Modul 2: "Gleichschaltung"

Einführung

Im Frühjahr 1933 wurde deutlich, dass die Nationalsozialisten längere Zeit an der Macht bleiben würden. Die Demokratie im Deutschen Reich war mit dem Zustandekommen des „Ermächtigungsgesetzes“ (23. März, „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) im Reichstag abgeschafft. In den folgenden Wochen und Monaten wurde der politische und gesellschaftliche Pluralismus aufgehoben. Unter dem Begriff „Gleichschaltung“ strebten die Nationalsozialisten das Ziel an, möglichst sämtliche Organisationen, Vereine und Institutionen zu kontrollieren und auf die eigenen Ziele auszurichten. Viele Organisationen wurden umgewandelt oder gar aufgelöst und durch regimetreue ersetzt. Anstatt Demokratie herrschte jetzt das „Führerprinzip“.

Gemäß der Doppelstrategie von „Verführung und Gewalt“ (Hans-Ulrich Thamer) gelang den Nazis die rasche Durchdringung kommunaler Institutionen und Vereinigungen durch Kooperationsbereitschaft und terroristische Gewaltmaßnahmen. Die NSDAP profitierte davon, dass es auch reine Opportunisten und Personen, die zumindest gewisse Punkte der NS-Weltanschauung teilten, gab.

Aufgrund der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche konnte man der überwiegenden Mehrheit im Münsterland zwar eine katholische Grundorientierung unterstellen, dies bedeutete aber auch eine konservativ-obrigkeitshörige Tradition und eine gewisse politische Anpassungsfähigkeit. Eine ganze Reihe von Staatsbediensteten in Coesfeld trat im Frühjahr 1933 der NSDAP bei: „Neben Kreissparkassendirektor Felix Cherouny, der sich zum 1. April 1933 unter der Mitgliedsnummer 1.727.525 registrieren ließ, fanden im April und Mai 1933 u.a. Oberstudiendirektor Dr. Wilhelm Ernst, Regierungsinspektor Albert Friedewohl, Schuldirektor Anton Gudel, Studienrat Dr. Engelbert von Hammel, Studienrat Ludwig Heppe, Gerichtsassessor und späterer Rechtsanwalt Ludger Kühle, Regierungs-Assessor Dr. Jakob Stachels und Schuldirektorin Dr. Helene Stehling eine neue politische Heimat in der NSDAP. In den Beitritten mochte sich zum einen politisch-ideologische Übereinstimmung mit dem neuen Regime, womöglich auch Begeisterung für die Zerschlagung des demokratischen Systems ausdrücken. Zum anderen ist ein auf das persönliche Fortkommen interessierter Opportunismus unübersehbar.“ (Grieger, S. 1609.)

Auch führende Vertreter der lokalen Wirtschaft traten zum 1. Mai 1933 in die Partei ein: die Fabrikanten Clemens und Franz Crone, der Direktor Georg Geiger, der Wirt und Kinobetreiber Heinrich Hoffmeister, der Metzgermeister Hubert Niemerg und der Bauunternehmer Alois Helmus. Stetig wuchs so der Anteil der städtischen Honoratioren, die zugleich auch Parteigenossen waren.

Da weder ausgewiesene „Linke“ noch Juden zu den städtischen Bediensteten zählten, kam es in Coesfeld zu keiner politisch bzw. rassistisch motivierten Entlassung gemäß dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Personen, die sich aber nicht mit dem neuen Regime anfreunden wollten, wurden sehr wohl aus ihren Ämtern verdrängt: „Obermeisterin Elisabeth Wienken wurde am 19. Oktober 1933 in dem Kuratorium der Berufsschule durch einen von der NSDAP als kooperationsbefähigt erklärten früheren Zentrumsmann, den Schuhmachermeister Bernhard Westring, ersetzt. Franz Brummert, der im März 1933 über die Zentrums-Arbeitnehmerliste in die Stadtverordnetenversammlung eingezogen und als Schöffe vorgeschlagen worden war, legte sein Amt im Dezember 1933 noch vor seiner Verpflichtung und Einführung nieder.“ (Grieger, S. 1609.)

Ansonsten betrieb die Stadtverordnetenversammlung in den Jahren 1933/34 ihr kleinstädtisches Alltagsgeschäft. Der kommunalpolitische Alltag wurde ebenso durch das krisenbedingt herrschende soziale Elend geprägt wie durch den daraus folgenden geringen finanziellen Spielraum. Erst ab Herbst 1933 konnte die NSDAP in Coesfeld altersbedingt frei werdende Stellen mit Parteigenossen besetzen, dies waren aber Einzelfälle. Immerhin konnten die Nazis dem Betriebsbuchhalter Josef Heitkamp und dem Betriebsleiter Gustav Thiele ein Dauerarbeitsverhältnis verschaffen, zumindest für Thiele zahlte sich so sein Beitritt zum 1. März 1933 in finanzieller Hinsicht aus.

