Beschlussvorschlag:
Der Beirat stimmt der Erteilung einer Befreiung
von den im Naturschutzgebiet 2.1.12 „Steveraue“ des Landschaftsplans „Olfen-Seppenrade“
geltenden Verboten für die Sanierung und Instandsetzung der Wasserkraftanlage
Füchtelner Mühle zu.
Begründung:
Die bereits in der Vergangenheit für die
Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft genutzte Füchtelner Mühle an der
Stever in Olfen wurde im Jahr 2021 von der Stadt Olfen und dem Kreis Coesfeld
erworben mit dem Ziel, durch eine Sanierung und Instandsetzung der
Wasserkraftanlage dauerhaft und effizient Elektrizität aus erneuerbarer Energie
zu gewinnen. Kreis und Stadt haben mit diesen Arbeiten die Wirtschaftsbetriebe
Kreis Coesfeld GmbH (wbc) beauftragt.
Im Zuge der Sanierung der Turbinen im Mühlengebäude
ist auch die Erneuerung der Rechenanlage vor dem Turbineneinlauf erforderlich. Der
neue Horizontalrechen soll in unmittelbarer Nähe des bestehenden
Vertikalrechens errichtet werden. Der derzeit vor dem Turbinenschaft
installierte Vertikalrechen steht im rechten Winkel zur Fließrichtung der
Stever, der Abstand der Rechenstäbe untereinander weist 20 mm auf. Der neue
Rechen soll – gemäß den Vorgaben der Stever als Vorranggewässer für die Zielart
Aal („Verordnung (EG) Nr. 1100/2007 des Rates mit Maßnahmen zur
Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals“) – aus der
strömungsvertikalen Ausrichtung des alten Rechens in eine annähernd
strömungsparallele Ausrichtung verlagert werden, zudem werden der Stababstand
im neuen Rechen auf 15 mm und die Anströmgeschwindigkeit auf maximal 0,5 m/s reduziert,
um den Aal vor einem Durchschwimmen des Rechens und damit einer Tötung durch
die Turbinen zu schützen. Um dennoch die ausreichende Menge an Wasser den
Turbinen zuführen zu können, ist eine Länge des Rechens von ca. 9,50 m erforderlich.
Diese Vergrößerung der Rechenanlage bedingt eine Inanspruchnahme einer Fläche
von ca. 16 qm im Naturschutzgebiet „Steveraue“.
Die Baustellenzufahrt erfolgt von der
Kökelsumer Straße auf den vorhandenen Wirtschaftsweg. Dieser ist im vorderen
Bereich als Baustraße auszubauen, damit die Baustelle sicher angefahren werden
kann. Hierfür ist der Weg dort zu verbreitern und zu stabilisieren. Für den
Ausbau werden nur natürliche Baustoffe, wie z. B. Sandstein- oder
Hartkalksteinschotter, verwendet. Nach Abschluss der Baumaßnahme wird die
Befestigung rückgebaut und der Ursprungszustand wiederhergestellt. Die
Aufstellungsfäche für den Baukran befindet sich auf der Kökelsumer Straße, die
hierfür halbseitig gesperrt wird. Für die Baustelleneinrichtung sowie zur
Lagerung des Baumaterials stellt die Stadt Olfen einen angrenzenden
Wanderparkplatz zur Verfügung. Zum Schutz des FFH-Gebietes und des Gewässers
werden bei der Errichtung der Baustraße und der Abspundung nur Baugeräte im
Uferbereich der Stever eingesetzt, welche mit biologisch abbaubaren Ölen und
Schmierstoffen betrieben werden.
Nach Beendigung der Baumaßnahme sind im
Böschungsbereich auf mindestens der Länge der Horizontalrechenanlage
gewässertypische Ufergehölze (u. a. Weidenarten, Pfaffenhütchen,
Schneeball) flächendeckend anzupflanzen. Da der Vorhabenbereich derzeit einen
lückigen, z. T. vegetationsfreien Zustand aufweist, kann mit diesen
Maßnahmen ein Ausgleich des mit der zusätzlichen Versiegelung (ca. 16 qm)
verbundenen Eingriffs erreicht werden.
Die geplante neue Rechenanlage liegt im
südlichen Randbereich (Uferböschung) des Naturschutzgebiets 2.1.12 „Steveraue“,
welches zugleich FFH-Gebiet DE-4210-302 „Stever“ ist . Das Schutzgebiet ist im
Landschaftsplan „Olfen-Seppenrade“ mit folgenden Schutzzwecken festgesetzt
(Auszug aus dem Landschaftsplan „Olfen-Seppenrade“ aus 2005):
a)
Erhaltung und Entwicklung der Steverniederung mit
ihren angrenzenden Grünlandflächen;
b)
Erhaltung und Entwicklung von Biotopkomplexen aus
Altarmen, künstlich angelegten Gewässern und Vegetationsstrukturen;
c)
Erhaltung und Entwicklung der Aue als prägenden
Bestandteil des Landschaftsbildes;
d)
Wiederherstellung von Lebensgemeinschaften und
Lebensstätten für wildlebende Tiere und wildwachsende Pflanzen;
e)
zur Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen
Erhaltungszustands der natürlichen Lebensräume und wild lebenden Tier- und
Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse gemäß Artikel 4 Abs. 4 i. V. m.
