Betreff
Erlass des NRW-Verkehrsministeriums vom 18.07.2023 zur Anordnung eines Zusatzzeichens "S-Pedelecs frei"
Vorlage
SV-10-0969
Art
Sitzungsvorlage

Beschlussvorschlag:

 

Das beabsichtigte Vorgehen der Kreisverwaltung zum Umgang mit dem Erlass des NRW-Verkehrsministeriums vom 18.07.2023 zur Anordnung eines Zusatzzeichens „S-Pedelecs frei“ wird zur Kenntnis genommen.

Hinweis: Auf die Sitzungsvorlagen SV-9-1663 und SV-9-1703 wird verwiesen: Hier wurde zurückgehend auf eine Anregung nach § 21 KrO bereits über die Freigabe eines kombinierten Geh- und Radweges (außerorts) für S-Pedelecs beraten, schlussendlich der Anregung (auch verwaltungsseitig) u.a. aufgrund fehlender rechtlicher Handlungsspielräume für einen möglichen Verkehrsversuch nicht gefolgt.

 

Sachdarstellung

 

Mit Erlass vom 18.07.2023 (s. Anlage 1) hat das nordrhein-westfälische Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr ein neues Zusatzzeichen „S-Pedelecs frei“ eingeführt:

Abbildung 1: Systemskizze Zusatzzeichen „S-Pedelecs frei“

 

Die Kreisverwaltung beabsichtigt, diesen neuen rechtlichen Handlungsspielraum im Sinne der Radverkehrsförderung unter Berücksichtigung verkehrssicherheitsrechtlicher Belange zu nutzen und pilothaft einzelne Radwege bzw. Fahrradstraßen im Kreis Coesfeld diesbezüglich zu überprüfen und ggf. freizugeben. All dies vorbehaltlich der noch ausstehenden Abstimmungen in der „Dienstbesprechung der Straßenverkehrsbehörden im Regierungsbezirk Münster“ sowie erforderlicher Abstimmungen der Straßenverkehrsbehörde(n) mit den zuständigen Baulastträgern und der Kreispolizeibehörde. Für eine nähere Überprüfung kommen im Kreis Coesfeld beispielsweise Außerorts-Fahrradstraßen, Velorouten sowie vereinzelt weitere straßenbegleitende gemeinsame Geh-/Radwege in Frage.

 

In der Begründung zum Erlass heißt es im Einzelnen:

„Bei S-Pedelecs handelt es sich um Zweiräder mit elektromotorischer Tretunterstützung, die erst bei einer Geschwindigkeit von 45 km/h selbsttätig abschaltet. Als Kleinkrafträder zählen sie zu den zulassungspflichtigen Kraftfahrzeugen und müssen u. a. über ein Versicherungskennzeichen verfügen (Zulassungs- und Versicherungspflicht). Wer ein S-Pedelec im öffentlichen Verkehrsraum benutzen will, muss einen Schutzhelm tragen und mindestens über die Fahrerlaubnisklasse AM verfügen.

 

Derzeit besitzen S-Pedelecs in Deutschland einen eher geringen Marktanteil. Gleichwohl können sie eine umweltfreundliche Alternative zum privaten Pkw darstellen, zumal mit ihnen auch längere Strecken komfortabel bewältigt werden können. Nach hiesigem Kenntnisstand kommen S-Pedelecs insbesondere beim beruflichen Pendeln zum Einsatz. Insofern besitzen S-Pedelecs das Potenzial, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren und somit einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätswende zu erbringen.

 

Als Kraftfahrzeuge müssen S-Pedelecs grundsätzlich die Fahrbahn benutzen. Ein spezielles Zusatzzeichen, mit dem andere öffentliche Verkehrsflächen allein für S-Pedelecs freigegeben werden könnten, existiert derzeit weder in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) noch im Katalog der Verkehrszeichen (VZKat).“

 

Des Weiteren legt der Erlass fest, welche Verkehrsflächen im Einzelfall für eine Freigabe in Frage kommen, im Einzelnen sind dies mit Blick auf den Kreis Coesfeld

-          benutzungspflichtige Radwege, gemeinsame Geh- und Radwege sowie getrennte Geh- und Radwege außerhalb geschlossener Ortschaften,

-          Fahrradstraßen und Fahrradzonen innerhalb oder außerhalb geschlossener Ortschaften sowie

-          für den Radverkehr freigegebene Straßen und Wirtschaftswege mit Verkehrsverboten.