Fragen

  • Welche Rolle spielten Aspekte der NS-Ideologie für personalpolitische Entscheidungen?
  • Inwieweit setzte die NSDAP vor Ort auf (angedrohte oder durchgeführte) Gewaltmaßnahmen im Rahmen der „Gleichschaltung“?
  • Wie gelang die „Gleichschaltung“ der LokalpolitikerInnen? Gab es noch politische Aktivitäten außerhalb der NSDAP nach der Selbstauflösung bzw. dem Verbot anderer Parteien?
  • Wie gelang die „Gleichschaltung“ des kulturellen und öffentlichen Lebens vor Ort? Gab es Unterschiede in den Kommunen? (Beispiel: Nachbarschaften, Schützen-, Sport- und Musikvereine)
  • Wie gelang die „Gleichschaltung“ der lokalen Medien?
  • Wo stieß die „Gleichschaltung“ auf Widerstand?
  • Wie verhielten sich die katholischen und die evangelischen Gemeinden?
  • Wie reagierten jüdische MitbürgerInnen?

Zugänge/Methoden

  • Analyse und Interpretation von Bewerbungsschreiben und Lebensläufen
  • Diskussion: Gleichschaltung – Verschmelzung von Partei und Staat. Was zählt: Kompetenz oder Parteibuch?
  • Kooperationsprojekt mit dem Fach Deutsch: Völkisches Gedankengut bei (westfälischen) Schriftstellern

Kommentar

Die vier Materialpakete thematisieren unterschiedliche Aspekte der Gleichschaltung. In den Bewerbungsunterlagen „PG Deimann und Schulratsstelle Kreis LH 1934“ wird das völkische Gedankengut des Bewerbers besonders betont. Er selbst spricht von der „Charakterisierung meiner geistigen Marschrichtung“. Als zweites Beispiel für die These, dass v.a. die Arbeit für die NS-Bewegung mehr zählt als die fachliche Kompetenz oder Berufserfahrung kann man die Bewerbung um das „Bürgermeisteramt in Werne 1936“ nennen.

Sehr lebensnah für Schülerinnen und Schüler ist das Paket „Unterbringung des Sohnes eines Parteifreundes 1936“. Ein Vater bemüht sich um seinen Sohn, hier wird aber deutlich, dass das Parteibuch nicht immer zählt.

Als Bonus kann man sich mit den NS-Vorgaben „Beförderung von Parteimitgliedern 1937“ beschäftigen. Hier wird aus ideologischer Parteisicht der Umstand beklagt, dass selbst im vierten Jahr des Systems bei Beförderungen nicht immer die Systemtreue den Ausschlag gibt.

Quelle: LAV NRW W, S 002/NSDAP, Gauleitung Westfalen-Nord, Gauinspekteure Nr. 103.

Aufgaben zu „PG Deimann und Schulratsstelle Kreis LH 1934“

  1. Analysieren Sie den Lebenslauf
    • a. Begründen Sie, welche Aspekte aus fachlicher Sicht für den Bewerber sprechen.
    • b. Charakterisieren Sie, welche Aspekte aus der Perspektive eines Nationalsozialisten wichtig sind.
    • c. Fassen Sie die Ergebnisse zusammen und beurteile die Sicht des Gauinspektors.
  2. Erläutern Sie, was die Gleichschaltung für den Schulunterricht bedeutet.
  3. Erörtern Sie, welchen Stellenwert die völkischen Gedanken in der NS-Ideologie einnehmen.
  4. (in Zusammenarbeit mit dem Fach Deutsch?) Recherchieren Sie zu Hermann Löns (Person und Werk). Gehen Sie dabei besonders auch auf seine Rezeption vor 1933, in der NS-Zeit und nach 1945 ein.
  5. (in Zusammenarbeit mit dem Fach Deutsch?) Erstellen Sie in Kleingruppen Präsentationen zu Karl Wagenfeld, Friedrich Castelle und Agnes Miegel. (Person – Werk – Rezeption)

Material zu "PG Deimann und Schulratsstelle Kreis LH 34"

Zusatzinformationen zum Dichter Hermann Löns

Hermann-Löns-Denkmal (1928) auf dem Hünsberg in Coesfeld (Standort seit 1985). Schon wenige Jahre nach seinem Tode (1914) errichtete man dem Dichter in Deutschland zahlreiche Denkmäler. Foto: Hendrik Martin Lange. Literatur: Vennes, Josef: Das Hermann-Löns-Denkmal auf dem Coesfelder Hünsberg, in: Mitteilungen des Heimatvereins Coesfeld 2005, S. 19-21.