Artikel 2 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen
Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) vom
21.05.1992. Hierbei handelt es sich um folgende Arten (Fischarten) von
gemeinschaftlichem Interesse gemäß Anhang II der FFH-Richtlinie als
maßgeblicher Bestandteil des Gebietes i. S. des § 48 d Abs. 4 LG:
· Steinbeißer Cobitis
taenia
Erhaltung und Förderung der Steinbeißer-Population durch
-
Erhaltung und Entwicklung naturnaher, linear
durchgängiger Fließgewässer mit Gewässersohlbereichen aus nicht verfestigten,
sandigen und feinkiesigen Bodensubstraten sowie mit naturnaher Abflussdynamik
mit sich umlagernden Sanden und Feinkiesen,
-
Vermeidung von Eutrophierungen und starken
Materialeinschwemmungen mit der Folge von Veralgungen, Verschlammungen und
Bewuchs mit Wasserpflanzen auf den Gewässersohlen,
-
Erhaltung von Habitatstrukturen im Gewässer wie
Wurzeln und Steine.
Im Naturschutzgebiet gelten folgende
Verbote, die vom Bauvorhaben der Errichtung des neuen Rechens betroffen sind:
·
Nr. 1: Bauliche Anlagen zu errichten oder bestehende
bauliche Anlagen oder deren Nutzung zu ändern;
·
Nr. 15: Fließende Gewässer zu verändern oder deren
Ufer in ihrer Gestalt zu verändern;
·
Nr. 19: Bäume, Sträucher oder sonstige wildwachsende
Pflanzen zu beschädigen, auszugraben oder Teile davon abzutrennen;
·
Nr. 22: Die morphologischen Gegebenheiten wie
Böschungen zu beseitigen oder zu verändern.
Auswirkungen auf die Schutzziele und
Schutzzwecke des FFH-Gebiets DE-4210-302 „Stever“ sowie potentielle
Beeinträchtigungen der artenschutzrechtlichen Verbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG
wurden in einer FFH-Verträglichkeitsvorprüfung und einer Artenschutzprüfung
Stufe I geprüft mit dem Ergebnis, dass keine Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets
sowie der Artenschutzverbote von der Maßnahme betroffen sind – vielmehr ist mit
der „fischgerechten“ Ausbildung des neuen Horizontalrechens eine Verbesserung
zur derzeitigen Situation gegeben.
Für das geplante Vorhaben ist eine Befreiung
gemäß § 67 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz von den genannten innerhalb des Naturschutzgebietes
geltenden Verboten erforderlich.
Mit Datum vom 22.01.2024 hat die wbc einen
Antrag auf Befreiung von den Verboten des Naturschutzgebiets gestellt.
Mit der Erneuerung der Turbinenanlage und damit einhergehend des Rechens soll an der Füchtelner Mühle die bereits langjährig bestehende Erzeugung von Strom technisch erneuert und langfristig sichergestellt sein. Mit § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz hat der Gesetzgeber in 2023 die Errichtung und den Betrieb von Anlagen für die Erzeugung erneuerbarer Energien auf die Ebene des überragenden öffentlichen Interesses und der öffentlichen Sicherheit gehoben. Bis die Stromerzeugung in Deutschland annähernd treibhausgasneutral ist, sind die erneuerbaren Energien vorrangig in den jeweiligen Abwägungsvorgängen zu berücksichtigen.
Unter Beachtung dieser gesetzlichen Vorgaben und der Tatsache, dass für die Erneuerung der Rechenanlage lediglich eine Fläche von ca. 16 qm des Naturschutzgebiets beansprucht wird, welche sich zudem bereits im unmittelbaren Anschluss an die bestehenden technischen Anlagen befindet, kommt die untere Naturschutzbehörde zu der Entscheidung, dass im Rahmen der Abwägung zwischen dem betroffenen Schutzgebiet und der Förderung erneuerbarer Energien eine Erneuerung der Rechenanlage vorrangig zu bewerten ist.
Die Befreiung soll u. a. mit folgenden Nebenbestimmungen erteilt
werden:
·
Die Flächeninanspruchnahme für den Baubetrieb ist
auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren.
·
Die Bautätigkeit ist möglichst umwelt- und
naturschonend durchzuführen.
·
Eine Beseitigung der Gehölzbestände ist nur im
Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und 1. März des Folgejahres
zulässig.
Anlagen:
1. Übersichtskarte Vorhabenstandort und Schutzgebiete
2. Kreis Coesfeld: FFH-Verträglichkeitsvorprüfung und Artenschutzprüfung Stufe I. Coesfeld, 25.01.2024 (nur verfügbar im Kreistags-Informations-System)
3. Büro Stelzig: FFH-Verträglichkeits-Vorprüfung zur geplanten Bestandsaufnahme zur Sanierung und Instandsetzung der Wasserkraftanlage Füchtelner Mühle in Olfen (Kreis Coesfeld). Soest, April 2022 (nur verfügbar im Kreistags-Informations-System)