigentümer mit einem unzumutbaren Ergebnis angesehen.

 

Die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt voraus, dass öffentliche Interessen vorliegen, welche die naturschutzrechtlichen Belange überwiegen.

In dem nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für die Befreiung erforderlichen "Überwiegen" des öffentlichen Interesses kommt ein Bilanzierungsgedanke zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass die Gründe des öffentlichen Interesses im Einzelfall so gewichtig sein müssen, dass sie sich gegenüber den Belangen des Alleenschutzes durchsetzen. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen eine bilanzierende Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Eingriffe und Folgen vorzunehmen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 - 4 B 12.02; VG Minden, Urteil vom 22.10.2014 - 11 K 2519/13).

Die Herstellung einer stadtnahen Südumgehung stellt ein langjähriges Ziel der Stadt Dülmen dar. Die derzeitige Ableitung des Verkehrs nach dem Ende der Ausbaustrecke über den Gausepatt und Koppelweg stellt dabei keine dauerhafte Lösung dar, da diese Straßen nicht für die Aufnahme des Verkehrs geeignet sind und das verfolgte Ziel der Entlastungswirkung der Dülmener Innenstadt hiermit nicht erreicht werden würde.

Die betroffene Allee weist in dem Abschnitt überwiegend eine gute Ausprägung auf. Im westlichen Bereich liegt eine deutliche Vorschädigung der Allee durch eine ca. 90 m breite Lücke auf der nördlichen Seite vor. Hierbei handelt es sich auch um eine bereits langjährige Lücke (vgl. historische Luftbilder – www.tim-online.de). An den Bäumen im Einfahrtsbereich von der Halterner Straße zeigen sich durch die hier ehemals angrenzende Pappelreihe Vorschädigungen im Wuchs. Hieran schließt sich ein ca. 180 m langer Alleeabschnitt an, der von beidseitigem Baumbewuchs gekennzeichnet ist, wobei auf der Südseite der Allee der Baumbestand eine etwas geringere Qualität aufweist (siehe hierzu auch die Anlage 2 des Befreiungsantrages).

Es verbleibt ein Eingriff auf einem ca. 350 m langen Abschnitt, wovon auf ca. 180 m Länge der Baumbestand wenigstens einseitig erhalten werden kann. Mit dem Erhalt der nördlichen Baumreihe wird die Unterbrechung der insgesamt ca. 2 km langen Allee an der Hülstener Straße minimiert.

Im Rahmen der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Neubau der Südumgehung und der betroffenen Allee kommt die untere Naturschutzbehörde damit zu der Entscheidung, dass in diesem Falle das öffentliche Interesse am Neubau der Südumgehung überwiegt und eine Befreiung von den Verboten des § 41 LNatSchG NRW erteilt werden kann.

 

Artenschutzrechtliche Belange:

Im Frühjahr 2023 erfolgte aus Gründen der Verfahrenssicherheit eine faunistische Überprüfung der Allee. Hierzu wurde eine Brutvogelkartierung mit 7 Begehungen durchgeführt. Zur Überprüfung einer möglichen Quartiersfunktion wurde eine Überprüfung der Baumhöhlen durchgeführt.

Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass artenschutzrechtliche Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen.

Dem Einwand der Naturschutzverbände, dass das Artenschutzgutachten nicht aktuell ist, wird daher nicht gefolgt.

 

Die Befreiung soll mit folgenden Nebenbestimmungen erteilt werden:

 

  1. Die Baumaßnahme ist von einem Baumsachverständigen zu begleiten und zu überwachen. Die ökologische Baubegleitung dient der Einhaltung der Vorgaben der DIN 18920 und RAS LP 4 bei der Baumaßnahme. Die ökologische Baubegleitung hat dem Kreis Coesfeld, FD 70.2, eine wöchentliche Dokumentation über den Baufortschritt zu geben. Je nach Verlauf kann in Absprache mit dem Kreis Coesfeld, FD 70.2, von dem Intervall abgewichen werden. Bei Bodenarbeiten im Wurzelbereich ist der Baumsachverständige frühzeitig zu informieren.
  2. Bei der Durchführung der Baumaßnahme ist in jedem Fall naturschonend vorzugehen. Dies bedeutet insbesondere, dass nicht diese Befreiung betreffende prägende Landschaftsbestandteile (Hecken, Bäume, Geländeböschungen, Kleingewässer etc.) unbeschädigt und unbeeinträchtigt zu erhalten sind.
  3. Die Flächeninanspruchnahme für den Baubetrieb ist auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren.
  4. Die Fällung der Bäume darf ausschließlich im Zeitraum zwischen dem 01.10. und dem 28./29.02. des Folgejahres erfolgen (§ 39 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG).
  5. Die nachträgliche Aufnahme, Änderung oder Ergänzung von Auflagen behalte ich mir vor.

 

Anlagen:

 

A.        Antrag auf Befreiung vom 29.09.2023

         Anlage 1: Lageplan

         Anlage 2: Erläuterung und Begründung des Antrages

         Anlage 3: Übersicht der Alleebäume - Erforderliche Fällungen in Abhängigkeit der Alternativen

         Anlagen 4.0-4.12: Übersichtspläne zu den betrachteten Alternativen

         Anlagen 5.1 und 5.2: Baumgutachten

         Anlage 6: Gutachterliche Einschätzung zur Betroffenheit der Belange des Artenschutzes

B.        Stellungnahme des Landesbüros der Naturschutzverbände vom 20.11.2023

C.        Schreiben der Stadt Dülmen vom 24.11.2023

(A. Anlagen 3 - 6, B. und C. nur verfügbar im Kreistags-Informations-System)