„Auch in der Coesfelder Heide, rund um den Hünsberg, der mit seinen 105 Metern einen weiten Blick über die münsterländische Moor- und Heidelandschaft gestattet, setzte man dem Heidefreund und -sänger Hermann Löns ein Denkmal. In der Allgemeinen Zeitung vom 18. Februar 1928 ist folgende Anzeige zu lesen: Vom Lönsdenkmal. Die Schöpferin des Lönsdenkmals, die hiesige Jagd- und Schießgesellschaft ladet ihre Mitglieder sowie die Mitglieder des Verkehrs-und Heimatvereins am Mittwoch, den 18. ds.Mts. zu einem Spaziergang zum Hünsberg und Langenberg, wo bekanntlich das Lönsdenkmal aufgestellt wird, freundlichst ein. Eine Anzahl Findlinge liegen bereits an Ort u. Stelle. Die Plakette ist in Auftrag gegeben worden. Treffpunkt 2 ½ Uhr nachm. Mey-Bülten bei jeder Witterung. Nachher Besprechung wegen der Einweihung, die für den 17. Mai vorgesehen ist. Wie vorgesehen, wurde dann das Löns-Denkmal auf dem Langenberg, einer interessanten Hügelgruppe mit urwüchsiger Heide, 600 Meter nördlich des Hünsberges gelegen, von Coesfelds Jägern erbaut. Ein altes Foto, s.o. zeigt, daß es aus Findlingen verschiedener Mächtigkeit aufgeschichtet war und eine Bronzeplatte trug, die den Jäger Hermann Löns darstellte.“ (Vennes, S. 20) Nach 1945 wurde der Langenberg vom Kalksandsteinwerk abgebaggert. Im Jahre 1985 wurde das Denkmal wenige hundert Meter vom ursprünglichen Standort entfernt wieder aufgebaut. „In einer vorbildlichen Gemeinschaftsarbeit zwischen den Kalksandsteinwerken, der Stadt Coesfeld, dem Heimatverein Coesfeld, dem Grundstückseigentümer Schulze Hüynck und der Bauerschaft Stevede konnte in kurzer Zeit aus einer Idee Wirklichkeit werden. Wieder bilden Findlinge aus unserer Heimat das Baumaterial, gespendet von Bauern aus Stevede und der Firma Kuhfuß. Das Bronzerelief, dem in der Glockengießerei Gescher neuer Glanz verliehen wurde, erinnert heute, 77 Jahre nach der ersten Aufstellung, auf dem höchsten Punkt des Hünsberges den Wanderer an den Naturfreund, Dichter und Sänger Hermann Löns.“ (Vennes, S. 21)

Aufgaben zu „Bürgermeister Werne 1936“

  1. Analysieren Sie den Lebenslauf und die angefügten Bescheinigungen. a. Begründen Sie, welche Aspekte aus fachlicher Sicht für den Bewerber sprechen. b. Charakterisieren Sie, welche Aspekte aus der Perspektive eines Nationalsozialisten wichtig sind. c. Fassen Sie die Ergebnisse zusammen und bewerte die Sicht des Gauinspektors.
  2. Diskussion: Gleichschaltung – Verschmelzung von Partei und Staat. Was zählt Kompetenz oder Parteibuch?
  3. Verfassen Sie einen Essay zur These: Die Maßnahmen zur Gleichschaltung führten zur Vertiefung der polykratischen Strukturen im NS-System.

Material zu „Bürgermeister Werne 1936“

Aufgaben zu „Unterbringung des Sohnes eines Parteifreundes 1936“

  1. Arbeiten Sie die Argumentationsstruktur des Briefes des Vaters heraus.
  2. Begründen Sie, warum der Landrat seinem Parteigenossen eine negative Antwort zukommen lässt.
  3. Charakterisieren Sie den Quellenwert des Briefwechsels in Bezug auf den Ausbau des NS-Systems.

Material zu "Unterbringung des Sohnes eines Parteifreundes 1936"

Bonus-Aufgaben zu „Beförderung von Parteimitgliedern 1937“

  1. Beschreiben Sie das Anliegen der NSDAP.
  2. Ordnen Sie die Aussage des Gauinspektors und Landrats von Lüdinghausen „Irgendwelche Schwierigkeiten der im dortigen Schreiben Art, hier nicht aufgetreten.“ in die Entwicklung des Kreises ein.
  3. Erörtern Sie, welche Vor- und Nachteile die zunehmende Verschmelzung von Partei und Staat für das Handeln der Regierung hatte.

Material zu „Beförderungen von Parteimitgliedern 1937“