 

Explizit hervorgehoben wird zudem, dass auf Verkehrsflächen, auf denen starker Fußverkehr herrscht, oder auch im Zuge von linksseitigen Radwegen bzw. Zweirichtungsradwegen, die häufig von Einmündungen oder Grundstückszufahrten gekreuzt werden, die Anordnung des Zusatzzeichens aus Verkehrssicherheitsgründen nicht erteilt werden darf. Dieser Aspekt ist vor allem außerorts für die straßenbegleitenden Geh-/Radwege im Kreis Coesfeld relevant, die aufgrund der dispersen Siedlungsstrukturen und der zahlreichen Hofeinfahrten einer besonders intensiven Prüfung zu unterziehen sind. Hier besteht die Gefahr, dass ein- oder ausfahrende Pkw die Geschwindigkeit eines S-Pedelecs unterschätzen. Gleiches gilt für Verkehrsteilnehmer, die aus zuführenden Wirtschaftswegen kommen und keinerlei Hinweise auf die evtl. Freigabe für S-Pedelecs bekommen. Hier kann es zudem auf Grund der höheren Geschwindigkeiten der S-Pedelecs zu nicht ausreichenden Sichtverhältnissen kommen. Zudem weisen zahlreiche gemeinsame Geh-/Radwege immer wieder Engstellen und Verschwenkungen auf, die eine erhöhte Aufmerksamkeit und deutliche Geschwindigkeitsanpassung der S-Pedelec-Fahrenden voraussetzen. Auch dürfen die längeren Anhaltewege und die dadurch erforderlichen größeren Sichtfelder nicht außer Acht gelassen werden. Des Weiteren darf die Freigabe nicht in Bereichen von Unfallhäufungsstellen, die im Zusammenhang mit dem Radverkehr stehen, erfolgen.

 

Eine evtl. Freigabe ist somit nur nach gründlicher Prüfung des jeweiligen Geh-/Radweges unter Beachtung der Vorgaben des § 45 StVO und im Einvernehmen mit der Kreispolizeibehörde sowie dem Straßenbaulastträger möglich. In jedem Falle sollte eine mögliche Freigabe von Fahrradstraßen und Außerorts-Geh-/Radwegen für S-Pedelecs mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit flankiert werden.

 

Unabhängig davon wird die Einschätzung des Ministeriums hinsichtlich des Potenzials von S-Pedelecs bestätigt. Eine repräsentative Haushaltsbefragung zum Mobilitätsverhalten im Kreis Coesfeld aus dem Jahr 2022 zeigt auf, dass mittlerweile rund 28 % aller Wege im Kreis Coesfeld mit dem Fahrrad oder Pedelec (25 km/h) zurückgelegt werden. Bei näherer Betrachtung des Modal Split in Relation zu den zurückgelegten Distanzen wird jedoch deutlich, dass der motorisierte Individualverkehr bei Distanzen von 5 bis 10 und 10 bis 20 km mit einem Anteil von 63 bzw. 67 % nach wie vor deutlich dominiert (vgl. Abb. 2). Hier könnte eine abschnittsweise Freigabe von Außerorts-Radwegen und Fahrradstraßen für S-Pedelecs eine weitere Umverteilung hin zu einer klimafreundlicheren Mobilität ermöglichen. Da der Verkehrssektor mit 44 % den größten Anteil am Endenergiebedarf im Kreis Coesfeld ausmacht, stellt dies einen wichtigen Beitrag zur politischen Beschlussfassung des Kreises Coesfeld dar, bis zum Jahr 2040 bilanziell klimaneutral zu werden.

 

Abbildung 2: Modal Split nach Entfernungsklassen (Quelle: Kreis Coesfeld 2022, Grafik: Planersocietät Dortmund)